343
des genommenen Schiffs oder Guts dem Kaptor
durch Urteil des kompetenten Prisengerichts zu-
gesprochen worden ist. Was insbesondere die erste
Voraussetzung anbelangt, so ist eine förmliche Be-
sitznahme nicht unbedingt notwendig. Streicht der
Kapitän eines angehaltenen Schiffs dessen Natio-
nalflagge, weil er weiß, daß es der Wegnahme
unterworfen ist, so gilt dies als Übergabe des
Schiffs an den Kaptor, und zwar auch dann,
wenn dieser keine Leute auf das Schiff entsendet,
um dasselbe in Besitz zu nehmen. Gleichergestalt
gilt es als Wegnahme, wenn der Kaptor das
Schiff nötigt, in einen Hafen des Nehmestaats
oder eines Verbündeten desselben einzulaufen. In
der Regel erfolgt aber die Besitznahme dadurch,
daß der Kaptor nach Konstatierung des feindlichen
Charakters des Schiffs dieses in Beschlag nimmt,
um es wegzuführen und von dem zuständigen
Prisengericht aburteilen zu lassen. Zu diesem Ende
wird ein Protokoll über die Gründe und die
näheren Umstände der Aufbringung ausgenommen,
ein Inventarium, das vom Befehlshaber des
Kreuzers und dem Kapitän des aufgebrachten
Schiffs zu unterzeichnen ist, angefertigt und ein
Osfizier mit der zureichenden Mannschaft an Bord
des aufgebrachten Schiffs entsendet, um dieses in
den nächsten Hafen des Nehmestaats zu bringen
und daselbst aburteilen zu lassen. Verfügt der
Kaptor nicht über genügende Mannschaft hierzu,
so kann er sich vom Kapitän des aufgebrachten
Schiffs das schriftliche Versprechen geben lassen,
allein das Schiff in den ihm bezeichneten Hafen
zu führen. Der Befehlshaber eines Kreuzers, der
ein Schiff aufgebracht hat, hat unter persönlicher
Verantwortung darüber zu wachen, daß von dessen
Ladung und Zubehör nichts gelöscht, verkauft,
vertauscht oder auf irgend eine andere Weise ent-
fernt werde oder verloren gehe; er hat im Verein
mit dem Kapitän oder dem Steuermann des auf-
gebrachten Schiffs dessen Ladung, soweit es tunlich
ist, unter Siegel und Verschluß zu legen. Die
Schiffspapiere und das Inventarium sind in einem
Konvolut mit dem Amtssiegel des Kreuzers und
dem Siegel des Kapitäns des aufgebrachten Schiffs
zu verschließen und an die kompetente Behörde des
Nehmestaats zu adressieren.
Eine Vernichtung der Prise ist nur im
Notfall, d. h. nur dann gestattet, wenn die Über-
führung der Prise in einen sichern Hafen nicht
ohne erhebliche Gefahr sich ermöglichen oder durch
die Erhaltung der Prise die eigne Sicherheit des
Nehmers gefährdet würde. Wird zur Vernichtung
der Prise geschritten, so ist deren Besatzung die
Möglichkeit zu geben, ihr Leben zu retten, und
soweit es tunlich ist, deren Ladung zu bergen. Da
jede Nehmung bezüglich ihrer Rechtmäßigkeit der
prisengerichtlichen Beurteilung und Entscheidung
bedarf, so muß der Kaptor die Papiere einer ver-
nichteten Prise zum Zweck der Beweisführung
darüber, daß er das betreffende Schiff mit Recht
als ein feindliches betrachten und behandeln konnte,
Prise usw.
344
aufbewahren. Fällt das Prisengericht ein frei-
sprechendes Urteil, so muß der Nehmestaat den
Eigentümer der vernichteten Prise schadlos halten.
Ein genommenes Schiff kann vor seiner Ab-
urteilung durch das kompetente Prisengericht durch
einen zwischen., seinem Kapitän und dem Kreuzer
oder Kaper freiwillig abgeschlossenen sog. Los-
lassungs= oder Ranzionierungsvertrag
(contrat de rachat, billet de rançon, ransom
bill) losgekauft werden, sofern der Abschluß solcher
Verträge nicht durch den Nehmestaat ausdrücklich
untersagt ist.
Wird eine Prise vor deren Verurteilung durch
das zuständige Prisengericht von einem Kreuzer
oder Kaper des Gegners des Kaptors oder eines
seiner Verbündeten wiedergenommen, so heißt das
wiedergenommene Schiff eine Reprise und muß,
da der Kaptor das Eigentum an der Prise noch
nicht erworben hat und der Rekaptor durch die
Wiedernahme nicht mehr Recht erwerben kann, als
der Kaptor selbst hatte, dem bisherigen Eigen-
tümer zurückgegeben werden. Die Zurückgabe an
den Eigentümer erfolgt in der Regel gegen Be-
zahlung einer Belohnung für die Besatzung des
Kreuzers bzw. einer Prämie und der Kosten an
den Kaper. Entgegen diesem wohl einzig richtigen
Grundsatz, welcher auch von der neuesten Praxis
der Vereinigten Staaten von Amerika befolgt
wurde, galt bis in die neuere Zeit als Voraus-
setzung des Rechts der Reprise, daß das genommene
feindliche Schiff oder Gut noch nicht derartig in
Sicherheit gebracht war, daß es nicht unmittelbar,
d. h. bei Gelegenheit derselben Aktion oder im
Anschluß an dieselbe, wiedergenommen werden
konnte. Später wurde das Recht der Reprise nach
einem 24stündigen oder anderweitig der Zeit nach
begrenzten Besitzstand als ausgeschlossen erachtet.
Erfolgt die Wiedernahme einer Prise nach deren
Verurteilung, so gilt das genommene Schiff als
neue Prise, welche dem Nehmer zugut kommt und
der Adjudikation bedarf.
III. Prisenrecht gegen die AMenkralen. Der
seekriegsrechtliche Grundsatz, daß feindliches Privat-
eigentum, welches auf offener See oder in den
Eigentumsmeeren der Kriegsparteien betroffen
wird, der Wegnahme unterworfen ist, begründet
ein Beuterecht der Kriegsparteien an allem auf
See betroffenen feindlichen Privateigentum, dieses
mag in Kauffahrteischiffen oder in Waren bestehen.
Da sich jedoch auf einem feindlichen Handelsschiff
(d. i. auf einem „unfreien Schiff“) neutrale
Waren (d. i. „freies Gut“) und umgekehrt auf
einem neutralen Kauffahrteischiff (d. i. auf einem
„freien Schiff") feindliche Waren (d. i. „unfreies
Gut"“) befinden können, so handelt es sich nun
weiter noch darum, inwieweit dieses Beuterecht
ausgeübt werden kann: 1) wenn nur das Schiff
feindlicher Nationalität, die Ladung aber neutrales
Eigentum ist, und 2) wenn nur die Ladung feind-
liches Eigentum, das Schiff aber ein neutrales
ist. Diese Fragen, welche bis in die Mitte des