Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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kamen mit der immer schrankenloseren Entfesse- 
lung der Besitzübermacht (Lehre von der sog. wirt- 
schaftlichen Freiheit) jene Gegensätze zwischen Be- 
sitz und nackter Arbeit (die im alten Bürgertum 
des deutschen Rechts regelmäßig vereint zu sein 
hatten) auch in Deutschland zum Vorschein, und 
so wird denn von den Anhängern der Sozial- 
demokratie der Arbeiterstand zum „Bürgertum“ 
in einen gewissen Gegensatz gebracht und die 
Bourgeoisie als der Vertreter der süpitalisiischen 
Produktionsweise hingestellt und bekämpft. 
ist Aufgabe der Sozialpolitik, die künstlich, d. h 
durch unkluge Gesetze entstehende Erweiterung der 
Kluft von arm und reich um jeden Preis zu ver- 
hüten und die breiten Schichten der mittleren 
Klassen und damit auch jenes Bürgertum zu be- 
wahren, welches väterliches Erbe mit eigenem 
Schweiß zu befruchten genötigt ist, um im Wohl- 
lm zu leben bzw. seine höheren Pflichten zu 
erfüllen. 
Carey. 
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Literatur. Hegel, Gesch. der Städteverf. von 
Italien (2 Bde, 1847); Riehl, Die Naturgesch. des 
Volks als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik 
(II: Die bürgerliche Gesellschaft (?18971); Nitzsch, 
Ministerialität u. Bürgertum (1859); Maurer, 
Gesch der Städteverfass. (4 Bde, 1866/71); Kriegk, 
Frankfurter Bürgerzwiste (1862); Henzler, Ur- 
sprung der deutschen Stadtverfaff. (1872);zv. Below, 
Entstehung der deutschen Stadtgemeinde (1889); 
Koslik, Bürgerrecht in den preuß. Provinzen (1888); 
Steffenhagen, Städt. Verfassung u. „Verwaltung 
(1888); Sohm, Entstehung d. deutschen Städtewesens 
(1890) zv. Below, Ursprung der deutschen Stadtver- 
fassung (1892); ders., Das ältere deutsche Städte- 
wesen (1898); ders., Art. „Bürger, Bürgertum“ im 
Handwörterbuch der Staatswissensch, II (21899); 
Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der 
deutschen Stadtverfassung (1895); Rietschel, Markt 
u. Stadt (1897); H. Joachim, Gilde u. Stadtge- 
meinde in Freiburg i. Br. (1905); Schröder, 
behrbuch der deutschen Rechtsgesch (21907) § 51; 
fzadauch die wichtigste Lit. über die einzelnen 
tde [Bruder, rev. Beyerle.) 
  
  
C. 
Carey, Henry Charles, hervorragender 
Georges mit dem Westen derselben. Nicht eine 
amerikanischer Publizist und Nationalökonom, ist Prüfung des theoretischen Werts der Definitionen 
geboren zu Philadelphia am 15. Dez. 1793, Sohn Careys darf den endgültigen Maßstab seiner Lei- 
eines aus Irland ausgewanderten Buchhändlers l stungen bilden, sondern nur die Praxis des 
Matthew Carey, wurde 1814 Associé seines Va- 
ters und seit 1821 Chef der großen Verlagsfirma 
Carey & Lea. In buchhändlerischen Kreisen hat 
sich Carey durch die Einführung der Verlags- 
auktionen (Trade sales) zum Zweck gesteigerten 
Bücherabsatzes bekannt gemacht. Im Jahr 1835 
konnte er sich vom Geschäft zurückziehen und aus- 
schließlich der schriftstellerischen Tätigkeit widmen, 
wozu er sich durch Selbststudium, weniger durch 
streng wissenschaftliche systematische Schulung vor- 
bereitet hatte. Er war ein origineller Denker, der 
mit seiner literarischen Arbeit praktische Ziele ver- 
trat, bei seinen Mitbürgern ungemeines Ansehen 
errang und dessen Hauptbücher in viele Sprachen 
übersetzt wurden. Mit seiner praktischen Richtung 
hängt die ungeheure Menge seiner Publikationen 
zusammen, von denen die Hälfte auf Zeitungs- 
artikel und Broschüren (57) entfällt. Carey starb 
im 86. Lebensjahr in Philadelphia am 13. Okt. 
1879. 
Man wird Carey, wie Schmoller (Jahrb. für 
Gesetzgeb., Verwalt. u. Volkswirtsch. 1886, 583) 
bemerkt, nur dann gerecht, wenn man zu zeigen ver- 
sucht, wie aus dem engen Kreis gewisser vorherr- 
schender Anschauungen heraus ein ganzes Lehr- 
gebäude erstand, dessen Sätze, z. B. die Schutzzoll-, 
Grundrenten-, Lohntheorie, nur folgerichtige Kon- 
sequenzen jener Anschauungen sind und ebenso 
innig mit den Zuständen im Osten der Vereinigten 
Staaten zusammenhängen wie die Theorien Henry 
Lebens und seiner Bedürfnisse. 
Der praktischen Untergrund der in Careys Prin- 
ciples of political economy und brinciples 
of social science niedergelegten Lehre bildet 
das Streben des Verfassers, den amerikanischen 
Gewerbefleiß der englischen Industrie gegen- 
über zu schützen; dabei kamen ihm, dem „ameri- 
s kanischen List“, seine irische Antipathie gegen Eng- 
land und sein amerikanischer Sinn für födera- 
listische Freiheit und lokale Mannigfaltigkeit zu 
Hilse. Der amerikanischen Industrie hatte erst 
der Krieg von 1812/14, zusammen mit den vor- 
angegangenen Erschwerungen des Verkehrs einen 
größeren Anstoß gegeben. Die Finanznot nötigte 
zu außergewöhnlichen Zollerhöhungen, und die 
Industrie der Neuenglandstaaten erfuhr dadurch 
und durch die Unterbrechung des Verkehrs mit 
Europa eine starke Förderung. Als nach dem 
Ende des Kriegs die Einfuhren zunahmen und 
dazu niedere Zollsätze wieder eintraten (1816), 
wurden Tausende von Arbeitern brotlos, was an 
Industrieschutz zu denken zwang. Von 1820 an 
wich die Tariffrage nicht mehr von der Tages- 
ordnung infolge der nicht rastenden Bemühungen 
für Schutzzoll seitens des sich immer mehr der 
Industrie zuwendenden Nordens der Vereinigten 
Staaten. In den heftigen Debatten um die 
Schutzzollrevision von 1824 traten die Pflanzer- 
staaten für den Freihandel ein, da sie außer ihren 
großen Stapelartikeln für die Ausfuhr nichts er-
	        
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