219
Autorität als der des Gesetzes unterworfene Ge-
richte ausgeübt.“ Dieser Artikel hob nach seinem
Wortlaut wie nach der Absicht der Gesetzgeber die
Gerichtsbarkeit der Polizei grundgesetzlich auf und
übertrug die Aburteilung der Polizeivergehen den
Gerichten. In demselben Sinn bewegt sich das
Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März
1850. Es übertrug im § 5 für den ganzen Um-
fang der Monarchie den mit der örtlichen Polizei-
verwaltung beauftragten Behörden die Befugnis,
nach Beratung mit dem Gemeindevorstand orts-
polizeiliche, für den Umfang der Gemeinde gül-
tige Vorschriften zu erlassen und gegen deren
Nichtbefolgung Geldstrafen bis zum Betrag von
3 Reichstalern, unter Genehmigung der Bezirks-
regierung bis zum Betrag von 10 Reichstalern,
anzudrohen. Die Aburteilung der Übertretung
dieser Vorschriften übertrug es dem Richter: „§ 7.
Die Polizeirichter haben über alle Zuwiderhand-
lungen gegen polizeiliche Vorschriften zu erkennen“,
und fügte nur die Einschränkung hinzu, daß die
Richter „dabei nicht die Notwendigkeit oder Zweck-
mäßigkeit, sondern nur die gesetzliche Gültigkeit
jener Vorschriften nach den Bestimmungen dieses
Gesetzes in Erwägung zu ziehen“ haben.
Dieser Rechtszustand hatte nur Bestand, soweit
das französische Recht galt. Für die übrigen Teile
der Monarchie erging das Gesetz über die vor-
läufige Straffestsetzung wegen Ubertretungen vom
14. Mai 1852, welches die Aburteilung der Über-
tretungen wiederum dem Richter nahm und ein
Polizeistrafverfahren endgültig einführte. Die
Grundsätze desselben sind folgende: Wer die Po-
Polizeivergehen ufw.
220
fügung erlassen hat. Wenn innerhalb der zehn-
tägigen Frist kein Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung erfolgt, so ist die Strafe rechtskräftig
und wird ohne weiteres vollstreckt. Dieses Gesetz
hat durch Verordnung vom 25. Juni 1867 auch
in den 1866 neu erworbenen preußischen Landes-
teilen Gesetzeskraft erlangt. Ahnliche Bestim-
mungen ergingen in andern Staaten; so in Baden
durch das Gesetz vom 28. Mai 1864.
Eine einheitliche Reglung für das ganze Deut-
sche Reich, jedoch nicht positiv, sondern nur
limitativ, brachte die Reichsjustizgesetzgebung von
1879. Zwar bestimmte 8 1 des Gerichtsverfas-
sungsgesetzes allgemein: „Die richterliche Gewalt
wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unter-
worfene Gerichte ausgeübt."“ Doch ließ § 453 ff
der Strafprozeßordnung in dem Abschnitt „Ver-
fahren nach vorangegangener polizeilicher Straf-
verfügung“ das Strafverfügungsrecht der Polizei
wieder allgemein zu und überließ dessen Reg-
lung den Landesgesetzen mit der Maßgabe, daß
dieses Recht nur auf Übertretungen sich beziehen,
daß keine andere Strafe als Haft bis zu höch-
stens 14 Tagen, Geldstrafe bis zu 150 M und
eine etwa verwirkte Einziehung verhängt werden
dürfte; endlich daß gegen die Strafverfügung
binnen einer Woche Antrag auf richterliche Ent-
scheidung mit folgendem schöffengerichtlichen Ver-
fahren zugelassen werden müßte. Von dieser Er-
laubnis haben alle deutschen Staaten inzwischen
Gebrauch gemacht. Die meisten haben die Be-
fugnis der Polizeibehörden zum Erlaß von
Strafverfügungen auf alle Übertretungen aus-
lizeiverwaltung in einem bestimmten Bezirk aus= gedehnt, welche mit Geldstrafe bis zu 150 M und
zuüben hat (also heute für die kleinsten Verwal= Haft bis zu 14 Tagen gebüßt werden können.
tungsbezirke die Bürgermeister und Amtsvorsteher, Einige haben diese Befugnis nur auf gewisse Über-
in großen Städten die Polizeipräsidenten, für die
Kreise die Landräte), ist befugt, wegen der in diesem
Bezirk verübten, sein Ressort betreffenden Über-
tretungen die Strafe vorläufig durch einseitige
Verfügung ohne vorherige Anhörung des Be-
schuldigten festzusetzen. Diese Strafe darf 5 Taler
Geldbuße oder 3 Tage Gefängnis nicht über-
schreiten. Erachtet der Polizeiverwalter eine höhere
Strafe für gerechtfertigt, so muß die Verfolgung
dem Polizeianwalt überlassen und von diesem vor
den Gerichten durchgeführt werden. Gegen eine
solche Strafverfügung findet die Beschwerde bei
der vorgesetzten Polizeibehörde nicht statt. Es steht
aber dem Angeschuldigten frei, innerhalb zehn
Tagen nach der Zustellung auf gerichtliche Ent-
scheidung anzutragen. Dadurch tritt die polizei-
liche Strafverfügung außer Kraft, und der Richter
urteilt nun über die Sache im gewöhnlichen, für
Übertretungen festgesetzten Verfahren. Er ist be-
fugt, sowohl freizusprechen als auch auf eine an-
dere Strafe zu erkennen. Auf demselben Weg ist
die Ungültigkeit einer Polizeiverordnung geltend
zu machen, wenn etwa die Polizei bei deren
Erlaß ihre Befugnis überschritten und dann auf
Grund einer solchen Verordnung eine Strafver-
tretungen und auf ein geringeres Strafmaß, 50
oder 36 Al. beschränkt. In Preußen erging für
den ganzen Umfang der Monarchie das Gesetz
vom 23. April 1883, betreffend den Erlaß polizei-
licher Strafverfügungen wegen Übertretungen,
welches somit diese Einrichtung auch auf die Rhein-
provinz überträgt. Es schließt sich wesentlich an die
Grundsätze des preußischen Gesetzes vom 14. Mai
1852 anz es bezieht sich im allgemeinen auf alle
Übertretungen im Sinn des § 1 des R.St. G. B.
(s. oben); jedoch beschränkt es die festzusetzende
Geldstrafe auf 30 M und die Haft auf zwei Tage;
es schließt die Befugnis der Polizei aus bei Über-
tretungen, für welche die Rheinschiffahrts-, Elb-
zoll= und Gewerbegerichte zuständig sind, bei
Übertretungen der Vorschriften über die Erhebung
öffentlicher Abgaben oder Gefälle und bergpolizei-
licher Vorschriften. Trotzdem bleibt der Kreis der
polizeilichen Strafbefugnis ein sehr weiter. Er
umfaßt außer den Übertretungen des Strafgesetz-
buchs diejenigen der Gewerbeordnung, des Feld-
und Forstpolizeigesetzes, des Personenstandsge-
setzes, des Viehseuchengesetzes, die Schulversäum-
nisse usw., dann diejenigen aller Regierungs= und
Ortspolizeiverordnungen. Zuden Behörden, welche