Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

654 Neuntes Buch. Die Reichsbeamten und die Reichsbehörden. 
wird! — lebenslänglich angestellt ist. Damit nun der Beamte, weil ihm dadurch 
große Rechte dem Reiche bezw. dem Staate gegenüber eingeräumt sind, diese Rechte 
nicht willkürlich zum Schaden des Reiches mißbraucht, räumen die Gesetze dem 
Reiche und den Bundesstaaten die Befugniß ein, sich ihrer Pflichten gegen den 
Beamten bezw. sich des Beamten zu entledigen, wenn nach bestimmten Vorschriften 
zusammengesetzte Gerichte in den gesetzlich zugelassenen Fällen und Formen das 
Reich oder den Staat ihrer Pflichten gegen den Beamten ledigsprechen, d. h. diesen 
entlassen. Was nun die geringeren Strafen als die Dienstentlassung anlangt, 
die Versetzung in ein anderes Amt oder Geldstrafen, so braucht der Versetzte oder 
mit Geldstrafe Belegte weder die Versetzung noch die Geldstrase zu tragen, wenn er 
nur seinerseits alle seine Rechte gegen das Reich aufgiebt (§ 100 des Reichs- 
beamtengesetzes a. a. O.). Selbst die Ordnungsstrafe ist in diesem Falle unzulässig. 
Er hat auch nur die in den baaren Auslagen bestehenden Kosten zu tragen. Bis 
zur Abgabe solcher Erklärung bezieht er sein Gehalt fort. Der allgemeinen, der 
gerichtlichen Bestrafung kann sich Niemand entziehen, wohl aber der disciplinaren. 
Kein Gesetz verpflichtet den Beamten, sich vor dem Disciplinarrichter zu verant- 
worten (§5 94, Abs. 2). Man holt und sperrt event. die gegen die Strafgesetze 
Verstoßenden ein, mögen sie wollen oder nicht; gegen den Beamten, der vom Reiche 
nichts mehr will, hat man keine Gewalt. 
Das Disciplinarverfahren bei Beamten unterscheidet sich von den Disciplinar- 
strafen gegen Militärpersonen dadurch, daß diese nicht durch Erklärung ihres Aus- 
tritts vom Militär oder Verzicht auf Titel, Löhnung und dergl. sich von ihnen 
drohenden Disciplinarstrafen befreien 8. 
Die rechtliche Bedeutung des Disciplinarverfahrens ist nicht diejenige eines 
Strafverfahrens, sondern eines solchen, welches den Staat unter Umständen berech- 
tigen soll, sich von seinen Pflichten gegen einen Beamten auf Fortbelassung des 
Amtes und Gehaltes, Pension u. s. w. zu befreien, und welches umgekehrt durch 
seine Gestaltung, namentlich die Zusammensetzung des Gerichts, dem Beamten die 
Gewähr bieten soll, daß er nicht willkürlich noch ungerecht der Rechte beraubt 
werden kann, welche er durch die Anstellung an das Reich erworben hat“. Deshalb 
findet regelmäßig ein Disciplinarverfahren gegen diejenigen Beamten — als un- 
nöthig — nicht statt, welche nur auf Probe oder gegen Widerruf angestellt find. 
Die Vorschriften des Reichsbeamtengesetzes über das Disciplinarverfahren 
finden nicht auf die richterlichen Beamten Anwendung (§ 158). Für Militär- 
beamte gelten sie nur theilweise (§§ 120 bis 123) 5. Das Reichsbeamtengesetz hat 
von einer Aufzählung der einzelnen Dienstvergehen abgesehen und generell bestimmt: 
§ 72. „Ein Reichsbeamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten (§ 10) verletzt, 
begeht ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung verwirkt.“ Es soll 
stets das gesammte dienstliche Verhalten des Beamten in Betracht gezogen 
werden. Gegenstand des Disciplinarverfahrens ist nur die Verletzung der Dienst- 
pflichten, also nicht das vordienstliche Verhalten, Handlungen, welche vor der An- 
stellung begangen sind“. Wann die Verletzung begangen ist, muß als unerheblich 
gelten, wenn sie nur während des Dienstes begangen wurde, da § 73 eine Ver- 
jährungsfrist nicht aufstellt. Es können daher gemeine und nach gemeinem Straf- 
rechte verjährte Vergehen und andere Handlungen noch zur disciplinarischen Ahndung 
herangezogen werden 7. 
  
  
1 Bei Richtern ist jede andere Anstellung verlustig *512 worüber meist ein Schiedsgericht 
ausgeschlossen (Gerichtsverfassungsges. § 60. Schon entscheiden soll- 
das Allgemeine Landrecht bestimmte Theil II, 2 S. oben S. 566 f. 
Tit. 10, § 28: „Kein Vorgesetzter oder warte- 4 Motive S. 75. 
mentschef kann einen Civilbedienten wider seinen e S. auch oben S. 558 f. 
Willen einseitig entsetzen oder verabschieden.“ * S. Sten. Ber. des Reichstages 1884 85, 
2 In sehr häufigen Fällen ist in Anstellungs-Bd. III, S. 2087 ff., Erk. des Oberverwaltungs= 
verträgen, die der Staat oder Private abschließen, grichts vom 30. März 1892, Entsch. Bd. 1. 
stipulirt, der Angestellte soll nur aus denselben 423, welches diesen Satz sowohl für Reichs- 
Gründen, aus denen ein Beamter im Deei inar= wie preußische Beamte ausspricht. 
wege entlassen werden kann, seiner Anstellung 7 Erk. des preußischen Ober-Tribunals vom 
 
	        
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