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Neues, da im ehemaligen Deutschen Bund jeder einzelne Staat und jede Stimme
genügte, um jede Verfassungsänderung zu verhindern (oben S. 9).
Im deutschen Bundestage führte Oesterreich das Präfidium. Es hatte
demgemäß die Leitung der Geschäfte, den Vorsitz, die „Ansage"“, die „Absage“ der
Sitzungen und den einleitenden Vortrag, den sogenannten Präßidialvortrag (oben
S. 8). Das Präsidium führt jetzt Preußen. Aus dem „Präsidial-
gesandten“ ist jetzt der „Reichskanzler“ geworden, welcher (Art. 15 der
Reichsverfassung) vom Kaiser zu ernennen ist. Dem Reichskanzler steht der Vorstitz
im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte, also auch die „An-- und Absage“ zu
(Art. 15 der Reichsverfassung). Nach Artikel 12 der Reichsverfassung steht es dem
Kaiser zu, den Bundesrath zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen.
Permanent wie der Bundestag ist danach der Bundesrath nicht.
Der Bundesrath ist nicht bloß das Plenum, sondern auch zugleich der „Engere
Rath“ des ehemaligen deutschen Bundestages (oben S. 9). Der Stichentscheid
bei Stimmengleichheit, der früher Oesterreich nach Artikel 7 der Bundesacte ge-
bührte, steht gemäß Absatz 3 in Art. 7 der Reichsverfassung nunmehr Preußen zu.
Wie die Mitglieder des ehemaligen Bundestages (Zachariä, Staats-
recht, II, § 258, S. 683 ff.) genießen auch die Mitglieder des Bundesrathes das
Recht der Exterritorialität. Die Reichsverfassung drückt dies in Art. 10
durch die Fassung aus: „Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes
den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.“ Die nicht preußischen Bundesraths-
bevollmächtigten sind zwar Gesandte, aber nicht Gesandte am preußischen Hofe.
Sie sollen aber so angesehen werden, als ob fie beim Könige von Preußen accreditirte
Geschäftsträger wären. Sie besitzen hiernach mit ihrer Familie, ihrem Geschäfts-
personal und Haushalt die Exterritorialität gegenüber dem preußischen Staate und
find daher frei von preußischen directen, nicht von preußischen indirecten Steuern.
Die zu ihrem Haushalt gehörigen Personen, welche preußische Staatsunterthanen
find, haben das Recht der Exterritorialität dem preußischen Staate gegenüber nicht.
Nähere Vorschriften enthalten folgende Gesetze:
1) Gerichtsverfassungsgesetz, § 18, Abfs. 2:
„Die Chefs und Mitglieder der bei einem Bundesstaate beglaubigten
Missionen find der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterworfen. Das-
selbe gilt von den Mitgliedern des Bundesraths, welche nicht von dem-
Enteen Staate abgeordnet find, in dessen Gebiete der Bundesrath seinen
Sitz hat.“
Die Befreiung von der Gerichtsbarkeit haben also nur die nichtpreußischen
Mitglieder des Bundesraths. Die Befreiung der nichtpreußischen Bundesraths-
mitglieder von der preußischen Gerichtsbarkeit ist übrigens nicht auf die Zeit be-
schränkt, während welcher die Mitglieder des Bundesraths in ihrer Eigenschaft als
solche in Berlin anwesend sind (vgl. Löwe, Commentar zur Strafproceßordnung,
Anmerkung zu § 18, Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes).
2) § 19 des Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmt sodann:
„Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der in § 18 erwähnten
Personen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche find,
finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung.“
In Bezug auf die Bundesrathsmitglieder muß § 19 des Gerichtsverfassungs-
gesetzes gemäß der Vorschrift in Art. 10 der Reichsverfassung dahin als modificirt
gelten, daß für „Deutsche“ „Preußen“ zu setzen ist; d. h. also, nur nicht-
preußische Familienglieder u. s. w. find von der preußischen Gerichtsbarkeit befreit,
preußische Familienglieder u. s. w. find dieser Gerichtsbarkeit unterworfen. „Der
Ausdruck Bedienstete ist gewählt, um außer den Dienstboten auch solche Personen
zu bezeichnen, welche als Lehrer, Haushofmeister u. dergl. im Dienste des Ge-
sandten u. s. w. stehen“ (Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz, S. 35).
§ 49P. Abs. 2 der Strafprozeßordnung bestimmt:
„Die Mitglieder des Bundesrathes find (als Zeugen) während ihres
Aufenthalts am Sitze des Bundesrathes ... taußer mit Genehmigung
ihres Landesherrn) an diesem Orte zu vernehmen“,