Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

273 
wurde er ersetzt durch den einheitlichen Worttarif. 
Hier brach sich also derselbe Gedanke wie im Post- 
verkehr Bahn, daß die Leistung nur selten mit der 
Entfernung wächst. Der Worttarif hat noch den 
Vorteil, daß das Publikum peinlich bemüht ist, 
jedes überflüssige Wort zu sparen, wodurch die 
Leistungsfähigkeit, also auch die Schnelligkeit der 
Beförderung wesentlich erhöht wird. Die vor- 
gesehene Grundtaxe wurde 1891 fallen gelassen 
und eine auf 5 Pfennige ermäßigte reine Wort- 
gebühr eingeführt. 
Die Gestaltung des Gebührenwesens für Be- 
nutzung des Fernsprechers machte bei der Neuheit 
des Verkehrsmittels große Schwierigkeiten. Es 
boten sich zwei Wege: entweder die Gebühren nach 
Maßgabe der Einzelbenutzung der Leitungen durch 
die Fernsprechteilnehmer unter genauer Abwägung 
von Leistung und Gegenleistung festzusetzen, oder 
eine einheitliche jährliche Bauschvergütung in Form 
einer Abonnementsgebühr zu erheben. Die Tele- 
graphenverwaltung entschied sich für letzteres Sy- 
stem. Es ist sehr einfach und sichert die Einheitlich- 
keit, wie sie bei der Tarifbildung immer angestrebt 
wird. Aber das System führt auch zu vielen un- 
nützen Gesprächen, wodurch die Leitung sehr be- 
lastet wird. Der Tarif ist ferner ungleichmäßig 
insofern, als derjenige, welcher den Fernsprecher 
nur wenig benutzt, verhältnismäßig mehr zu zahlen 
hat als derjenige, welcher oft spricht. Tatsächlich 
gab der Tarif, obschon er von 200 auf 150 M. 
ermäßigt worden war, alsbald zu lebhaften Be- 
schwerden Anlaß. Es mußte anerkannt werden, 
daß die in den einzelnen Städten bestehenden Ver- 
hältnisse zu verschieden sind, um einen Einheits- 
tarif beizubehalten. Am gerechtesten muß ein Tarif 
sein, demzufolge jeder Teilnehmen nach dem Maß 
des Gebrauchs, den er vom Fernsprecher macht, zu 
zahlen hat. Die Durchführung dieses Grundsatzes 
scheitert daran, daß eine sicher wirkende auto- 
matische Zähleinrichtung noch nicht erfunden ist. 
Die Notierung aller Gespräche durch den Beamten 
des Vermittlungsamts ist allgemein nicht durch- 
führbar. Nach vielen Erwägungen wurde im Jahr 
1899 der Entwurf einer Fernsprechgebührenord- 
nung den gesetzgebenden Faktoren des Reichs zur 
Beschlußfassung vorgelegt, welcher als Grundlage 
das System einer doppelten Gebühr, der Grund- 
gebühr und der Gesprächsgebühr, hatte. Die 
Grundgebühr sollte als Vergütung für die Über- 
lassung und die Unterhaltung der Apparate sowie 
für den Bau und die Instandhaltung der Sprech- 
leitungen dienen. Die Gesprächsgebühr galt als 
Vergütung für die Herstellung der Gesprächs- 
verbindungen. Dieses System fand nicht die 
Billigung des Reichstags. Es wurde eine neue 
Gebührenordnung entworfen, welche als Grund- 
lage eine einheitliche, nach der Zahl der Teil- 
nehmeranschlüsse abgestufte Gebühr hatte. Das 
am 1. April 1900 in Kraft getretene Gesetz bietet 
drei Wege für die Gebührenzahlung: 1) eine 
Bauschgebühr, 2) an Stelle der Bauschgebühr eine 
Post usw. 
  
274 
Grundgebühr mit einer Gesprächsgebühr, 3) Ge- 
sprächsgebühr für Benutzung der Verbindungs- 
anlagen zwischen verschiedenen Netzen oder Orten 
mit öffentlichen Fernsprechstellen. 
Die internationalen Beziehungen 
der Telegraphie sind im kleinen Umfang zuerst 
durch den im Jahr 1850 zwischen Preußen, Oster- 
reich, Bayern und Sachsen abgeschlossenen deutsch- 
österreichischen Telegraphenverein geregelt worden, 
welchem im nächsten Jahr das übrige Deutschland 
und die Niederlande beitraten. In ähnlicher Weise 
schlossen sich die westlichen und südlichen Staaten 
Europas an Frankreich an. Beide Gruppen traten 
durch einen im Jahr 1852 von Preußen mit 
Frankreich und Belgien abgeschlossenen Vertrag in 
engere Beziehungen. Auf diese teilweise Einigung 
gestützt, traten im Jahr 1865 die Vertreter sämt- 
licher europäischen Telegraphenverwaltungen mit 
Ausnahme Englands in Paris zu einer Konferenz 
zusammen, deren Ergebnis die Bildung des All- 
gemeinen Telegraphenvereins war. Der 
Vertrag schuf für die Welttelegraphie die ersten 
gemeinsamen Gesetze, welche durch die späteren 
Konferenzen in Wien 1868, Rom 1872, St Pe- 
tersburg 1875, London 1879, Berlin 1885, 
Paris 1890 eine fortschreitende Festigung erhalten 
haben. In Wien traten die ersten außereuro- 
päischen Länder dem Verein bei; in Rom er- 
schienen zum erstenmal Vertreter großer Kabel- 
gesellschaften; in Petersburg wurden wesentliche 
Verbesserungen des gemeinsamen Dienstbetriebs 
vereinbart; London und Berlin sahen die ersten 
wichtigen Schritte zur Vereinfachung der viel- 
gestaltigen Tarisverhältnisse; in London wurde 
der mit der Grundtaxe vereinigte Worttarif an- 
genommen, in Berlin wurde der reine Worttarif 
dem europäiüschen Telegraphenverkehr als Grund- 
lage gegeben. Auf der Pariser Konferenz endlich 
ist es gelungen, die verschiedenen Taxgruppen 
wesentlich zu verringern, womit die Einführung 
eines europäischen Einheitstarifs angebahnt ist. 
Literatur. Stephan, Geschichte der Preuß. Post 
(1858); ders., Das Verkehrsleben im Altertum u. 
im Mittelalter (1864); P. D. Fischer, P. u. T. im 
Weltverkehr (1879); Weithase, Geschichte des Welt- 
postvereins (1893); Jung, Entwicklung des deut- 
schen Post= u. Telegraphenwesens (31893); derfs., 
Der Weltpostverein u. sein Einfluß auf Weltver- 
kehr u. Weltwirtschaft (19;03); v. d. Borght, Das 
Verkehrswesen (1894); Dieckmann, Postgeschichte 
deutscher Staaten (1896); Crole, Illustr. Geschichte 
der deutschen Post (31900); Sieblist, Die Post im 
Ausland (1900); Brunner, Die Post in Bayern 
(1900); Obmann, Die Anfänge des Postwesens u. 
die Taxis (1909); Bruns, Das Postwesen, seine 
Entwicklung u. Bedeutung (1907; Sammlung Aus 
Natur u. Geisteswelt); Kommentare zum Deutschen 
von Dambach u. Grimm (51901), P. D. 
u. König (51902), Aron (1902); Wolcke, 
(1909; Sammlung Göschen); Nawiasky, 
u. österr. Postrecht (1909). Archiv für 
#z Union postale; Journal téelégraphique. 
[Bruns.) 
    
   
P. u.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.