Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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immer leicht zu ziehen, daher auch im einzelnen 
sehr verschieden gezogen worden. Der erste Ver- 
such einer Scheidung ist im französischen Code 
pénal von 1810 gemacht worden. Dieser teilte 
zuerst die strafbaren Handlungen ein in crimes, 
délits und contraventions, heute Verbrechen, 
Vergehen und Übertretungen. Später stellten die 
süddeutschen Staaten Baden (1863), Bayern 
(1871) und Württemberg (1871) eigne Polizei- 
strafgesetzbücher für die Ubertretungen auf, neben 
den Strafgesetzbüchern, welche die Verbrechen und 
Vergehen behandelten. Das preußische St. G. B. 
von 1851 hatte die Übertretungen als dritten 
Teil angehängt, während das deutsche Reichs-St.-- 
G.B. von 1870 im zweiten, besondern Teil die 
Verbrechen, Vergehen und Übertretungen gemein- 
schaftlich behandelt und den letzteren nur einen 
besondern (29.) Abschnitt widmet. Dieser Ab- 
schnitt rügt unter der Gesamtüberschrift „Über- 
tretungen“ zunächst eine Anzahl besonders be- 
handelter Straftaten, welche den Charakter von 
Polizeivergehen haben, und erwähnt sodann in 
§ 366, 10 die Polizeivergehen im engeren Sinn, 
indem er der Polizei die Vollmacht gibt, ihre 
Polizeiverordnungen mit Strafandrohungen zu 
versehen: „Mit Geldstrafe bis zu 60 M oder mit 
Haft bis zu 14 Tagen wird bestraft: 10) wer die 
zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, 
Reinlichkeit und Ruhe auf den öffentlichen Wegen, 
Straßen, Plätzen oder Wasserstraßen erlassenen 
Polizeiverordnungen übertritt.“ 
Das deutsche Reichs-St.G. B. vermeidet eine 
Definition der verschiedenen Arten strafbarer Hand- 
lungen. Es trifft die Scheidung mechanisch, 
nach Art und Höhe der angedrohten Strafe. So 
bestimmt § 1 desselben: „Eine mit Haft oder mit 
Geldstrafe bis zu 150 K bedrohte Handlung ist 
eine Übertretung.“ Ebenso sind Verbrechen und 
Vergehen nach der Strafe, mit der sie bedroht 
sind, als solche bestimmt. Durch diese rein äußer- 
liche Scheidung sind einerseits Straftaten, die 
ihrem Wesen nach Polizeivergehen sind, aber aus 
besondern Gründen strenger bestraft werden sollen, 
zu Vergehen gestempelt. Anderseits sind auch ge- 
ringere Rechtsverletzungen unter die Ubertretungen 
gestellt; so die kleinen Eigentumsvergehen des 
8 370: unbefugtes Abgraben und Abpflügen 
fremder Grundstücke, Entwendung von Genuß- 
mitteln zum alsbaldigen Gebrauch, unberechtigtes 
Fischen und Krebsen usw. Als Strafen für Über- 
tretungen kennt das Reichs-St.G.B. Geldstrafe 
bis 15, 60, 100 oder 150 M, durchgängig wahl- 
weise mit Haft, dann Haft bis zu zwei, vier 
oder sechs Wochen. Gegen Landstreicher, Trun- 
kenbolde und liederliche Weibspersonen kann nach 
§ 361 vom Richter außer Haft zugleich erkannt 
werden, daß sie nach verbüßter Haftstrafe der 
Landespolizeibehörde zu überweisen seien. Diese 
erhält dadurch die Befugnis, die verurteilte Per- 
son bis zu zwei Jahren entweder in einem Ar- 
beitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen 
Polizeivergehen ufw. 
  
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Arbeiten zu verwenden. Entsprechend dem beson- 
dern Charakter der Strafe für Übertretungen als 
Ordnungsstrafe wird neben der Absichtlichkeit auch 
stets die Fahrlässigkeit bestraft, während Versuch, 
Beihilfe und Begünstigung nach vollbrachter Tat 
wegen Geringfügigkeit der Verschuldung straflos 
eiben. 
Das staatsrechtliche Interisse der Polizeiver= 
gehen liegt vornehmlich auf dem Gebiet des Ver- 
fahrens bei Bestrafung derselben. Wenn auch 
in dem Wesen der Polizei die Befugnis enthalten 
ist, gewisse Anordnungen mit verbindlicher Kraft 
zu treffen, so liegt doch darin an und für sich 
keineswegs die Befugnis, die Verstöße gegen diese 
Anordnungen nun auch selbst zu strafen. Sonst 
wäre die Polizei in derselben Sache Gesetzgeber, 
Richter und Vollstrecker zugleich, ein Zustand, der 
den heutigen Rechtsanschauungen widerspricht. 
Auch würden alsdann die Garantien für eine 
unparteiische Rechtspflege, welche in der gesetzlich 
begründeten Unabhängigkeit des Richterstandes 
liegen, hier wegfallen. Bei Polizeivergehen kann 
darum, ebenso wie bei Verbrechen und Vergehen, 
die Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich nur den Ge- 
richten zuerkannt werden. Eine scharfe Trennung 
von Polizeiverwaltung und Polizeigerichtsbarkeit 
entspricht den heutigen staatlichen Verhältnissen in 
Deutschland, ebenso wie eine möglichst scharfe 
Trennung von Verwaltung und Rechtspflege über- 
haupt. Doch hat sich diese Erkenntnis in der 
Gesetzgebung nur vorübergehend Geltung ver- 
schaffen können. Im 18. und der ersten Hälfte 
des 19. Jahrh. waren insbesondere bei den mit 
der Patrimonialgerichtsbarkeit beliehenen Guts- 
herrschaften sowie bei den Besitzungen des Reichs- 
adels Privatverwaltung und Privatgerichtsbar- 
keit in der einen Hand des Gutsherrn vereinigt. 
Anscheinend hat schon das preußische Allgemeine 
Landrecht (II, 17, § 11 ff) von 1794 beabsich- 
tigt, diesem Zustand ein Ende zu machen und die 
Strafgerichtsbarkeit auch in Polizeisachen aus- 
schließlich richterlichen Behörden zu übertragen, 
Doch blieb dieser Gedanke hier ohne Ausführung. 
Erst durch die französische Revolution fand er seine 
Verwirklichung. Die französische Strafprozeßord= 
nung von 1808 führte die Trennung von Justiz 
und Verwaltung streng durch und übertrug auch 
die Gerichtsbarkeit in Polizeisachen ausschließlich 
den Gerichten: sie verwies die Verbrechen vor die 
Geschworenengerichte, die Vergehen vor die Zucht- 
polizeikammern der Landgerichte und die Polizei- 
vergehen vor die Friedensrichter. 
Die französische Justizverfassung wurde auch 
in den Rheinlanden, dem jetzigen Oberlandes- 
gerichtsbezirk Köln, eingeführt und bei der Besitz- 
ergreifung durch Preußen beibehalten. Eine An- 
derung in gleichem Sinn für ganz Preußen, aber 
nur für kurze Zeit, brachte das Jahr 1848. 
Art. 86 der Verfassung vom 31. Jan. 1850 be- 
stimmte: „Die richterliche Gewalt wird im Namen 
des Königs durch unabhängige, keiner andern
	        
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