708 Zehntes Buch. Answärtige Verwaltung.
der Magistrat der Stadt Berlin Robert Malitz längere Zeit beschäftigte, selbst
ohne ihn als Beamten dauernd anstellen zu wollen und ohne die Mittel für eine
solche Anstellung von den Stadtverordneten vorschriftsmäßig nachgesucht zu haben,
so hat das Reichsgericht gleichwohl angenommen!, daß der Magistrat durch die
Thatsache der längeren Beschäftigung dem Malitz die Eigenschaft eines lebenslänglich
angestellten Beamten verliehen habe und demgemäß die Stadt Berlin verpflichtet
sei, die sich daraus ergebenden Folgen (Gehalts-, Pensionszahlung u. s. w.) zu
tragen 2. Es handelt sich hier stets nur um interne Pflichten, nicht um Be-
schränkungen der Legitimation.
Es kommt also darauf an, den positiven Willen der Reichsverfassung zu
entdecken. Zu diesem Zwecke ist zuvor der Wille der preußischen Verfaffung zu
erforschen. Art. 48 der preußischen Verfassung lautet: „Der König hat das Recht,
Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere Verträge mit fremden
Regierungen zu errichten. Letztere bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der
Kammern, sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staate Lasten
oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden.“ Diesem Art. 18
liegt nun ausgesprochenermaßen Art. 68 der belgischen Verfassung zu Grunde, in
welchem zwar gesagt ist, daß solche Verträge, welche der Zustimmung der Kammern
bedürfen, „n’'ont effet qu'après avoir regçu D’assentiment des chambres", daß aber
diese Worte in Belgien unzweifelhaft nur dahin verstanden wurden und verstanden
werden: „qdue c'est seulement pour I'’ex écution des traités, que I’assentiment
des chambres doit étre réclamé par le gouvernement" 3. Die Verhandlungen
über die Revifion der preußischen Verfassung ergeben", daß nirgends beabsichtigt
war, über das belgische Recht hinauszugehen und auch die völkerrechtliche Gültigkeit
der Verträge von der Zustimmung der Kammern abhängig zu machen 5. Dem-
gemäß nimmt die weit überwiegende Ansicht in Preußen, selbst Derjenigen, welche die
Verfassung im entschieden liberalen Sinne auslegen (v. Rönne, Preußisches Staats-
recht, 4. Aufl., I, S. 693 f., und Schwartz, Preußische Verfassungsurkunde,
S. 139), an, daß die völkerrechtliche Gültigkeit der Verträge durch die etwa unter-
lassene Einholung der Zustimmung der Kammern nicht beseitigt werde". Die ent-
gegenstehende Ansicht von E. Meier läßt sich nicht darauf stützen, daß die über-
haupt dem Landtage vorgelegten Verträge den Kammern nicht zur „Kenntniß-
nahme“, sondern zur „Genehmigung“ vorgelegt sind, da es gar nicht streitig ist,
daß gewisse Verträge nach Sinn und Wortlaut in Art. 48, Abs. 3 der preußischen
Verfassung der Genehmigung des Landtages bedürfen, und in Frage nur steht, ob
diese Genehmigung ein Erforderniß auch der äußeren Gültigkeit der Verträge ist.
Ebenso wenig wird die Meier'sche Ansicht dadurch bewiesen, daß die Verträge
meist vor ihrer Ratification dem Landtage vorgelegt sind. Es muß sogar zu-
gegeben werden, daß es, von eiligen Fällen abgesehen, die Pflicht der Regierung
ist, bevor sie einen Vertrag ratificirt, sich zu vergewissern, ob fie auch die dazu
nach dem internen Verfaffungsrecht nöthige Zustimmung der Kammern findet.
Bewiesen wäre die Meier'sche Ansicht nur, wenn festgestellt wäre, die Verträge
wären allseitig vor ihrer Genehmigung durch den Landtag als ungültig und un-
verbindlich angesehen worden. In Wahrheit hat übrigens die umgekehrte Ansicht
gegolten, wobei es unerheblich ist, ob die Staatsregierung gewissermaßen sich zu ent-
1 Oben S. 633, Anm. 2. „ebernahme von Vagabunden und Ausgewiesenen,
Oben S. 642. Z die Verträge über Verpflegung hülfsbedürftiger
2 Wl. Thimus, Droit public (Liege Staatsangehörigen, der Paßkartenvertrag, Etap-
1846), Vol. II, p. 174. enstraßenconventionen, Auslieferungsverträge,
Val. v. Rönne, Preuß. Staatsrecht, I, die Gothaer Convention vom 22. August 1864;
§ 127, S. 6877J. s. das Gneist'sche Gutachten sub Zifter VII.
" gih vorgelegt insbesondere find den Kam= Alle diese Verträge enthalten unzweifelhaft Rechts-
mern in Preußen: Freizügigkeitsverträge, Eisen= normen, materielle Gesetze.
bahn-, Post= und Telegraphenverträge, die #S. besonders Gueist, Le., denll. auch
mannigfachen Verträge zur andhabung der Zachariä, Deutsches Staats= und Bundes-
Rcchtspilege und der Polizei, zur Uebernahme recht, 3. Aufl., Bd. II, § 237, S. 586, Zöpfl,
der Jurisdiction der Gemeinheitstheilungs= und Gemeines deutsches Staatsrecht, 5. Aufl., Bd. II.
Ablösungsgeschäfte, die Conventionen wegen§ 395 und 897.