Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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für Zivilisation und allgemeine Wohlfahrt zu 
gelten. Gleicher Zweifel gilt dem „Gesetz“, daß 
in den Anfangsperioden geringe Sicherheit um 
den Preis schwerer Steuern gewonnen werde, 
dagegen wenn die Beschäftigungen sich vervielfäl- 
tigen und die Menschen mehr in den Stand ge- 
setzt werden, sich zu vereinigen, die Sicherheit zu- 
nehme und um geringeren Preis gewonnen werde, 
wie die Entfaltung der Geschichte bis zur Gegen- 
wart beweise. 
Größere Wichtigkeit für spätere national- 
ökonomische Polemik haben Careys Aufstel- 
lungen über das gegenseitige Verhältnis von 
Kapital und Arbeit erlangt. Die hohen 
Gewinne (Höhe im Verhältnis zum Anteil des 
Arbeiters gedacht) sind nach Carey das Kenn- 
zeichen einer noch unentwickelten oder einer rück- 
schreitenden Volkswirtschaft, da sie Wirkung eines 
Wirtschaftsbetriebs sind, der auf unmittelbare 
oder mittelbare, politische oder soziale, juristische 
oder wirtschaftliche Sklaverei gegründet ist, weil 
im Lauf der Zeit das Werkzeug der Produktion, 
das Kapital, an Macht über die Arbeit immer 
mehr einbüße. Der Beweis, daß sich die politische 
Okonomie bisher in diesem Sinn entwickelt habe, 
ist ganz ungenügend auf wenige statistische Notizen 
basiert: Brutus nahm 40 Prozent, Heinrich VIII. 
gestattete 10 Prozent, jetzt nimmt man in England 
höchstens 4 Prozent (Grundlagen Kap. 41). Dabei 
unterläuft noch der Fehler der Verwechslung von 
Quote des Gesamtertrags der mit Hilfe des Ka- 
pitals zu verrichtenden Arbeit — mit Quote im 
Sinn von Zinsfuß, d. h. Kapitaleinkommen im 
Verhältnis zum Kapitalstock (s. v. Böhm--Bawerk, 
Kapital und Kapitalzins I1884) 181 ff). Richtig 
bleibt Careys Ansicht, daß über den Grad der von 
einer Volkswirtschaft erreichten Vollkommenheit 
die Stellung und Lage der Arbeit entscheide; falsch 
dagegen ist, daß dies bis zur Stunde auch be- 
obachtet werden könne und nur die Freihandels- 
länder eine Ausnahme bilden. Friedr. Alb. Lange, 
der erste umfassende Kritiker Careys, der jedoch 
dessen trotz aller Phrasen vorhandene Genialität 
nicht genügend würdigt, beeilte sich, zu zeigen, daß 
die Arbeit eben überall, wo sich die Industrie bis- 
her im großen Maßstab entfaltet habe, mehr und 
mehr dem Proletariat verfalle (Lange, Mills An- 
sichten über die soziale Frage (1865.). 
Gerade das eben berührte „Gesetz“ der Inter- 
essenharmonie von Kapital und Arbeit wurde 
in dem infolge des Sozialismus entbrannten gei- 
stigen Kampf zur Verteidigung der seit 1789 
geschaffenen Gesellschaftsordnung verwertet, ob- 
wohl er selbst noch keine Ursache hatte, den So- 
zialismus besonders hervorzuheben, und obwohl 
man in seinen Schriften diesbezügliche Fragen 
über Arbeitseinstellung, Staatshilfe u. dgl. ver- 
geblich sucht. — Im Gegensatz zu Malthus' und 
Ricardos rücksichtslosen, für die Stellung der 
Arbeit ungünstigen Darstellungen beharrte Carey 
in optimistischen Anschauungen. Die Tendenz zur 
Carey. 
  
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Gleichheit nehme von Tag zu Tag zu. Das In- 
teresse von Kapital und Arbeit stehe im Einklang, 
denn bei wachsender menschlicher Geschicklichkeit 
und wachsender Produktivität der Arbeit gewännen 
beide. Der Unternehmer erhalte zwar einen ge- 
ringeren Bruchteil, aber obwohl dieser Bruchteil 
sinke, steige dennoch sein Gesamtgewinn; das Ka- 
pital nämlich, also das Werkzeug, womit der 
Mensch die Kraft erwirbt, die Naturkraft seinem 
Dienste zu unterwerfen, erhalte in den Anfangs- 
stadien der Gesellschaft eine beträchtliche Quote 
des Gesamtertrags der mit Hilfe des Kapitals zu 
verrichtenden Arbeit, und zwar eine beträchtlichere 
Quote als später, wo durch die wachsende Geschick- 
lichkeit die Reproduktionskosten im allgemeinen, 
also auch die des Kapitalwerkzeugs, sinken. Das 
erste Messer von Stein z. B. war die Frucht einer 
weit schwereren Arbeit, als man später zur An- 
fertigung eines Messers von Erz nötig hatte. Das 
nützlichere Werkzeug wird um den Preis einer viel 
geringeren Arbeit erlangt, als man früher für das 
schlechtere gegeben hatte, folglich sinken die älteren 
Werkzeuge (und ährlich sei es infolge der land- 
wirtschaftlichen Verbesserungen auch mit dem Grund 
und Boden) im Wert. Der Kapitalist gewinne 
dadurch, daß er beständig zunehmende Quantität 
erhalte, die sich aus einer zwar stets abnehmenden 
Ouote, aber von einem beständig steigenden Er- 
trag ergebe; der Arbeiter aber gewinne noch weit 
mehr, da er eine stets zunehmende Quote von dieser 
vermehrten Quantität erhalte. · 
Die dargelegten Daten von der Harmonie der 
Interessen zwischen Kapital und Arbeit gaben dem 
Franzosen Bastiat in seinem Kampf gegen den 
Sozialismus mannigfache Anregung und treffliches 
Material zu seinen Harmonies économiques, 
um die vom Sozialismus bedrohten Einrichtungen 
zu schützen. Daran erinnert Bastiats Rechtfertigung 
des Zinses, seine Darstellung der Harmonie zwi- 
schen Kapital und Arbeit, die Anwendung der 
Arbeitstheorie auch auf das Grundeigentum, die 
Verwerfung der unverdient erscheinenden Grund- 
rente. Den Tauschwert der Grundstücke führt 
Bastiat auf die verwendete Arbeits= und Kapitals- 
menge zurück, die Ungleichheit der Grundstücks- 
erträge auf die Ungleichheit der aufgewendeten 
Arbeits= und Kapitalsmengen, ein, wie nament- 
lich das städtische Grundeigentum und die Wichtig- 
keit der Verkehrslage zeigt, mißlungener Versuch. 
Nicht viel günstiger steht es mit dem später auch 
in Deutschland von Max Wirth und Schulze- 
Delitzsch verwerteten Satze, daß die Lage der Ar- 
beiter mit steigendem Nationalreichtum von selbst 
immer besser werde. Die Interessen von Arbeit 
und Kapital ständen im Einklang, denn beide ge- 
wännen stets mehr, der Unternehmer erhalte zwar 
einen geringeren Bruchteil, aber obwohl dieser 
Bruchteil sinke, steige dennoch sein Gesamtgewinn. 
Dabei wird, wie abermals Lange richtig bemerkt, 
die vom Gesamtertrag auf die Arbeit entfallende 
Ouote mit der Lage des einzelnen Arbeiters ver-
	        
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