411
der nach vorhergehenden Verhandlungen schließlich
erfolgenden Willenseinigung sachlich zum Aus-
druck gebracht. Für die Vertragsmöglichkeit zwi-
schen Staat und Kirche ist erforderlich und aus-
reichend, daß beide Teile voneinander unabhängige
Rechtsgebiete haben, auf die ein Rechtsanspruch
dem andern Teile nicht zusteht. Es ist dagegen
nicht erforderlich, daß Staat und Kirche absolut
und in jeder Beziehung koordiniert seien. Die
Absicht beider Teile sodann, durch die Verhand-
lungen eine gegenseitige Bindung herbeizuführen,
ist so offenkundig, daß man gegenüber dem Ver-
such, dieses zu leugnen, sagen muß: mit solcher
Interpretation kann man wohl alle Verträge
überhaupt aus der Welt schaffen. (Vgl. hierzu
die zutreffenden Ausführungen Hüblers La. a. O.
III 281] gegen Sarwey, der jede Absicht des
Staates, sich zu verpflichten, bestritten hatte.)
Ganz entsprechend der geschichtlichen Praxis bei
Abschluß von Konkordaten schreibt Leo XIII. In-
cidunt autem duandoque tempora, cum alius
duodue concordiae modus ad tranquillam
libertatem valet, nimirum, si qui principes
rerum publicarum et Pontifex Romanus dere
aliqua separata in idem placitum consenserint
(Enzykl. Immortale Dei vom 1. Nov. 1885;
gegen den Versuch, diese klaren Worte in ihrer
Bedeutung als vertragsmäßige Einigung herab-
zudrücken, wendet sich mit Recht Cathrein a. a. O.
II 633). In allerneuester Zeit hat der Apostolische
Stuhl wiederholt das französische Konkordat als
Vertrag und das Verhalten der französischen Re-
gierung als Vertragsbruch bezeichnet.
6. Aus dem Vertragscharakter der Konkordate
ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Es
geht nicht an, den Inhalt der Konkordate zu unter-
scheiden in Vertragsrecht und in päpstliche Privi-
legien. Durch die Aufnahme in den Konkordats-
vertrag nehmen selbst materielle Privilegien den
Charakter von formellem Vertragsrecht an. Gewiß
enthält jedes Konkordat kirchliche Zugeständnisse,
auf die der Staat an sich absolut keinen Rechts-
anspruch hat, aber das liegt ja eben in der Natur
des Vertrages, daß man dem andern vertrags-
rechtlich etwas zusichert, auf das er an sich keinen
Anspruch hat. Weil das Konkordat Vertragsrecht
ist, steht es auch keinem der beiden Teile zu, ein-
seitig eine authentische Erklärung des Konkordats
zu geben. Eine Auflösung des Konkordats kann
formal rechtlich durch Kündigung seitens eines
Teiles nur erfolgen, wenn dies ausdrücklich in den
Vertragsbedingungen vorgesehen ist. Ist letzteres
nicht der Fall, so ist für Anderung und Auflösung
des Konkordates der Weg gütlichen Ausgleiches
geboten. Kommt dieser Ausgleich nicht zu stande,
so kann trotzdem weder Staat noch Kirche durch
das Konkordat gebunden sein, wenn durch Fort-
bestand des Konkordates unter veränderten Ver-
hältnissen das Lebensinteresse eines Teiles verletzt
und die Inangriffnahme kirchlicher bzw. staatlicher
Aufgaben verhindert würde; es müßte in diesem
Konkordate.
412
Falle jedem Teile der einseitige Rücktritt gestattet
sein. Freilich ist diese Klausel rebus sic stanti-
bus, die jedem Konkordat stillschweigend beigesetzt
ist, ein „zweischneidiges Schwert“ (Hübler a. a. O.
III 434) und „es ist oft recht schwer zu ent-
scheiden, ob die Durchführung oder Erhaltung des
durch das Konkordat normierten Rechtszustandes
wirklich, wie behauptet, unmöglich gewesen, und
ob wohl gar Staat wie Kirche durch einseitigen
Rücktritt vom Konkordate nur ein Gebot der
Selbsterhaltung erfüllt haben“ (Scherer a. a. O.
1 1, 157).
Mit der Klausel rebus sic stantibus ist über-
haupt ein gewisses Moment der Unsicherheit in der
Geltungsdauer der Konkordate anerkannt. Die
Folgerung daraus ist jedoch nicht die, daß Kon-
kordate überhaupt ihren Zweck, dauernde Reg-
lungen zu schaffen, nicht erreichen könnten. Wohl
aber ergibt sich aus dieser Einsicht für beide Teile
beim Abschließen von Konkordaten die Notwendig-
keit, sich selbst zu bescheiden und alle Abmachungen
zu vermeiden, die über kurz oder lang als Behin-
derung der von beiden Teilen absolut zu fordern-
den Lebensfreiheit aufgefaßt oder als im geschickten
Zeitpunkt erzwungene Zugeständnisse empfunden
werden müßten. Leichter wird sich das erreichen
lassen bei Konkordaten, die am Schluß eines
langen kirchenpolitischen Kampfes den beiderseits
ersehnten Frieden schaffen; zahlreicher sind die
Klippen für beide Teile, wenn zu Zeiten der ge-
sellschaftspolitischen Schwäche des einen Teils ein
kirchenpolitisches System konkordatsmäßig festge-
legt werden soll.
Wird diese Vorsicht und Zurückhaltung beim
Abschluß von Konkordaten beachtet, dann sind sie
wohl geeignet, als sachliche Grundlage eines fried-
lichen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu
dienen und Willkür der Menschen in Staat und
Kirche hintanzuhalten. Je mehr im Volke die
Erkenntnis vorhanden ist, daß die Kirche nicht zu
viel verlangt hat und daß der Staat grundsätzlich
wenigstens nicht einfach abzulehnende Interessen
im Vertrag mit der Kirche sich sichern wollte, um so
größere Dauerhaftigkeit wird ein Konkordat haben.
Auch ein solches Konkordat entbehrt zwar der
eigentlich rechtlichen Zwangsgarantien seines Be-
standes, aber es hat als Stütze zur Seite das, was
man als soziale Garantien des öffentlichen Rechts
bezeichnet hat; diese aber bilden den wichtigsten
tatsächlichen Schutz alles öffentlichen Rechts, auch
auf dem Gebiete des Verhältnisses von Staat und
Kirche (vgl. Jellinek a. a. O. 1 769). Leicht ist die
Aufgabe, ein Konkordat abzuschließen, gerade nicht;
aber sie läßt sich erfüllen. Was unter allen Um-
ständen Voraussetzung eines jeden friedlichen Ver-
hältnisses zwischen Kirche und Staat ist, das muß
eben auch verlangt werden beim Abschluß von Kon-
kordaten: „beiderseitiger guter Wille, gepaart mit
Verständnis für die Interessen und Ansprüche des
andern Teiles“ (Scherer a. a. O. 1 1, 58). „Die
gegebenen historischen Verhältnisse, der Geist der