Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

96 65. Elsfaß-Lothringen. 751 
oder Executive gestellt war, welche letztere dort so gut wie im übrigen Reiche 
Rechtsnormen zu erlassen befugt ist. Darüber, wo Ver= und Anordnungen des 
Kaisers zu publiciren sind, entscheidet gleichfalls nicht der Umstand, ob sie Rechts- 
normen enthalten:, sondern, wo ein Gesetz nichts Abweichendes vorschreibt, das Er- 
messen des Anordnenden. In der Regel ist die Subdelegation des Berordnungs- 
rechts statthaft . Handelt es sich um Reichsgesetze im Sinne der Art. 2, 5 und 7 
der Reichsverfassung, so erläßt die zu ihrer Ausführung auch für Elsaß-Lothringen 
erforderlichen allgemeinen Verordnungen, falls der Gesetzgeber nicht Anderes be- 
stimmt, auf Grund Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung der Bundesrath. 
Die auf Grund des Vereinigungsgesetzes vor Inkrafttreten der Reichsverfassung 
für Elsaß-Lothringen ergangenen Gesetze sind zwar Gesetze, welche das Deutsche 
Reich für Elsaß-Lothringen giebt, aber nicht Reichsgesetze im Sinne des Art. 2 der 
Reichsverfassung. Sie haben nicht die Kraft von Reichsgesetzen"; sie sind zwar 
nicht Landesgesetze“, weil sie vom Reiche erlassen find, sie haben aber nur die 
Ratur von Landesgesetzen und werden als solche herkömmlich bezeichnet. Mit dieser 
Auffassung deckt sich die Praxis. Auch dies folgt aus dem pofitiven Willen des 
sonveränen Reichsgesetzgebers. 
Nun bestimmt § 1 des (Reichs--)Gesetzes, betreffend die Einführung der Ver- 
fassung des Deutschen Reichs in Elsaß-Lothringen, vom 25. Juni 1873 (R.-G.-Bl. 
1873, S. 161): „Die durch Gesetz vom 16. April 1871 verkündete Verfassung des 
Deutschen Reichs tritt in der durch die Gesetze vom 24. Februar 1873 und 3. März 1873 
(R.-G.-Bl. 1873, S. 45, S. 47) abgeänderten.. Fassung in Elsaß-Lothringen vom 
1. Januar 1874 ab, unbeschadet der Geltung der bereits eingeführten Bestimmungen?, 
mit den in den nachfolgenden §§ 2—5 enthaltenen Maßgaben in Wirksamkeit.“ 
Vom 1. Januar 1874 an ergingen die Gesetze für Elsaß-Lothringen wie alle übrigen 
Reichsgesetze, also gemäß Art. 5 der Reichsverfassung. Die Gesetzgebung stand also 
nicht mehr dem Kaifer unter Zustimmung des Bundesraths, sondern dem Bundes- 
rath unter Zustimmung des Reichstages zu. Die solcher Gestalt entstehenden Gesetze 
sind aber gleichfalls nicht und sollten nicht sein Reichsgesetze im Sinne des Art. 2, 
sie haben auch nicht die Kraft von Reichsgesetzen, sondern nur diejenige von Landes- 
gesetzen. Sie sind Landesgesetze von derselben Art und Kraft, wie die auf 
Grund des Gesetzes, betreffend die Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen, vom 
2. Mai 1877 (R.-G.-Bl. 1877, S. 491) ergehenden Gesetze und können daher wie 
Landesgesetze abgeändert werden, d. h. fie brauchen, auch nachdem die Gesetzgebung 
für Elsaß-Lothringen in anderer Weise wie in Art. 5 der Reichsverfassuug geregelt 
ist, nicht gemäß Art. 5 — nicht unter Zustimmung des Reichstages — abgeändert 
zu werden. Hiermit stimmt die Praxis überein. Ueberdies ist es bei Berathung 
des Gesetzes vom 2. Mai 1877 ausdrücklich und allseitig anerkannt worden . 
Daraus folgt jedoch höchstens, daß nach Anficht der an der Gesetzgebung betheiligten 
Kreise die auf Grund § 1 des Gesetzes vom 2. Mai 1877 ergehenden Gesetze die 
vom Bundesrath und Reichstag in elsaß-lothringischen Angelegenheiten ergangenen 
Gesetze ändern können; nicht aber ergiebt sich daraus direct etwas über die recht- 
liche Natur der vom Bundesrath und Reichstag in elsaß-lothringischen Angelegen- 
heiten ergangenen Gesetze. Entscheidend ist, daß Gesetze der letzteren Art keine 
Reichsgesetze im Sinne des Art. 2 der Reichsverfassung, sondern vomj Reiche 
erlassene elsaß-lothringische Landesgesetze kraft gesetzlicher Sondervorschrift und ohne 
die in Art. 2 bezeichnete Wirkung von vornherein sein sollten und gewesen find. 
Es ist zwar dieselbe Staatsgewalt, welche die Reichsgesetze im Sinne des Art. 2 
der Reichsverfassung und die elsaß-lothringischen Landesgesetze erläßt; aber diese 
Staatsgewalt legt ihren Gesetzen ganz verschiedene Kraft und Wirkung bei. Ent- 
scheidend und ausschlaggebend ist auch hier der positive Wille des Reichsgesetzgebers. 
  
1 In welchem Falle sie nach Laband wie zösisches Civilrecht, Bd. VI, S. 373. 
Eesetze t publiciren wären. 5 3. B. Art. 3Z; s. weiter unten. 
Oben S. 203f. 6 Sten. Ber. des Reichstages 1877, S. 263, 
2 Anderer Ansicht Laband, I, S. 729. Stüber, im Archiv f. öffentl. Recht, I, S. 663. 
4 Ansicht von Puchelt, Zeitschr. für fran-
	        
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