680 Neuntes Buch. Die Reichsbeamten und die Reichsbehörden.
innerhalb dieser Competenz handeln, Bundesbeamte. Es kann das preußische Ab-
geordnetenhaus also ebensowenig den Kriegsminister des Bundes als den etwaigen
Finanzminister des Bundes, der die Bundesfinanzen und nicht die königlich
preußischen Staatsfinanzen verwaltet, irgendwie zur Verantwortlichkeit ziehen; es kann
dem Abgeordnetenhause mit Recht erwidert werden: Wir haben gar nicht gehandelt
als preußische Minister, sondern wir haben gehandelt als Bundesminister.“
v. Bismarck constatirte darauf nochmals 1: „daß in dem verfassungsmäßig vor-
handenem Maße von Ministerverantwortlichkeit, dessen sich die gesammten Bundes-
staaten erfreuen, nichts geändert wird, indem jede Regierung eines Einzelstaates
verantwortlich bleibt für die Art, wie ihre Stimme im Bundesrathe abgegeben
wird?.“ Nach Reden der Abgeordneten v. Sybel und v. Bennigsen zog
Lasker sein Amendement „im Bundesrath“ zurück, während das Amendement
v. Bennigsen „Geschäfte des Bundesraths“ abgelehnt wurde #. Der Antrag
Bethusy-Huc wurde angenommen, die Zusatz-Anträge v. Bennigsen und
Lasker dagegen abgelehnt“. Auch bei der Schlußverhandlung wurde der heutige
Artikel 15 (der Antrag Graf Bethusy-Huch) ohne Diskussion unverändert an-
genommenö.
Zum heutigen Artikel 18 beantragte v. Bennigsen, den zweiten Satz wie
folgt zu fassen: „Die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidii werden
#im Namen des Bundes erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegen-
zeichnung des Bundeskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt““,
welcher Antrag auch nach belangloser Debatte angenommen wurde 7.
Ueberblickt man heute und nach so langer Zeit die vorerwähnten Aus-
führungen, so läßt sich sagen, daß darin Recht und Unrecht, Wahrheit und Irrthum
etwa gleichmäßig vertheilt waren. Fürst Bismarck hat Recht in seiner An-
erkennung der v. Thielau'schen Sätze, der Reichskanzler sei (wenigstens ursprüng-
lich) nur ein Delegirter der königlich preußischen Regierung; er hat ferner darin
Recht, daß für Dasjenige, was im Bundesrath vom Kanzler, vom preußischen
Kriegs= oder preußischen Finanzminister gesprochen und beschlossen wird, diese dafür
dem preußischen Herren= und Abgeordnetenhause verantwortlich find s, und daß
dafür, wer dorthin bevollmächtigt wird und wie er instruirt wird, „an dem bis-
herigen verfassungsmäßigen Maße von Ministerverantwortlichkeit, dessen sich die
gesammten Bundesstaaten erfreuen“, nichts geändert wird. Die Abgeordneten
Miquel, Lasker und v. Bennigsen haben darin Recht, daß „ein neuer Staat"
in und mit dem Deutschen Reiche geschaffen ist, und daß für Dasjenige, was
Namens dieses neuen Staates geschieht, den Einzelstaaten gegenüber keine
Verantwortlichkeit besteht, daß also das preußische Abgeordnetenhaus den preußischen
Kriegsminister für Das, was er Namens des Reiches thut, nicht zur Rechenschaft
ziehen kann. Fürst Bismarck hat die Aenderung, die durch Annahme des An-
trages v. Bennigsen bezüglich der Kanzlerverantwortlichkeit hervor-
gerufen wurde, in einer Reichstagsrede am 5. März 18787 dahin wiedergegeben:
„Nun wurde durch den Artikel 17 die Bedeutung des Reichskanzlers plötzlich zu
der eines contrafignirenden Ministers und nach der ganzen Stellung nicht mehr
eines Unterstaatssekretärs für deutsche Angelegenheiten im auswärtigen preußischen
Ministerium, wie es ursprünglich die Meinung war, sondern zu der eines leitenden
Reichsministers heraufgeschroben.“ Richtiger wohl könnte man sagen, daß der
Kanzler ursprünglich als Präfidialgesandter, und zwar nur als Präsidial-
gesandter, gedacht war, während er heute zwar auch noch Präfidialgesandter,
aber zugleich de jure leitender Reichsminister und de facto leitender preußischer
Ministerpräfident ist.
Nach der Reichsverfassung ernennt der Kaiser den Reichskanzler; der Reichs-
1 Sten. Ber. S. 397. # * Bezold, I, S. 769.
# S. auch oben S. 44. 7 Sten. Ber. S. 403 und 704.
2 Sten. Ber. S. 399. m S. auch oben S. 44.
4 Sten. Ber. S. 405. ? Sten. Ber. S. 342.
5 Sten. Ber. S. 704.