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immer der Fall, da die Preispolitik des Kartells
manchmal auch durch die Außenkonkurrenz be-
einflußt wird —, ist es an sich wohl ein geschäft-
licher Vorteil. Aber auch dieser Vorteil ist wieder
zweifelhafter Art, denn die Preise werden dann
eben auch in Zeiten rückläufiger Konjunktur durch
das Kartell hochgehalten. So konnte sich das
Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat im Jahre
1902 bei niedergehender Konjunktur nicht recht-
zeitig dazu entschließen, die Preise herabzusetzen,
und später hat sich das wiederholt. Industrie und
Handelzkreise sowie Blätter, die nicht im Verdacht
der Kartellgegnerschaft stehen, haben dieses Ver-
halten scharf verurteilt. Dazu kommt nicht selten,
daß das Kartell seine Abnehmer zu ungünstigen
Geschäftsabschlüssen nötigt. Es sei nur erinvert
an die Lieferungsverträge, durch welche die Ab-
nehmer gezwungen wurden, eventuell höherwertige
Sorten, als sie bestellt haben, zu entsprechend
höheren Preisen abzunehmen. Unter Umständen
schädigt ein Kartell das andere; man braucht nur
an die Reibereien zu erinnern, welche der wirt-
schaftliche Niedergang nach 1900 zwischen dem
Nheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat und dem
Roheisensyndikat herbeiführte.
Am meisten werden jedoch von den ungünstigen
Wirkungen dieser Art diejenigen Unternehmungen
betroffen, welche konsumfertige Produkte herstellen.
Diese Unternehmungen sind aus oben angeführten
Gründen selbst am wenigsten in der Lage, sich
ebenfalls zu kartellieren, so daß es ihnen auch er-
schwert ist, die Verteurung der Rohstoffe usw.
durch entsprechenden Preisaufschlag von sich ab-
zuwälzen. Unter solchen Umständen muß die
Rentabilität und die Konkurrenzsähigkeit der be-
troffenen Industriezweige auf dem in- und aus-
ländischen Markte schwer leiden, zumal wenn die
betreffenden Rohstoffe ins Ausland billiger ge-
liefert werden wie den inländischen Abnehmern.
Kohle und Eisen kommen in dieser Hinsicht be-
sonders in Betracht. Bei der kontradiktorischen
Verhandlung anläßlich der amtlichen deutschen
Enquete wurde von Interessenten behauptet, daß
der Stahlwerksverband im Jahre 1902
große Mengen deutsche Knüppel in den Export-
häfen Antwerpen, Rotterdam usw. die Tonne zu
72 M angeboten habe, während die deutschen Ab-
nehmer 90 M' zahlen mußten, und die Syndikat-
vertreter mußten das im wesentlichen auch zugeben.
Es steht ferner fest, daß den englischen Schiffs-
werften am Tyne Stahlpanzer und Bleche um
4 M billiger angeboten wurden, als sie in Eng-
land selbst erhältlich waren.
Der Drahtstifteverband hat in einem
Jahre (1900) bei seinen Lieferungen nach dem
Auslande 859 000 M eingebüßt, die natürlich
durch entsprechende Preiserhöhung im Inlande
wieder eingebracht werden mußten; die ausländi-
schen Abnehmer zahlten 14 M, die deutschen 25 M
für den Doppelzentner. Der nicht mehr existierende,
sondern inzwischen im Kohlensyndikat aufge-
Kartelle.
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gangene Westfälische Koksverband hat in der Zeit
von 1898 bis 1902 an österreichische Werke Hoch-
ofenkoks für 8,10 M pro t verkauft, während die
deutschen Abnehmer 17 M bezahlen mußten. Die
Folgen dieser Differenzierung der In-
land-gegen die Auslandpreise sind die
Großziehung der ausländischen Konkurrenz und
zum Teile sogar die Verdrängung der inländischen
Industrie nach dem Auslande. Haben doch bei
den erwähnten kontradiktorischen Verhandlungen
die Vertreter der Roheisenverbände zugeben müssen,
daß die rheinische Schiffbauindustrie zum größten
Teile nach Holland übergesiedelt sei, weil sie dort
ihre Platten und Bleche auf dem syndikatsfreien
Markte billiger aus Deutschland bezieht, als wenn
sie in Deutschland selbst ansässig wäre.
Die Lage der weiterverarbeitenden
Industrie unter dem Drucke der Nohstoffver-
bände schildert eine Resolution des Bundes der
Industriellen (Hauptversammlung vom 23. Nov.
1908), in der es u. a. heißt:
„In der willkürlichen Verteilung wichtiger Roh-
stoffe, insbesondere von Kohle, Eisen und Halbzeug,
owie in der übermächtigen Stellung be-
stimmter Rohstoffsyndikate und in ihrer
Preispolitik erblickt der Bund der Industriellen
eine schwere Gefährdung der weiterverarbeitenden
Industrie. Die Walzwerke und sonstigen Halbzeug-
verbraucher sind gegenwärtig durch die Preispolitik
besonders des Stahlwerksverbandes und der großen
gemischten Werke in eine schwere Notlage, teilweise
fast zum Ruin gebracht worden. Der Bund der
Industriellen fordert daher von der Regierung ge-
eignete Notstandsmaßregeln zum Schutze jener
Werke. Der Bund der Industriellen hält es ferner
für notwendig, mit allem Nachdruck an das Kohlen-
syndikat die Aufforderung zu richten, in seinen
Preisfestsetzungen auf die Bedürfnisse der Kohle
verbrauchenden Industrie mehr Rücksicht zu nehmen
und die Rückschläge des Geschäftsganges mehr als
bisher zu berücksichtigen. Das Festhalten der teuren
Kohlenpreise trotz des scharfen Rückganges der Kon-
junktur ist von der gesamten verarbeitenden In-
dustrie als Notstand empfunden worden und hat
in der Tat viele Unternehmungen beeinträchtigt."“
Die Machtstellung der großindustriellen Kartelle
hat ferner der Zwischenhandel an sich erfahren
müssen. Selbst wo die Zwischenhändler ebenfalls
organisiert auftreten, sind ihnen die kartellierten
Unternehmer in der Regel überlegen, zumal diese
durch Vertrieb ihrer Produkte in eigener Regie
den Zwischenhandel ganz umgehen können. Zum
großen Teil wird letzterer von den Kartellen zum
bloßen Agenten gemacht, dem manchmal sogar die
Preise für den Wiederverkauf vorgeschrieben
werden. Eine Monopolisierung des Zwischen-
handels wird von den Kartellen, z. B. vom Rhei-
nisch-Westfälischen Kohlensyndikat, meist begünstigt,
um die Annehmlichkeit des Geschäftsverkehrs mit
wenigen Abnehmern zu erlangen.
Für die Konsumenten endlich, d. h. die letzten
Verbraucher kartellierter Artikel bzw. solcher, bei
deren Herstellung kartellierte Rohstoffe oder Halb-