8 69. Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. 661
daß der fehlende Betrag sich in dem amtlichen Gewahrsam eines Reichsbeamten
befunden hat und daß der Verlust durch Vorsatz oder grobes Verschulden dieses
Beamten herbeigeführt ist. Wo Diebstahl oder bloße Verletzung der Aussichtspflicht
oder nur ein mäßiges oder geringes Versehen vorliegen, muß der gewöhnliche
Rechtsweg betreten werden 1. Ist es von vornherein klar, daß nicht grobes Ver-
sehen, sondern geringere Unachtsamkeit oder Zufall den Verlust verursacht haben,
so ist nur der Defect als solcher, der objective Thatbestand festzustellen. In einen
solchen Beschluß ist über Ersatz= oder Nichtersatzpflicht nichts aufzunehmen . Der
Beamte haftet für alle aus der Amtszeit zu vertretenden Defecte mit seinem ganzen
Vermögen; die Defectschuld geht als Vermögensschuld auf die Erben über. Stirbt
er vor Erlaß des Beschlusses, so geht der Beschluß gegen seine Erben. Diese haften
aus dem Beschlusse nur, soweit sie Nachlaß hinter sich haben. Sollen sie darüber
hinaus mit ihrem eigenen Vermögen oder sollen Dritte als Bürgen in Anspruch ge-
nommen werden, so ist nicht das Defectenverfahren und nur der ordentliche Rechts-
weg statthaft?.
Die (objective) Feststellung der Defecte an öffentlichem oder an Privat-(Geld-
oder Material-) Vermögen, das bei Reichskassen besteht oder verwahrt wird, ist zu-
nächst von derjenigen Behörde zu bewirken, zu deren Geschäftskreise die unmittelbare
Aufsicht über die Kasse oder die Verwahrung gehört (§ 134)". Sodann ist der
subjective Thatbestand festzustellen, ob und welches Verschulden vorliegt und wer
für den Defect zu haften hat. Darauf ist über den Betrag des Defects, die Person
des zum Ersatz verpflichteten Beamten und den Grund seiner Verpflichtung von der
zunächst vorgesetzten Behörde ein mit Gründen versehener Bescheid zu erlassen
(§ 137), welcher, wenn die Behörde die Eigenschaft einer höheren Reichsbehörde
hat, sofort, sonst nach Genehmigung der obersten Reichsbehörde vollstreckbar wird.
Die letztere kann übrigens in allen Fällen einschreiten, den Defectenbeschluß selbst
abfassen, berichtigen und aufheben.
Der Beschluß kann auf die unmittelbare Verpflichtung zum Ersatz des Defectes
gerichtet werden (§ 144): 1) gegen jeden Beamten, welcher der Unterschlagung“
als Thäter oder Theilnehmer nach der Ueberzeugung der Reichsbehörde überführt
ist; 2) a. gegen diejenigen Beamten, welchen die Kasse u. s. w. zur Verwaltung
übergeben war, und zwar auf Höhe des ganzen Defects, b. gegen jeden anderen
Beamten, der an der Einnahme oder Ausgabe, der Erhebung, der Ablieferung oder
dem Transporte von Kassengeldern oder anderen Gegenständen vermöge seiner
dienstlichen Stellung theilzunehmen hatte, jedoch nur auf Höhe des in seinen Ge-
wahrsam gekommenen Betrages, sofern der Defect nach der Ueberzeugung der Reichs-
behörde durch grobes Verfehen entstanden ist. Voraussetzung des Defecten-
beschlusses ist, daß das Fehlende im unmittelbaren und thatsächlichen Gewahrsam des
Beamten war.
Gegen den Beschluß, durch welchen ein Beamter zur Erstattung eines Defectes
für verpflichtet erklärt wird, steht (§ 144) ihm, seinen Erben? und Bürgen?, so-
wohl hinsichtlich des Betrages als hinsichtlich der Ersatzverbindlichkeit, die an keine
Form und Frist gebundene Beschwerde an die höhere Instanz und der Rechtsweg
zu. Der Rechtsweg muß auch dann (und zwar erst recht) als statthaft gelten,
wenn nach Lage des Falls, weil z. B. nicht Unterschlagung, sondern Diebstahl
vorlag oder die fehlende Sache gar nicht im Gewahrsam des Beamten war, über-
haupt kein Defectenbeschluß erlassen werden durfte. Es handelt sich hierbei nicht um
einen vermeintlichen Ein= oder Uebergriff der Justiz in die Verwaltung, nicht um
1 Pieper, S. 339.
festgestellt wird.
:2 Min.-Bl. f. d. ges. innere Verwaltung 1853,
5 Dieses Wort ist hier im strafgerichtlichen
S. 258, 1854, S. 91, Pieper. S. 369.
* Vgal. u. A. Erk. des Reichsger. vom 31. Mai
1880 und 3. Juli 1882, Entsch. in Civils.,
Sinne (Strafgesetzbuch § 350) zu verstehen. Beie
Untreue u. s. w. ist der Beschluß unstatthaft,
Sten. Ber. des Reichst. 1877, S. 721, Pieper,
Bd. II, S. 188, Bd. VII, S. 355, Pieper. 349
S. 339 ff.
· Dazu behort daß bei einem Defect an
Materialien der Werth (die zu erstattende Summe))
Verdacht genügt nicht.
7 S. preuß. Just.-Min.-Bl. 1858, S. 243.