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direkt gewählte Gemeinderäte (camara muniei-
pal), und zwar aus 9 Verordneten oder Beisitzern
in den Gemeinden erster Ordnung (die mit 40000
und mehr Einwohnern), 7 in denen zweiter Ord-
nung (die mit 15 000 und mehr Einwohnern) und
5 in den Gemeinden dritter Ordnung. Die Vor-
sitzenden werden von der Regierung aus den Mit-
gliedern ernannt. In den Kirchspielen besteht die
Kirchspielversammlung aus 3/5 Mitgliedern, je
nachdem die Einwohnerzahl mehr oder weniger
als 10 000 Seelen beträgt, unter dem Vorsitz des
Pfarrgeistlichen. Lissabon, Porto und einige
andere bedeutende Orte haben eine weniger zen-
tralisierte Gemeindeorganisation (dort 15, hier
11 Beisitzer). Die Mandate dieser Selbstverwal-
tungskörper dauern 3 Jahre.
Rechtspflege. Die richterliche Gewalt wird
von Richtern und Geschworenen ausgeübt; sowohl
im Zivil= wie im Strafprozeß herrscht das Prinzip
der Offentlichkeit und Mündlichkeit. In Lissabon
besteht der Höchste Gerichtshof (15 Mitglieder),
dessen Gerichtsbarkeit sich über das ganze Reich
und seine Nebenlande erstreckt. Als zweite In-
stanz fungieren die 6 Appellationsgerichtshöfe in
Lissabon, Porto, auf den Azoren (Ponta Del-
gada), in Loanda, Mozambique und Goa (mit 7
bis 9 Richtern). Die Bezirke dieser 6 Appellations-
gerichtshöfe zerfallen in Kreise (comarcas) mit
je einem Richter erster Instanz uiz de direito,
Rechtsrichter), mit Ausnahme der Kreise Lissabon,
Porto, Loanda und Saß Thomé, die mehr als
einen Richter haben. Die Rechtsrichter üben die
Gerichtsbarkeit teils allein teils unter Mitwirkung
einer Jury; die Mitwirkung der Geschworenen
(21/63) ist obligatorisch bei allen Strafsachen, den
sog. Sachen mit ordentlichem Verfahren, auf die
in der Regel eine Gefängnisstrafe von mehr als
6 Monaten nebst entsprechender Geldstrafe steht.
In Handelssachen können die Parteien, falls sie
darüber einig sind, von der Mitwirkung der Jury
absehen, außer bei Konkurssachen. Fakultativ ist
die Mitwirkung der Jury bei allen rein zivilrecht-
lichen Sachen. Bei den Gerichten in den Kolo-
nien besteht keine Jury. Jeder Gerichtskreis zer-
sällt ferner in eine Anzahl Friedensrichterbezirke,
deren jeder aus verschiedenen Gemeinden besteht;
die vom Volk erwählten Friedensrichter haben die
Aufgabe, eine Versöhnung der Parteien herbei-
zuführen zu suchen, bevor sie den Klageweg be-
schreiten. Außerdem gibt es in einigen Gerichts-
bezirken des Festlands Gemeindegerichtsstellen
Gulgados municipaes), deren Zuständigkeit sich
auf Streitsachen von minderem Wert erstreckt und
gegen deren Entscheidungen in einzelnen Fällen an
die Gerichte erster Instanz Berufung eingelegt wer-
den kann, ferner in den Orten mit größerer Industrie
seit 1889 Gewerbegerichte, deren Mitglieder teils
von den Arbeitern und Angestellten teils von den
Arbeitgebern gewählt werden. — Die Richter am
Höchsten Gerichtshof, an den Gerichten zweiter
und erster Instanz sind lebenslänglich angestellt
Portugal.
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und können nur unter Beobachtung der gesetzlichen
Vorschriften und nach Anhörung des Staatsrats
suspendiert, versetzt und entlassen werden. Als
Vertreter der Staatsanwaltschaft fungieren beim
Höchsten Gerichtshof 2 Amtsgehilfen des General-
kronprokurators, bei den Appellationshöfen Staats-
anwälte mit Amtsgehilfen, die dem Generalkron=
prokurator unmittelbar untergeordnet sind, bei den
Gerichten erster Instanz Delegierte, bei den Ge-
meindegerichten Subdelegierte des Kronanwalts.
— Hoöchste Gerichtshöfe für Militär und Marine
sind der Oberkriegs= und Marinehof in Lissabon,
unter diesem 2 ständige Kriegsgerichte und bei
jeder Militärdivision ein Kriegsgericht; ähnlich
bei der Marine.
Heer und Flotte. Durch das Gesetz vom
12. Sept. 1857 ist die allgemeine Wehrpflicht
eingeführt worden. Sie beginnt nach dem Gesetz
vom 24.Dez. 1901 mit dem vollendeten 20. Lebens-
jahr und dauert 15 Jahre, davon 3 Jahre bei der
Fahne, 5 Jahre bei der ersten Reserve und 7 Jahre
in der zweiten Reserve. Soldaten, die 2 Jahre
unter der Fahne gedient haben, können zur ersten
Reserve entlassen werden. Die nicht eingestellten
Ausgehobenen, ebenso diejenigen, die das Militär=
maß von 1,54 m nicht erreichen, werden der zweiten
Reserve zugeschrieben, in der sie 15 Jahre verbleiben.
Vom Dienst in der Truppe und in der ersten Re-
serve befreit sind die Ordensgeistlichen und die
Mannschaften von Rettungsbooten, die mindestens
4 Jahre bei einer Rettungsstation waren. Die Er-
nährer von Familien sowie die auf den Schieß-
plätzen als Schützen erster Klasse Beurlaubten
werden der zweiten Reserve nach einem Dienst von
100 Tagen zugeteilt. Der Ersatz zwischen Brü-
dern und der Loskauf vom Dienst im aktiven Heer
und in der ersten Reserve sind gestattet. Die Zahl
der Rekruten wird alljährlich von den Cortes fest-
gesetzt. — Das Königreich ist eingeteilt in 3 Militär-
kreise (Lissabon, Porto und Viseu) mit 6 Terri-
torialdivisionen und 2 Militärkommandanturen
(Madeira und Azoren). Die Friedensstärke des
Heeres wurde wie in den letzten Jahren so auch
ür 1909/10 auf 30 000 Mann festgesetzt; ein-
gestellt wurden 1908/09 16 900 Rekruten, von
denen 15 200 auf die verschiedenen Truppenteile
des Heeres, 800 auf die Flotte, 500 auf die
Munizipalgarde (Gendarmerie) in Lissabon und
Porto und 400 Mann auf die Fiskalgarde (Zoll-
wache) entfallen. 1909 waren vorhanden: 6 Di-
visionen Infanterie mit 12 Brigaden und 27 Re-
gimentern, 6 Bataillone Jäger, 5 Brigaden
Kavallerie mit 10 Regimentern, 6 Regimenter
Feldartillerie, 6 Regimenter Festungsartillerie und
1 Genieregiment, außerdem Train-, Verpflegungs-
und Sanitätskompagnien, Invalidenabteilungen,
Strafkompagnien, dazu Stämme für die Reserve-
truppen und 10 stehende Garnisonkompagnien für
die festen Plätze. Die Kriegsflotte bestand 1909
aus 1 Panzerkreuzer, 5 Kreuzern, 1 königlichen
Jacht, 1 Korvette, 19 Kanonenbooten, 1 Torpedo-
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