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geliehenen Geldsummeim Gegensatze zu den Zinsen,
dann zinstragende Geldsumme überhaupt. Eine
andere Bedeutung des Wortes ging auf den Vieh-
stand (englisch cattle), eine Auffassung, die auf
den ersten Blick absonderlich erscheint, jedoch, wie
sich zeigen wird, tiefer auf das wahre Wesen des
Kapitals eindringt. Mit dieser etymologischen
Betrachtung des Wortes ist zunächst das Ver-
ständnis von der noch heute gangbaren populären
Auffassung des Wortes Kapital gegeben. Denn
die volkstümliche Sprache ist dieser ursprünglichen
Bedeutung bis heute treu geblieben, indem sie den
Namen Kapital vorzugsweise auf werbend angelegte
Geldsummen anzuwenden liebt (Böhm-Bawerk).
Zwei Vorstellungen sind in dieser Beziehung im
Umlauf. Man bezeichnet heute entweder überhaupt
das Geld als Kapital, während doch gewiß ist,
daß die blanken Gulden= und Talerstücke, welche
unsere Vorfahren vorsorglich in ihren Truhen auf-
bewahrten, kein Kapital darstellten, wenngleich sie
als Reservefonds auch wirtschaftlich einen Wert
besaßen. Geld als solches — um das gleich von
vornherein zu bemerken — ist niemals Kapital,
sondern lediglich ein Mittel, um sich unter bestimm-
ten wirtschaftlichen Verhältnissen Kapital zu be-
schaffen. In einem engeren Sinne dagegen wäre
dem vulgären Sprachgebrauche zufolge Kapital die
beim Darlehen gegebene Summe.
Fragen wir bei den Vertretern der Wirtschafts-
wissenschaft an, so sind hier die Meinungsver-
schiedenheiten noch zahlreicher. Es ist bereits des
öfteren beklagt worden (vgl. Kleinwächter, Die
volkswirtschaftliche Produktion im allgemeinen, in
Schönbergs Handbuch der pol. Okonomie II/1896!
202), daß jeder Nationalökonom sich einen
eigenen Kapitalbegriff zurechtlegt; dadurch wächst
die Zahl der Begriffsbestimmungen ins Ungeheure.
Wir lassen uns hier auf keine Kritik der zahlreichen
Differenzen ein. Eine kurze Übersicht über die
bemerkenswertesten Definitionen bietet Roscher,
Grundlagen der Nationalökonomie (211904.
Im allgemeinen hat man sich auf folgende De-
finition des Kapitalbegriffes bzw. auf zwei be-
deutungsvolle Unterscheidungen desselben geeinigt.
Man versteht nämlich unter Kapital: a) einen
Vorrat von Produkten, welche ihrem Besitzer als
Mittel privatwirtschaftlichen Erwerbes oder zur
Bildung von Einkommen dienen (Erwerbskapital),
b) enger gefaßt: einen Vorrat von Produkten,
welche als Mittel einer ferneren Produktion
dienen (Vorrat von produzierten Produktions-
mitteln, Produktivkapital).
Es wird sich empfehlen, diese beiden Arten
auseinanderzuhalten, wenngleich viele sich mit
der Bestimmung des Kapitals begnügen als eines
Mittels, das zu weiterer Produktion verwendet
wird. So lautet die Begriffsbestimmung Roschers:
„Kapital nennen wir jedes Produkt, welches zu
fernerer Produktion (auch zu planmäßigem
späteren Gebrauche) aufbewahrt wird."
Den beiden hier unterschiedenen Arten von
Erwerbs= und Produktivkapital liegt als Ge-
meinsames zugrunde, daß sie nicht Geldsummen,
sondern Vorräte von Gütern irgend welcher Art
umfassen, falls dieselben sich nur als „Produkte"“
charakterisieren, woraus sich ergibt, daß diejenigen
Güter, welche nicht Produkte sind, nicht als Ka-
pital zu gelten haben. Grund und Boden sowie
die persönlichen Arbeitsleistungen scheiden demzu-
folge aus dem Kapitalbegriffe aus, obwohl die
über diesen Punkt geführten Kontroversen noch
keineswegs ausgetragen sind.
Gemeinsam ist ferner die Zwecksetzung, die
mit dem Kapitalbegriffe verbunden ist. Dieselbe
liegt nämlich in der Verwendung der Produkte zu
irgend einer Art der Gütergewinnung im Gegen-
satze zu den Zwecken des unmittelbaren Lebens-
genusses, ein Merkmal, durch welches sich der Be-
griff des Kapitals von dem des „Genußvermögens"
(auch fälschlich Genuß- oder Gebrauchskapital ge-
nannt) unterscheidet. Dagegen weichen die beiden
Kapitalbegriffe voneinander ab durch die Art der
Gütergewinnung, auf welche sie Bezug nehmen.
„Der weitere der beiden Begriffe, der des Er-
werbs= oder Privatkapitals, setzt nämlich nur die
Widmung zu irgend einer Art des Gütererwerbes
voraus, der nicht gerade durch Produktion, son-
dern z. B. auch durch Tausch, Verleihen oder Ver-
mieten statthaben kann, während der engere Be-
griff, der des Produktiv= oder Sozialkapitals,
die speziellere Widmung zur Gütererzeugung
oder Produktion zur Voraussetzung hat“ (Böhm-
Bawerk, Kapital 19). U
Genannte Unterscheidung ist durchaus nicht ohne
Belang für eine präzise wissenschaftliche Erfassung
des Kapitalbegriffes, vielmehr ist die unterschieds-
lose Benennung beider Arten mit dem gleichen
Worte Kapital ein Anlaß für zahlreiche Irrtümer
geworden, indem man die Rentenquelle Kapital
als identisch mit dem Produktionsfaktor Kapital
betrachtete und eine nähere und unmittelbarere
Beziehung zwischen der rentetragenden Kraft des
Kapitals und seiner Mitwirkung an der Produk-
tion annahm, als tatsächlich besteht (a. a. O. 20).
Die meisten volkswirtschaftlichen Schriftsteller
wollen, wie Kleinwächter sagt, den Begriff des
Kapitals konkret auffassen und lehren dement-
sprechend, es seien die betreffenden Güter, die der
Produktion dienen, also die Produktionswerkzeuge
bzw. die dem Erwerbe dienenden Güter selbst
Kapital. Damit wurde jedoch ein gewisser Wider-
spruch in die Lehre vom Kapital hineingetragen.
Denn diese Auffassung des Kapitalbegriffes ent-
fernt sich von dem Sprachgebrauche des täglichen
Lebens. „Man pflegt bekanntlich im gewöhnlichen
Leben zu sagen: in diesem Hause, Landgute, Ge-
schäfte, in diesem Wohnungsmobiliar, in dieser
Gemäldesammlung, in diesem Schmucke usw.
stecktt ein Kapital von so und so viel, jemand hat
sein Kapital in Grundstücken, Häusern, Berg-
werken, Fabriken, Aktien, Staatspapieren u. dgl.
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