Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Durch geschickte Ausnutzung der politischen Ver- 
hältnisse brachte er seinen Besitz auf 110 836 qkm 
mit 1500 000 Einwohnern. Im Westfälischen 
Frieden erhielt er von Pommern, dessen Herzöge 
1637 ausgestorben waren, nur Hinterpommern 
mit Kamin und als Entschädigung für Vor- 
pommern das Herzogtum Magdeburg (erst 1680), 
das Fürstentum Halberstadt mit Mansfeld-Hohen- 
stein und das Fürstentum Minden; 1657 erwarb 
er die Herrschaften Lauenburg und Bütow (als 
polnische Lehen) und 1686 den Kreis Schwiebus 
und die Anwartschaft auf Ostfriesland gegen Ver- 
zicht auf die Forderungen in Schlesien, wo 1675 
die Piasten ausgestorben waren; endlich befreite 
er (Verträge mit Schweden zu Königsberg und 
Labiau, 1656, mit Polen zu Wehlau, 1657; 
Friede zu Oliva, 1660) Preußen von der pol- 
nischen Lehnshoheit. Der Kurfürst gewann damit 
ein souveränes Land außerhalb des deutschen 
Reichs. Das kraftvolle Auftreten gegen Schweden 
und Franzosen läßt den „Großen Kurfürsten“ 
neben dem Kaiser als den mächtigsten und einfluß- 
reichsten Fürsten Deutschlands erscheinen. 
Dem erstarkten Staat verschaffte sein Sohn und 
Nachfolger Friedrich III. (1688/1701; als 
König Friedrich I. 1701/13) durch Annahme 
der Königswürde (18. Jan. 1701) Glanz nach 
außen. Seinen Neigungen entsprechend war sein 
Ehrgeiz mehr auf äußern Prunk als auf wirkliche 
Machterweiterung gerichtet: er hielt die Rang- 
erhöhung für eine politische Notwendigkeit; den 
Nachfolgern überließ er es, dem Namen einen be- 
deutenderen Inhalt zu geben. Nach dem geheimen 
Revers vom 8. März 1688 mußte er 1694 den 
Kreis Schwiebus wieder herausgeben; dagegen 
erwarb er aus der oranischen Erbschaft die Graf- 
schaften Lingen und Mörs (1702) sowie das 
Fürstentum Neuenburg mit der Grafschaft Valan= 
gin, durch Kauf 1691 die litauischen Herrschaften 
Tauroggen und Serrey, 1697 Quedlinburg und 
das Amt Petersberg bei Halle von Sachsen und 
von Solms--Braunfels 1707 die Grasschaft Tecklen- 
burg. Die Beteiligung an den Kriegen gegen 
Frankreich, die Ausgaben für Künste und Wissen- 
schaften und die verschwenderische Hofhaltung hatten 
die innern Verhältnisse des jungen Königreichs 
(112 254 qkm mit 1 650 000 Einwohnern) tief 
zerrüttet. Friedrich Wilhelm I. (1713/40) 
begann sofort mit rücksichtsloser Energie eine eifrige 
Reformtätigkeit im Innern und zeigte auch nach 
außen hin eine festere und selbständigere Haltung. 
Die unumschränkte monarchische Gewalt wurde 
aufgerichtet und der letzte Rest der altständischen 
Verfassungen in den einzelnen Provinzen beseitigt; 
ein starkes, schlagfertiges Heer und ein tüchtiger, 
pflichttreuer Beamtenstand sollten die Säulen des 
preußischen Staats sein. Das Heer wurde teils 
im Ausland geworben teils daheim nach dem 
Kantonsystem (beschränkte allgemeine Dienstpflicht) 
ausgehoben. Für die auswärtigen Angelegen- 
heiten wurde 1728 eine eigne Behörde („Ka- 
  
  
Preußen. 3 n„ 
  
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binettsministerium“ oder „Departement der aus- 
wärtigen Affären“) eingerichtet, die Verwaltung 
einheitlich geregelt (Generaldirektorium (1723), 
Kriegs= und Domänenkammern, Landräte), ein 
fester Staatshaushalt (1743 Oberrechenkammer) 
eingeführt, der Volkswohlstand durch Förderung 
der Landeskultur (besonders in Ostpreußen), der 
Gewerbe und des Handels (Merkantilsystem) ge- 
hoben und das Volksschulwesen begründet (23.Okt. 
1717 allgemeine Schulpflicht). Der Utrechter 
Friede (1713) brachte als Ersatz für Oranien das 
Oberquartier Geldern und die allgemeine Aner- 
kennung der Königswürde, der Friede zu Stock- 
holm (1720) gegen Zahlung von 2 Mill. Talern 
Vorpommern bis zur Peene, Usedom und Wollin. 
Einen festgefügten Staat von 118 926 qkm, ein 
leistungsfähiges Volk von 2240 000 Seelen, ein 
kriegsbereites Heer von 83 500 Mann und einen 
Staatsschatz von 7 Mill. Talern hinterließ der 
zweite preußische König seinem Sohn Fried- 
rich II. (1740/86), der mit dem Bewußtsein 
königlicher Machtfülle den Vorsatz verband, diesen 
Staat, der mehr „nach Kurfürstentum wie nach 
Königtum schmeckte“, zu einer seinem Rang ent- 
sprechenden Stellung emporzuheben. In drei 
Kriegen (1740/42, 1744/45, 1756/63) wurde 
„Schlesien außer Teschen, Troppau und dem Land 
jenseits der Oppa und die Grafschaft Glatz“ er- 
obert und behauptet; durch die Erwerbung Ost- 
frieslands (1744), Westpreußens (außer Dan- 
zig und Thorn) nebst Ermeland, Kulmerland und 
dem Netzedistrikt in der ersten Teilung Polens 
(1772) und eines Teils der Grafschaft Mansfeld 
(1786) wuchs der Staat auf 194 891 qkm mit 
5430 000 Einwohnern. Dem Flächeninhalt nach 
eine Macht zweiten Rangs, war Preußen unbe- 
stritten europäische Großmacht geworden. Noch 
war Osterreich im Besitz der deutschen Kaiserkrone, 
aber neben ihm stand in Deutschland Preußen als 
europäische Großmacht, und der bayrische Erbfolge- 
streit (1778/79) wie der Deutsche Fürstenbund 
(1785) zeigten den Dualismus zwischen den beiden 
Mächten im grellsten Licht. Die innere Politik 
Friedrichs II. stand unter dem Zeichen des auf- 
geklärten Despotismus: gleichförmige Verwaltung 
(1766 Generaladministration der Steuern und 
Gefälle, die sog. Regie, Monopole), Förderung 
des Volkswohls auf allen Gebieten (Landesmelio- 
ration, 1763 General-Schul-Reglement), Ver- 
besserung der Rechtspflege (Cocceji, Svarez, v. Car- 
mer) und religiöse Duldung, alles aus der Macht- 
fülle der Krone für, nichts durch das Volk. Sein 
Regiment war streng, und wo es das Staats- 
interesse erforderte, sogar herzlos, denn nicht das 
Heil des einzelnen, sondern das Wohl des Ganzen 
war ihm Richtschnur. Daher wurde sein Neffe 
Friedrich Wilhelm II. (1786/97) enthu- 
siastisch begrüßt, verscherzte sich aber leider bald 
Liebe und Vertrauen des Volks. An die Stelle 
des persönlichen Regiments trat eine willkürliche 
Kabinettsregierung, die den genußsüchtigen, halt-
	        
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