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Verwaltungsbehörde, nicht an eine richterliche In-
stanz. Das Staatsgrundgesetz vom 21. Dez. 1867
über die richterliche Gewalt verordnete in Art. 4:
„Die Gerichtsbarkeit bezüglich der Übertretung der
Polizei= und Gefällsstrafgesetze wird durch Gesetze
geregelt.“ Der demgemäß seit 1869 betriebene
Versuch, ein kodifiziertes Polizeistrafrecht und ein
Gesetz über Kompetenz und Verfahren in Polizei-
übertretungsfällen zu schaffen, kam nicht zur Durch-
führung. 1878 wurde der Versuch vom Abgeord-
neten Lienbacher erfolglos erneuert. Seitdem ruht
die Sache.
Literatur. Koch, Polizeivergehen (1879);
Reinecke, Polizeistrafgewalt (1883); Kotering,
Polizeiübertretungen (1888); Rosin, Polizeistraf-
recht, in Stengels Handbuch der Verwaltung II
(1890); Blätter für Polizeigerichtspflege; Entschei-
dungen für deutsches Polizeistrafrecht; Rosin, Po-
lizeiverordnungsrecht in Preußen (21895); Arn-
stedt, Das preuß. Polizeirecht (2 Bde, 1905/07);
Friedel, Die polizeil. Strafverfügungen (1905);
Grotefend, Polizeihandbuch, neu bearbeitet von
Hildebrand (51906); Staudinger, Das Polizei-
strafgesetzbuch für das Kgr. Bayern, neu bearbeitet
von H. Schmitt (51904); Reger, Handausgabe der
in Bayern gültigen allgemeinen Polizeistrafgesetz-
gebung (31905); Schicker, Polizeistrafrecht u. Po-
lizeistrafverfahren im Kgr. Württemberg (71907);
Schlusser, Das bad. Polizeistrafrecht (21897);
Dorner, Kommentar zur bad. Rechtspolizeigesetz-
gebung (1902). Lienbacher, Österreich. Polizei-
strafrecht (11880); Art. „Polizei u. Polizeistraf-
recht“ von Ulbrich, in Mischler u. Ulbrichs Österr.
Staatswörterbuch (21907); Kapitel Polizeiver-
fahren in Friedmann, Sandig u. Wachs Österr.
Recht 1 (1905) 405. [(Karl Bachem.]
Portugal. I. Geschichte. Der portugiesische
Staat nahm seinen Anfang als kastilisches Lehen,
indem Alfons VI. von Kastilien im Jahr 1095
seinen Kriegsgefährten und Schwiegersohn Hein-
rich von Burgund, einen Sprossen des kapetingi-
schen Hauses, mit dem den Mauren abgenommenen
Gebiet zwischen Douro und Minho belehnte.
Schon Heinrichs Sohn Alfons I. (1112/84)
schüttelte die Lehnshoheit ab und nahm 1139 den
Königstitel an, den der Papst 1179 bestätigte.
In Lissabon gewann er 1147 eine würdige Haupt-
stadt. Bereits 1251, mit der Eroberung Algar-
ves, bekam der Staat seine heutigen Grenzen.
Portugal hatte das Glück, daß eine Reihe tüchtiger
Fürsten aufeinander folgten (besonders Sancho I.
1185/1211 und Diniz 1279/1325), die ihre
Hauptaufgabe in der Hebung des wirtschaftlichen
Lebens, guter Verwaltung und Rechtspflege er-
blickten. Nur Ferdinand I. (1367/83), der als
Bewerber um den kastilischen Thron auftrat,
mischte sich in ausländische Verhältnisse ein, was
Portugal schwer büßen mußte. Seit Sancho II.
(1223/45) war Portugal auch Seemacht; als
Lehrmeister der Schiffahrt dienten die Genuesen.
Eine neue Bahn für seine Entwicklung wies seinem
Vaterland Prinz Heinrich „der Seefahrer“, der
seit 1416 bis zu seinem Tod 1460 fast alljährlich
Portugal.
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eine Entdeckungsexpedition nach der westafrika-
nischen Küste ausrüstete und damit den Grund zur
portugiesischen Kolonialmacht legte. Johann II.
(1481/95) und Manuel d. Gr. (1495/1521)
nahmen seine Pläne wieder auf. 1486 wurde die
Südspitze, 1498 die Ostküste Afrikas und Vorder-
indien erreicht; Almeida und Albuquerque er-
oberten ihrem Vaterland ein großes Kolonialreich
in Ostindien (mit Ceylon, den Gewürzinseln der
Molukken und dem Handelsplatz Malakka). Die
Entdeckung Brasiliens durch Cabral 1500 bot
dem portugiesischen Unternehmungsgeist ein neues
großes Gebiet, für dessen Besiedlung und Aus-
beutung das Mutterland freilich zu schwach war.
Ein rascher Aufschwung des Handels und eine
außerordentliche Zunahme des Reichtums waren
die Folge dieser Entdeckungen und Eroberungen,
Lissabon wurde der erste Handelsplatz der Welt.
Da aber dadurch nicht der Arbeitsgeist in der
Heimat angeregt, sondern Luxus, Abenteuerlust
und Sucht nach schnellem Reichtum geweckt und
das Land durch Auswanderung und Aushebung
von Seeleuten und Soldaten (und gleichzeitig auch
durch die Austreibung der Moriskos) entvölkert
wurde, brachten die Kolonien auf die Dauer
keinen Segen. Seit Alfons V. (1438/81), wäh-
rend dessen Minderjährigkeit 1446 die erste Rechts-
kodifikation zustande kam, war Portugal auch öfter
daran, Marokko zu erobern. In einem tollkühnen
Krieg gegen dieses Land fiel 1578 König Se-
bastian, und als mit seinem Großoheim Heinrich
1580 das Königshaus ausstarb, ließ Philipp II.
von Spanien kraft seiner Erbansprüche das Land
esetzen.
Die spanische Herrschaft (1580/1640) kam Por-
tugal teuer zu stehen, weil es damit in den Krieg
gegen die Niederlande verwickelt wurde. Die Nieder-
länder, bisher Portugals Hauptabnehmer und
jetzt vom Lissaboner Markt ausgeschlossen, holten
die indischen Produkte am Ursprungsort und
trugen so den Krieg in die Kolonien. Portugal
verlor alle ostindischen Besitzungen bis auf Goa
und Diu und vorübergehend auch Brasilien.
Während des Aufstands in Katalonien riß sich
Portugal 1640 wieder von Spanien los unter
dem Herzog (jetzt König) Johann aus dem Haus
Bragangca, das schon 1580 Ansprüche auf den
Thron erhoben hatte; Spanien mußte die Unab-
hängigkeit Portugals 1668 anerkennen, behielt
jedoch dessen Eroberungen an der marokkanischen
Küste. Sehr verderblich für die wirtschaftliche
Entwicklung Portugals wurde der ihm von Eng-
land während des Spanischen Erbfolgekriegs 1703
aufgenötigte Methuen-Vertrag, der die Wein-
ausfuhr nach England erleichterte, aber die portu-
giesische Industrie zugunsten der englischen unter-
band und Portugal zu einer englischen Handels-
kolonie machte. Unter dem untätigen Joseph I.
(1750/77) regierte Marquis Pombal im Geist
des aufgeklärten Despotismus. Er verbesserte Heer-
wesen, Finanzen und Schulen, rief aber durch