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gerichtsbarkeit ausübe. Nur dann darf ein neu-
traler Staat durch seine eignen Organe eine Ent-
scheidung in Prisensachen herbeiführen, wenn
dessen Souveränitätsrechte durch Ausübung des
Prisenrechts seitens einer Kriegspartei verletzt wor-
den sind. Die Prisengerichtsbarkeit wird nicht
einem gewöhnlichen bürgerlichen Tribunal über-
wiesen, sondern durch einen besondern Gerichtshof
ausgeübt, der aus Männern besteht, die vermöge
ihrer speziellen Kenntnisse und persönlichen Eigen-
schaften ein sachkundiges und unparteiisches Urteil
verbürgen. In der Regel werden Prisengerichte
erster und zweiter Instanz konstituiert, deren letztere
als Berufungs= oder Kassationsinstanz fungieren,
sofern nicht der unten zu erwähnende Internatio-
nale Prisenhof in Tätigkeit tritt. In Preußen
wurde zuerst durch die Verordnung vom 20. Juni
1864, betreffend die „Bestimmungen über das Ver-
fahren in Prisensachen“, für die Entscheidung in
Prisensachen eine besondere Behörde (Prisenrat)
errichtet, gegen deren Entscheidungen die Berufung
an den Oberprisenrat stattfand. Nach dem deut-
schen Reichsgesetz vom 3. Mai 1884, I 1, erfolgt
die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der in
einem Krieg gemachten Prisen durch besondere
Behörden (Prisengerichte); die Bestimmung des
Sitzes des Prisengerichts, seine Bildung, das Ver-
fahren und das Verhältnis zu andern Behörden
überläßt der § 2 dieses Gesetzes der kaiserlichen
Verordnung.
Die Grundlage des prisengerichtlichen Ver-
fahrens bildet das vom Nehmer über die Gründe
und die näheren Umstände der Aufbringung auf-
genommene Protokoll. Das Verfahren selbst ist
in den verschiedenen Staaten verschieden und zer-
fällt in das Vorverfahren, das in der Regel in
demjenigen Hafenplatz stattfindet, nach welchem
die Prise gebracht worden ist, und in das Haupt-
verfahren vor dem Prisengericht. Dasselbe ist nach
bisherigem Recht ein Reklameprozeß, d. h. es be-
ruht auf dem höchst ungerechten Grundsatz, daß
die durch die Aufbringung des Schiffs unmittel-
bar betroffenen Interessenten die Unrechtmäßigkeit
der Wegnahme, soweit diese nicht unzweifelhaft
klar zutage liegt, zu beweisen haben. In Kon-
sequenz dieses Prinzips können daher die als ver-
dächtig aufgebrachten Schiffe schon als gute Prise
erklärt werden, sobald der gegen sie vorliegende
Verdacht nicht beseitigt wird. Da die Aufgabe der
Prisengerichte trotz ihrer nationalen Zusammen-
setzung eine internationale ist, so haben diese bei
der Entscheidung über die Legalität einer Prise
die Normen des positiven Völkerrechts als Richt-
schnur zu nehmen. Die von den einzelnen Staaten
in Ansehung des Prisenrechts und der Prisen-
gerichtsbarkeit etwa erlassenen Gesetze und Regle-
ments sind lediglich als Kodifikation der ein-
schlagenden, vom betreffenden Staat als zu Recht
bestehend anerkannten völkerrechtlichen Grund-
sätze anzusehen, dürfen diesen daher nicht wider-
sprechen.
Prise usw.
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Hier hat nun die zweite Haager Konferenz
1907 in entscheidender Weise eingegriffen, indem
sie durch das Abkommen XII den ständigen Inter-
nationalen Prisenhof als oberste Instanz
für die Prisensachen aller Länder schuf und dem Ver-
fahren eine neue prinzipielle Grundlage gab. Da-
mit ist, zumal durch die Londoner Seekriegsrechts-
konferenz die wichtigsten Punkte des materiellen
Prisenrechts geregelt wurden (val. d. Art. Krieg,
Abschn. IV, 2, d und d. Art. Neutralität passim),
einmal eine unparteiische Rechtsprechung garan-
tiert, sodann die Möglichkeit gegeben worden, eine
Reihe völkerrechtlicher Streitigkeiten, die aus Anlaß
eines Seekriegs zwischen Neutralen und Krieg-
führenden über die Ausübung des Wegnahmerechts
auszubrechen pflegen, künftig im Weg eines geord-
neten internationalen Verfahrens zum Austrag zu
bringen. Maßgebender Grundsatz für das ganze
Prisenverfahren ist nunmehr, daß nicht die Ille-
galität der Prise zu beweisen, sondern im Gegen-
teil die Rechtmäßigkeit der Wegnahme darzutun ist
(Art. 1). Nicht mehr das Landesrecht ist entschei-
dend, sondern in erster Linie ein etwaiger inter-
nationaler Vertrag zwischen den Parteistaaten, in
zweiter Linie die Regeln des Völkerrechts, in letzter
Linie die allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit
und Billigkeit (Art. 7). Damit ist dem Internatio-
nalen Prisenhof die weittragende Befugnis erwach-
sen, das Seekriegsrecht nach den Forderungen von
Recht und Humanität weiterzubilden. Nach dem
Abkommen sind in erster Instanz die nationalen
Prisengerichte zuständig. Nur falls diese binnen
zwei Jahren keine endgültige Entscheidung treffen,
kann der Prisenhof unmittelbar angerufen werden
(Art. 2 u. 6). Sonst ist dieser nur Berufungs-
oder Revisionsinstanz, und zwar für Entscheidungen
der nationalen Gerichte über neutrale Prisen,
über feindliche Prisen nur in bestimmten Fällen
(Art. 3). Der Rekurs kann eingelegt werden von
den unmittelbar Beteiligten, d. h. einer neutralen
Machtoder einer neutralen oder feindlichen Privat-
person, aber auch von den neutralen oder feind-
lichen Nebenbeteiligten, die ein rechtliches Interesse
an der Entscheidung haben (Art. 4/5). Erklärt
sich der Prisenhof für die Legalität der Wegnahme,
so ist mit Schiff und Ladung nach den Gesetzen
der nehmenden Kriegsmacht zu verfahren. Ver-
neint er sie, so ordnet er die Rückgabe an und setzt
die Höhe des Schadenersatzes und bei etwaigem
Verkauf bzw. Zerstörung der Prise die zu ge-
währende Entschädigung fest (Art. 8). Die Ver-
tragsmächte übernehmen die Pflicht, sich derartigen
Entscheidungen nach Treu und Glauben zu unter-
werfen und ihnen möglichst bald nachzukommen
(Art. 9). Der Internationale Prisenhof besteht
aus Richtern und Hilfsrichtern, und zwar nur aus
hervorragenden Rechtsgelehrten, die von den Ver-
tragsmächten auf 6 Jahre ernannt werden. Doch
können die Parteien einen höheren Seeoffizier mit
beratender Stimme entsenden. Besetzt wird der
Prisenhof mit 15 Richtern. Er hat seinen Sitz