8 17. Der Bundesrath. 91
Welche Einwirkungen üben nun Veränderungen im Besitzstande der
einzelnen deutschen Bundesstaaten auf die Stimmführung im Bundesrath aus?
Die Wiener Schlußatcte bestimmte in Artikel 6:
„Veränderungen in dem gegenwärtigen Besitzstande der Bundesglieder
können keine Veränderungen in den Rechten und Verpflichtungen derselben
in Schua auf den Bund ohne ausdrückliche Zustimmung der Gesammtheit
ewirken.“
Daraus ergiebt sich, daß der Uebergang des gänzlichen oder theilweisen
Stimmrechtes in der Bundesversammlung von der Zustimmung der Gesammtheit
abhängig war, unter welcher nicht die Einmüthigkeit, sondern weiter nichts als
eine verfassungsmäßige Willenserklärung des Bundes im Gegensatz zum Einzel-
willen zu verstehen war (Zachariä, Deutsches Staats= und Bundesrecht, 3. Aufl.,
II, § 246, S. 641 f.). Demgemäß schrieb Artikel 16 der Schlußacte vor, daß,
wenn die Besitzungen eines souveränen deutschen Hauses durch Erbfolge auf ein
anderes übergehen, es von der Gesammtheit des Bundes abhängt, ob und inwie-
fern die auf jenen Besitzungen haftenden Stimmen im Plenum dem neuen Befitzer
beigelegt werden sollen.
Die Reichsverfassung bestimmt nichts darüber, wie die Stimmführung im
Bundesrathe bei Gebietsveränderungen der einzelnen deutschen Bundesstaaten ge-
regelt werden soll; insbesondere bestimmt sie nicht, daß es bei Gebietsveränderungen
von der Gesammtheit, etwa einem Reichsgesetze oder einem Bundesrathsbeschlusse,
abhängen soll, „ob und inwiefern die auf — Besitzungen haftenden Stimmen im
Plenum dem neuen Besitzer beigelegt werden sollen"“. Da die Reichsverfassung
schweigt, alle Rechte aber, die nicht ausdrücklich den Einzelstaaten entzogen wurden,
diesen verblieben sind, so muß angenommen werden, daß, wenn mehrere Bundes-
(Einzel-) Staaten vereinigt werden, der neue Staat die Stimmen im Bundesrath
führt und zwar ipso jure, welche diese Staaten zusammen besaßen (s. oben S. 73,
Seydel, Comm. zur Reichsverfassung, 2. Aufl., S. 29). Anderer Ansicht ist
v. Rönne, Reichsstaatsrecht, 1, § 22, S. 198, der ausführt, daß in solchem
Falle ein verfassungsänderndes Gesetz nöthig ist. Gegen die v. Rönnel'sche An-
sicht spricht, daß Artikel 6 der Reichsverfassung nicht verändert wird, wenn der
Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt, nachdem er durch Erbfolge auch Fürst
von Schwarzburg-Sondershausen geworden ist, für das Fürstenthum
Schwarzburg-Rudolstadt und das Fürstenthum Schwarzburg-Sondershaufsen
je einen, zusammen also zwei Bundesrathsbevollmächtigte ernennt. Die Reichs-
verfassung würde nur in dem Falle verändert sein, wenn er alsdann nur einen
Bundesrathsbevollmächtigten ernennen dürfte (vgl. allerdings auch die Verhand-
lungen im preußischen Abgeordnetenhause am 11. December 1867 bei Gelegenheit
des sog. Accessionsvertrages mit dem Fürstenthum Waldeck vom 18. Juli 1867
in den Sten. Ber. des Abgeordnetenhauses 1867/68, Bd. I., S. 336—350).
Nach den Artikeln 1 und 2 der deutschen Bundesacte vom 18. Juni 1815
und Artikel 1 der Wiener Schlußacte konnten nur Souveräne, nicht vormals
Reichsunmittelbare, Mitglieder des Bundes sein und ein Stimmrecht im
Plenum ausüben. Fürst Bismarck sagte am 28. März 1871 im Reichstage
bei Gelegenheit der Frage, ob ein Oberhaus zu errichten sei (Sten. Ber. d. Reichs-
tages 1871, S. 430):
„Der Bundesrath repräsentirt bis zu einem gewissen Grade ein Ober-
haus, in welchem Se. Majestät von Preußen primus inter pares ist, und
in welchem derjenige Ueberrest des hohen deutschen Adels, der seine
Landeshoheit bewahrt hat, seinen Platz findet.“
Damit steht es im Einklang, daß die vormals Reichsunmittelbaren weder für
ihre Person Mitglieder des Bundesraths find, noch Bevollmächtigte zum Bundes-
rathe ernennen können. (Vgl. hierzu die abweichende, von Professor Bischof
verfaßte Denkschrift, betreffend das Gesammthaus Schönburg und dessen An-
rechte auf Einräumung von Sitz und Stimme im hohen Bundesrathe des Nord-
deutschen Bundes, Gießen 1871.)