Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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müssen. Jede Kammer berät und beschließt für 
sich; nur bei Eröffnung und Schluß der Session 
sowie bei der Wahl eines Regenten vereinigen sich 
beide Häuser zu gemeinsamer Sitzung. Niemand 
kann Mitglied beider Häuser sein. Die Mit- 
glieder beider Kammern schwören Treue und Ge- 
horsam gegen den König und gewissenhafte Be- 
obachtung der Verfassung; sie sind Vertreter des 
ganzen Volks und staatsrechtlich an Aufträge ührer 
Wähler nicht gebunden. Sie können für ihre in 
den Kammern ausgesprochenen Meinungen nur 
innerhalb derselben (Ordnungsruf, Entziehung des 
Worts) zur Rechenschaft gezogen werden. Kein 
Mitglied einer Kammer kann ohne deren Ge- 
nehmigung während der Sitzungsperiode wegen 
einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Unter- 
suchung gezogen oder verhaftet werden, außer 
wenn es bei Ausübung der Tat oder im Lauf des 
nächsten Tags ergriffen wird. Jedes Strafver- 
fahren gegen ein Mitglied sowie jede Untersuchungs- 
oder Zivilhaft wird für die Dauer der Sitzungs- 
periode aufgehoben, wenn die Kammer es verlangt. 
Beide Häuser haben wie die Krone das Recht der 
Initiative, d. h. Gesetze vorzuschlagen. Ohne Zu- 
stimmung des Landtags kann kein Gesetz erlassen, 
abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben 
werden. Jedoch dürfen nach dem sog. Notstands- 
paragraphen, wenn es die Aufrechterhaltung der 
öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines 
ungewöhnlichen Notstands erfordert, auch wenn 
die Kammern nicht versammelt sind, Verordnungen 
mit Gesetzeskraft erlassen werden; sie müssen jedoch 
den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt 
sofort zur Genehmigung vorgelegt werden. Er- 
forderlich ist ferner die Zustimmung des Landtags 
für die Aufstellung des jährlichen Staatshaushalts- 
etats. Finanzgesetze sind zuerst dem Abgeordneten- 
haus vorzulegen. Den Etat kann das Herrenhaus 
nicht ändern, sondern nur im ganzen annehmen 
oder ablehnen. Zu Etatsüberschreitungen muß die 
nachträgliche Genehmigung der Kammern ein- 
geholt werden, und die Rechnung über den Staats- 
haushalt jedes Jahrs wird den Kammern mit 
den Bemerkungen der Oberrechnungskammer zur 
Entlastung der Staatsregierung vorgelegt. Ohne 
Zustimmung des Landtags dürfen weder neue 
Steuern eingeführt noch bestehende erhöht oder 
abgeändert werden. Dasselbe gilt von der Auf- 
nahme von Staatsschulden und der Übernahme 
von Garantien von seiten der Staatskasse. (Vgl. 
jedoch, besonders über das Steuerverweigerungs- 
recht, Art. Garantien, staatsrechtliche, Bd II, 
Sp. 393.) Außerdem steht den Kammern das 
allgemeine Recht zu, „die Verfassung und den be- 
stehenden Rechtszustand des ganzen Landes sowie 
die staatsbürgerlichen Rechte der einzelnen gegen 
etwaige Eingriffe der Regierung mit allen gesetz- 
lichen Mitteln zu verteidigen“. Sie haben das 
Recht, Petitionen entgegenzunehmen, Interpella- 
tionen an die Regierung und Adressen (d. h. 
schriftliche Ansprachen) an den König zu richten, 
Preußen. 
  
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behufs ihrer Information Kommissionen zur Unter- 
suchung von Tatsachen zu ernennen, die an sie 
gerichteten Schriften an die Minister zu verweisen, 
Auskunft über eingehende Beschwerden zu ver- 
langen, die Gegenwart der Minister zu fordern 
und diese wegen Verfassungsverletzung, Bestechung 
und des Verrats anzuklagen. Eine Minister- 
anklage ist jedoch solang nicht möglich, als nicht 
ein besonderes Gesetz deren Verfahren festsetzt. 
Von den 58 Stimmen des Bundesrats fallen 
auf Preußen 17, von den 397 Abgeordneten des 
Reichstags 235. 
An der Spitze der Staatsverwaltung stehen 
seit 1808 Fachminister (1910: 9), die vom König 
nach eigner freier Entschließung berufen werden 
und die Verwaltung selbständig unter unmittel- 
barer Verantwortung leiten. Damit unter den 
einzelnen Ministern die erforderliche Einheitlich- 
keit in der Verwaltung gewährleistet werde, bilden 
sie mit dem Ministerpräsidenten das Staats- 
ministerium, welches nach kollegialischer Be- 
ratung Beschluß zu fassen hat über: a) die Be- 
ratung der dem Landtag zu unterbreitenden oder 
von diesem vorgeschlagenen Gesetzentwürfe; b) die 
Vorschläge wegen Anstellung der Ober= und Re- 
gierungspräsidenten und anderer hoher Beamten; 
P) die Entscheidung von Meinungsverschieden- 
heiten zwischen den Ministern; d) die Einleitung 
einer Regentschaft und die Verhängung des Be- 
lagerungszustands; e) die endgültige Entscheidung 
in Disziplinarsachen; f) die Entscheidung über 
Einverleibung von Landgemeinden und Guts- 
bezirken und die Beantragung der Auflösung kom- 
munaler Vertretungen. Die dem Staatsmini- 
sterium direkt unterstellten Behörden sind: a) das 
Oberverwaltungsgericht, der oberste Gerichtshof 
zur Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Streit- 
sachen; b) die Prüfungskommission für höhere 
Verwaltungsbeamte; c) der Gerichtshof zur Ent- 
scheidung der Kompetenzkonflikte; d) der Diszip- 
linarhof für nicht richterliche Beamte; e) die An- 
siedlungskommission für Westpreußen und Posen; 
t) das Zentraldirektorium der Vermessungen im 
preußischen Staat, welchem besonders die obere 
Leitung der im allgemeinen Staatsinteresse zu be- 
treibenden Vermessungen und Kartenarbeiten zu- 
steht; 8) der Reichs= und Staatsanzeiger und die 
Redaktion der Gesetzsammlung; h) der Ausschuß 
zur Untersuchung der Wasserverhältnisse in den der 
Überschwemmungsgefahr besonders ausgesetzten 
Flußgebieten. Ausschließlich unter der oberen 
Leitung und der Disziplinargewalt des Präsi- 
denten des Staatsministeriums stehen: a) die 
Generalkommission in Angelegenheiten königlicher 
Orden; b) die Staatsarchive, die in den Pro- 
vinzen außerdem unter die unmittelbare Aufsicht 
des Oberpräsidenten gestellt sind. — Das Mini- 
sterium der auswärtigen Angelegenheiten (seit 
1810) ist seit 1871 verbunden mit dem Auswär- 
tigen Amt des Deutschen Reichs (der Reichskanzler 
muf zugleich preußischer Minister des Auswärtigen
	        
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