Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 14. Berlust der Staats- und Reichsaugehörigkeit. 63 
Regeln zur Anwendung. Wenn nach dem Erkenntnisse des preußischen Ober- 
tribunals vom 8. September 1864 (Oppenhoff's Rechtsprechung des Obertribu-- 
nals in Strafsachen, Bd. V. S. 91 ff., und in Goltdammer's Archiv, Bd. XlI, 
S. 781) schon die bloße Ausfertigung genügt, um die Strafbarkeit der Aus- 
wanderung auszuschließen, so bewirkt diese jedenfalls nicht den Verlust der Staats- 
angehörigkeit. 
Ipso jure, ohne Erklärung und mit der Wirkung, als ob sie nie ausgestellt 
wäre 1, wird die Entlassung unwirksam, wenn der Entlassene nicht binnen sechs 
Monaten vom Tage der Aushändigung der Entlassungsurkunde an — gerechnet 
von Datum zu Datum — seinen Wohnsitz außerhalb des Bundesgebietes verlegt 
oder, falls er nicht schon eine andere deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, eine 
solche in einem anderen deutschen Bundesstaate erwirbt (vgl. Seydel in Hirth's 
Annalen 1876, S. 148, Anm. 2). Es ist hierbei unerheblich, ob der Entlassene 
in der Zwischenzeit eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat (Riedel, 
S. 266, Anm. 3). Wohnsitz ist hier im juristischen Sinne aufzufassen. Es ge- 
nügt daher nicht, wenn der Entlassene sich an einem bisherigen Wohnorte nur 
polizeilich abgemeldet und an einem anderen Orte des Auslandes anmeldet. Es 
ist vielmehr eine wirkliche Verlegung des Wohnortes erforderlich, und zwar mit der 
Absicht, sich im letzteren bleibend niederzulassen (Erk. des preuß. Obertribunals vom 
4. September 1879 in Oppenhoff's Rechtsprechung, Bd. XX, S. 340 ff., Erk. 
des Reichsgerichts vom 22. Mai 1886 bei Reger, Bd. VII. S. 325, Laband 
1, S. 155). Die Verlegung des Wohnsitzes in eines der deutschen Schutzgebiete 
wird dem Verweilen im Reichsgebiete auch hier gleich zu achten sein, wie Cahn, 
S. 145, annimmt, obgleich das Gesetz, betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutz- 
gebiete vom 17. April 1886 (Fassung R.-G.-Bl. 1888, S. 75) die Schutzgebiete 
(nur) im Sinne des § 21, also nicht im Sinne des § 18 des Gesetzes vom 
21. Juni 1870 als Inland bezeichnet und § 18 die auf Schutzgebiete nicht an. 
wendbare Bezeichnung Bundesgebiet gebraucht. 
Die Entlassung erstreckt sich, wie unter III in Artikel 41 des Einführungs- 
gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vorgeschrieben wird, insofern nicht dabei eine 
Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder, deren 
gesetzliche Vertretung dem Entlassenen kraft elterlicher Gewalt zusteht. Diese Vor- 
schrift findet mit Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches keine Anwendung auf 
Töchter, die verheirathet sind oder verheirathet gewesen sind, sowie auf Kinder, die 
unter der elterlichen Gewalt der Mutter stehen, falls die Mutter zu dem Antrage 
auf Entlassung der Kinder nach § 14a, Abs. 2, Satz 2 des Gesetzes vom 1. Juni 
1870 (oben S. 61) der Genehmigung des Beistandes bedarf. Die Entlassung wirkt 
nur für den Staat, der sie ertheilt. Sie hat also den Verlust der Angehörigkeit 
in einem anderen deutschen Bundesstaate nicht zur Folge (Seydel, Bayer. Staats- 
recht, I, S. 540, Anm. 9, Laband, I1, S. 156). 
Die Staatsangehörigkeit kann zweitens verloren gehen durch Ausspruch der 
Behörde, nämlich in folgenden Fällen: Im Falle eines Krieges oder einer 
Kriegsgefahr kann der Kaiser Deutsche, welche sich im Auslande aufhalten, zur 
Rückkehr auffordern. Solche Aufforderungen werden Avokatorien genannt. Die 
Aufforderung ist für das ganze Reichsgebiet anzuordnen. Wer einer solchen Auf- 
forderung binnen einer bestimmten Frist nicht Folge leistet, kann durch Beschluß 
der Centralbehörde jedes Staates, in dem er eine Staatsangehörigkeit besitzt, dieser 
Staatsangehörigkeit verlustig erklärt werden (§ 20 des Gesetzes vom 1. Juni 1870). 
Der Beschluß wirkt nur für den Staat, der ihn erläßt, und hat keine Wirkung für 
ein Indigenat in einem anderen deutschen Bundesstaate (ebenso G. Meyer, § 78, 
Seydel, Bayerisches Staatsrecht, I. S. 547, Anm. 9, vgl. auch Laband, I, 
S. 168; anderer Ansicht Zorn, I, S. 318, der annimmt, daß der Beschluß den 
Verlust jeder deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge hat). Daß der Verlust der 
11 Der Entlassene muß daher die während der seche Monate versäumten staatsbürgerlichen 
Pflichten nachträglich erfüllen, z. B. Steuern nachzahlen, Militärdienst nachleisten.
	        
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