Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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(verordnende) Tätigkeit der Polizei. Erstere findet 
besonders in Strafsachen statt, insoweit der Polizei 
nach Maßgabe der Landesgesetze ein Straffeststel- 
lungsrecht zusteht. Diese hat in Deutschland unter 
den in den §§ 453/458 der St. P.O. vorgesehenen 
Normativbedingungen das Recht, eine in den Straf- 
gesetzen angedrohte Strafe oder eine etwa ver- 
wirkte Einziehung zu verhängen. Dieses Recht 
erstreckt sich nur auf Übertretungen, das höchste 
Strafmaß ist Haft bis zu 14 Tagen oder Geld- 
strafe und diejenige Haft, welche im Fall der 
Uneinziehbarkeit der Geldstrafe an Stelle der 
letzteren tritt; gerichtliche Entscheidung bleibt stets 
vorbehalten. In Preußen ist durch Gesetz vom 
23. April 1883 der Höchstbetrag der Geldstrafe 
auf 30 M, der Haft auf drei Tage festgestellt. In 
streitigen Zivilsachen hat die Polizei ebenfalls viel- 
fach die Entscheidung, z. B. in Gesindeangelegen- 
heiten, über Benutzung, Einziehung, Verlegung 
öffentlicher Wege, in Vorflut-, Stau-, Enteignungs- 
sachen. Diese Entscheidungen erfolgen nach Maß- 
gabe der Landesgesetze teils vorläufig unter Vor- 
behalt des Rechtswegs teils unter Ausschluß des 
Rechtswegs — natürlich unbeschadet des admini- 
strativen Rechts= oder Beschwerdewegs. Die legis- 
lative Tätigkeit der Polizei ist ein Ausfluß des 
Strafverordnungsrechts, welches ihr nach Maß- 
gabe und in Vollmacht der Landesgesetze zusteht. 
Es ist das Recht, allgemeine Verordnungen unter 
Androhung von Strafen zu erlassen. Der Höchst- 
betrag der Strafen ist in den einzelnen Staaten 
und für die höheren und niederen Polizeistellen 
verschieden normiert. Diese Materie ist geordnet 
in Preußen durch das Landesverwaltungsgesetz 
vom 30. Juli 1883, in Bayern durch das Polizei- 
St.G.B. vom 26. Dez. 1871, in Württemberg 
durch Polizei-St.G. B. vom 27. Dez. 1871, in 
Baden durch Polizei-St. G. B. vom 31. Okt. 1863 
bzw. Einf. Ges. zum Reichs-St.G.-B. vom 23. Dez. 
1871, in Hessen durch Polizei-St.G.B. von 1871 
und durch die Kreis= und Provinzialordnung vom 
12. Juni 1874. In Osterreich beruht das poli- 
zeiliche Verordnungsrecht auf Art. 11 des Staats- 
grundgesetzes vom 21. Dez. 1867 und ist durch 
mehrfache Einzelbestimmungen geregelt. 
IV. Rechtsmittel. Es ist eine Forderung des 
Rechtsstaats im Gegensatz zum Polizeistaat, daß 
polizeiliche Verfügungen von solchen, die sich da- 
durch beschwert erachten, in einem geregelten Ver- 
fahren angefochten werden können. Allgemein be- 
steht das Recht der Beschwerde bei der vor- 
gesetzten Dienststelle, in letzter Instanz bei dem 
Minister. Zu demselben Zweck bestehen in dem 
größten Teil Deutschlands Verwaltungsgerichte, 
vor welchen polizeiliche Verfügungen mittels einer 
Klage im Weg des Verwaltungsstreitverfahrens 
angreifbar sind. In diesen Gerichten ist meist auch 
das Laienelement vertreten durch von Selbstver- 
waltungskörpern gewählte Mitglieder. In Preußen 
sind es der Kreis= und Stadtausschuß, der Bezirks- 
ausschuß und das Oberverwaltungsgericht. Klage 
Polizei. 
  
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und Beschwerde schließen sich hier aus (8 129 des 
Landest ltungsgesetzes vom 30. Juli 1883, 
Zuständigkeitsgesetz vom 1. Aug. 1883). In 
Bayern ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit geregelt 
durch Gesetz vom 8. Aug. 1878 und 18. Aug. 
1879, in Württemberg durch Gesetz vom 16. Dez. 
1876, in Baden durch Gesetz vom 5. Okt. 1863 
unter wesentlicher Beteiligung des Laienelements, 
in Hessen durch die Kreis= und Provinzialordnung 
vom 12. Juni 1874 und Gesetz vom 11. Jan. 
1875, gleichfalls unter Beteiligung des Laien- 
elements. In Österreich besteht bloß ein admini- 
strativer Beschwerdeweg innerhalb des Verwal- 
tungsapparats, jedoch eine Rechtskontrolle durch 
den Verwaltungsgerichtshof als Kassationsinstanz. 
Derselbe kann gesetzwidrige Entscheidungen und 
Verfügungen der Verwaltungsbehörden nur kas- 
sieren, nicht reformieren (Gesetz vom 22.Okt. 1875 
über die Verwaltungsgerichte). 
Der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten 
ist im allgemeinen ausgeschlossen. Jedoch kommen 
außer den bereits erwähnten Fällen des Rechts- 
wegs gegen vorläufige polizeiliche Straf= und 
Zivilentscheidungen noch folgende Punkte in Be- 
tracht. Im Prinzip ist überall da eine Zivilklage 
vor dem ordentlichen Richter als zulässig zu er- 
achten, wo durch Polizeiverfügung ein zum Privat- 
eigentum gehöriges Recht verletzt ist. Die näheren 
Voraussetzungen einer solchen Klage sind durch 
Landesgesetz verschieden geregelt, meist sehr er- 
schwert, in Preußen durch Gesetz vom 11. Mai 
1842. Nach § 17 des deutschen Gerichtsverfas- 
sungsgesetzes vom 27. Jan. 1877 entscheiden die 
Gerichte über die Zulässigkeit des Rechtswegs, die 
Landesgesetzgebung (eventuell landesherrliche Ver- 
ordnung, 8 17, Abs. 2 des Einf. Ges.) kann jedoch 
diese Entscheidung besondern Behörden übertragen, 
wie in Preußen durch Verordnung vom 1. Aug. 
1879 dem Gerichtshof zur Entscheidung der Kom- 
petenzkonflikte. In Osterreich ist zur Entscheidung 
von Kompetenzkonflikten zwischen Justiz und Ver- 
waltung das Reichsgericht berufen. 
Sodann steht grundsätzlich demjenigen, welcher 
durch die Polizeibehörde unter Mißbrauch der 
Amtsgewalt geschädigt ist, eine Regreßklage auf 
Schadenersatz zu. Auch die Anstellung und 
Durchführung dieser Klage ist landesgesetzlich ver- 
schieden geregelt, zum Teil sehr erschwert, vielfach 
an die Vorentscheidung einer besondern Behörde 
gebunden. Das Einf.Ges. zum deutschen Gerichts- 
verfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 bestimmt in 
§ 11, daß die landesgesetzlichen Bestimmungen, 
durch welche die straf= oder zivilrechtliche Ver- 
solgung öffentlicher Beamten wegen der in Aus- 
übung oder in Veranlassung der Ausübung ihres 
Amts vorgenommenen Handlungen an besondere 
Voraussetzungen gebunden ist, außer Kraft treten, 
daß aber die landesgesetzlichen Vorschriften un- 
berührt bleiben, durch welche die Verfolgung der 
Beamten entweder im Fall des Verlangens einer 
vorgesetzten Behörde oder unbedingt an die Vor-
	        
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