Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

704 Zehntes Buch. Answärtige Verwaltung. 
Erklärung des Krieges im Namen des Reiches die Zustimmung des Bundesraths 
erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder dessen Küsten 
erfolgt. Da die Bundesstaaten alle nicht dem Deutschen Reiche übertragenen Be- 
fugnisse besitzen, kann in Frage kommen, ob, da ihnen das Recht der Kriegserklärung 
nicht ausdrücklich entzogen ist, sie ihrerseits noch das Recht der Kriegserklärung 
und Kriegsführung haben. Diese Frage ist zu verneinen, und zwar aus folgenden 
Gründen: ihnen fehlen zunächst die Mittel, Krieg zu führen, da die Kriegsflotte 
und das stehende Heer jedenfalls im Kriege nicht den einzelnen Bundesstaaten, 
sondern nur dem Kaiser zur Verfügung stehen 1. Letzteres gilt insbesondere auch 
für Bayern, gemäß Ziffer III, § 5, III des Vertrages, betreffend den Beitritt 
Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes, vom 23. November 1870 (B.-G.-Bl. 
1871, S. 9). Selbst Preußen oder der Kaiser Namens Preußens haben nicht das 
Recht, Krieg mit anderen deutschen Bundesstaaten zu führen, da nach Art. 76, 
Abs. 1 der Reichsverfassung Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, 
welche nicht privatrechtlicher Natur find, auf Anrufen des einen Theils, auch 
gegen Preußen, von dem Bundesrathe zu erledigen sind. Die einzelnen Bundes- 
staaten bedürfen ihrerseits auch nicht des Rechts, Krieg gegen das Ausland zu 
führen, da dem Auslande gegenüber nach Art. 3, Abs. 6 der Reichsverfassung alle 
Deutschen, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit, gleichmäßig Anspruch auf 
den Schutz des Reiches haben, da somit, wenn auch nur ein einzelner Bundesstaat 
Grund zum Kriege hätte, das Reich das Recht und die Pflicht der Kriegserklärung 
und Kriegsführung besitzt. 
Es kann nicht fraglich sein, daß der Krieg als erklärt anzusehen ist, wenn ihn 
der Kaiser erklärt, und zwar auch dann, wenn der Kaiser in einem Falle, wo er 
zur Kriegserklärung die Zustimmung des Bundesraths nöthig hätte, den Krieg 
ohne diese Zustimmung erklärt. Formell folgt dies daraus, daß Absatz 1 in 
Art. 11 das Recht der Kriegserklärung ertheilt und nicht etwa vorschreibt, daß 
dieses Recht dem Bundesrath oder dem Kaiser und dem Bundesrath gemeinschaftlich 
zustehe, es sei denn, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder dessen Küsten 
erfolge, in welchem Falle der Kaiser den Krieg erklären dürfe. Materiell folgt dies 
daraus, daß der Kaiser allein, auch ohne Bundesrath, über die Kriegsmittel ver- 
fügt und diese in Thätigkeit treten läßt. Es erübrigt daher noch, darauf hin- 
zuweisen, daß die Einschränkung in Abs. 2 des Art. 11 nur eine interne ist und 
keine Verneinung der Legitimation des Kaisers zur Kriegserklärung darstellt, daß 
das Recht des Kaisers, zu entscheiden, ob ein Angriff gegen das Reich erfolge, un- 
eingeschränkt ist?, und daß auch es ferner völkerrechtlich unerheblich ist, ob der 
völkerrechtliche Vertreter eines Reiches mit oder ohne formelles Recht dazu den 
Krieg erklärt. Der Krieg ist schon erklärt, wenn die Kriegsmittel des Deutschen 
Reiches gegen das Ausland thatsächlich zur Verwendung gebracht werden?, was in 
der alleinigen Macht des Kaisers steht. Uebrigens fand sich Abs. 2 in Art. 11 
noch nicht in der Norddeutschen Bundesverfassung und wurde in die Reichsverfassung 
übernommen, nicht um die Legitimation des Kaisers einzuschränken, sondern um 
auszusprechen, daß der Bund ein „wesentlich defenfives Staatswesen sei“". Ein 
Angriff auf „Reichs-(Bundes-)Gebiet“ liegt auch vor, wenn die deutschen Schutz- 
bezirke angegriffen werden 5. Die Reichsverfassung giebt dem Bundesrath nur das 
Recht der Zustimmung zur Kriegserklärung, nicht das Recht der Kriegserklärung, 
woraus folgt, daß der Kaiser nicht gegen seinen Willen durch Bundesrathsbeschluß 
zur Kriegserklärung gezwungen ist é. Durch den deutschösterreichischen Bündniß- 
vertrag vom 7. Oktober 1879 ist das Reich verpflichtet, im Falle eines Angriffs 
auf Oesterreich diesem Staate mit seiner ganzen Macht zu Hülfe zu kommen, d. h. 
also, dem Angreifer den Krieg zu erklären, auch wenn ein Angriff auf das Gebiet 
  
1 Art. 53 und 63 der Reichsverfassung, oben Sten. Ber. des Neichßtages, II. außerordentl. 
S. 4 Session 1870, S. 7 
: S. auch v. Seydel, Comm., S. 161. Anderer ich- Sedel Comm., S. 161. 
* Vgal. auch v. Liszt, Bölkerrecht, S. 211. *Ebenso v. Seydel, I. c. S. 167. 
4 *i. lbrück am 5. Dezember 1870 in den
	        
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