Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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im Haag und kann ihn nur mit Zustimmung 
der Parteien verlegen (Art. 16/27). Eingehende 
Bestimmungen regeln das Verfahren, das dem in 
Schiedssachen ähnlich gestaltet ist (vgl. d. Art. 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Bd II). Die 
Beratungen sind geheim, nur das Urteil wird in 
öffentlicher Sitzung verkündet (Art. 28/50). 
Der Spruch in Prisensachen kann lauten: 
1) lediglich auf Freigabe, wenn zwar eine Neu- 
tralitätsverletzung seitens des aufgebrachten Schiffs 
tatsächlich nicht vorliegt, die Aufbringung des 
Schiffs jedoch durch Umstände veranlaßt wurde, 
welche dasselbe prima facie verdächtig machten; 
2) auf Freigabe mit Schadloshaltung, welche 
grundsätzlich dann erfolgen sollte, wenn anerkannt 
werden muß, daß die Aufbringung ohne hin- 
reichenden Grund erfolgt ist oder doch der Kaptor 
sich ohne konkurrierende Schuld des genommenen 
Schiffs einer unzweifelhaften Pflichtverletzung 
schuldig gemacht hat; 3) auf teilweise Verurteilung, 
d. i. auf Verurteilung der Ladung oder eines Teils 
derselben ohne das Schiff oder auf Verurteilung 
des Schiffs ohne die Ladung; 4) auf Verurteilung 
von Schiff und Ladung. Lautet das Urteil ledig- 
lich auf Freigabe, so fallen die Kosten dem Rekla- 
manten (Angeklagten) zur Last. In Ansehung der 
Frage, ob sich der Reklamant, dem ein Anspruch 
auf Entschädigung einzuräumen ist, an den Nehmer 
oder an den Nehmestaat zu halten habe, besteht 
weder in der Theorie noch in der Praxis irgend- 
welche Ubereinstimmung. Das Urteil wird rechts- 
kräftig, wenn gegen dasselbe wegen Erschöpfung 
des Instanzenzugs oder wegen Verabsäumung der 
für die Einlegung eines Rechtsmittels bestimmten 
Frist kein solches zulässig ist. Die Einlegung eines 
Rechtsmittels hat in der Regel keine aufschiebende 
Wirkung. Das prisengerichtliche Verfahren hört 
mit dem Friedensschluß nicht auf. Denn wenn auch 
das Prisenrecht endigt, so kann die vorher erfolgte 
Wegnahme weiter verfolgt werden. Doch werden 
viel 
die schwebenden Prisenrechtsstreitigkeiten getroffen. 
Die Vollstreckung eines kondemnierenden Urteils 
geschieht durch den öffentlichen Verkauf der Prise 
bzw. (wenn etwa ein Verkauf schon vor der er- 
flossenen Entscheidung stattgefunden hat) durch 
definitive Einziehung des Erlöses. Die durch ein 
rechtskräftiges Urteil des zuständigen Prisen- 
gerichts kondemnierten Prisen können auch an 
einem neutralen Platz verkauft werden. Der neu- 
trale Staat ist jedoch berechtigt, den Verkauf von 
Prisen und Prisengütern in seinem Gebiet zu 
untersagen. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht 
würde unter allen Umständen vorliegen, wenn die 
neutrale Regierung den Verkauf von Prisen und 
Prisengütern vor deren rechtskräftiger Verurtei- 
lung zulassen wollte. Die einzige diesfallsige Aus- 
nahme bildet nur der Fall, in welchem es sich um 
den Verkauf eines reparaturunfähigen Schiffs oder 
einer dem Verderben unterliegenden Ladung han- 
delt. In einem solchen Fall kann aber die neu- 
  
  
Privatbeamte. 350 
trale Regierung Sicherstellung für den Wert ver- 
langen. Von dem Erlös der Prisen fließt ein 
Teil in die Staatskasse, der andere Teil kommt 
der Besatzung des Nehmers bzw. dem Nehmer zu- 
gute. Die Regeln über die Repartition entbehren 
eines völkerrechtlichen Charakters. Mehrfach findet 
sich die landesrechtliche Bestimmung, daß die Offi- 
ziere und die Mannschaft des Kreuzers, welcher 
die Prise aufgebracht hat, den Anspruch auf zwei 
Drittel des Reinerlöses haben. 
Literatur. Vgl. darüber die in Art. Krieg u. 
Neutralität (Bd 111) zitierten allgemeinen u. spe- 
ziellen Werke. [Resch, rev. Ebers.!) 
Privatbeamte. I. Begriff, Privat- 
beamtengruppen, Zahl der Privatbeamten. 
Im Jahr 1907 hielt Gustav Schmoller bei Ge- 
legenheit des S. evangelisch-sozialen Kongresses eine 
Rede über die Frage: „Was verstehen wir unter 
Mittelstand? Hat er im 19. Jahrh. zu= oder ab- 
genommen?“ In seinen Ausführungen kam er zu 
folgendem Resultat: „Von 1850 bis zur Gegen- 
wart siegt die moderne Technik, der moderne Ver- 
kehr, der Großbetrieb, und die ganze soziale Schich- 
tung ändert sich. Der ländliche und gewerbliche 
Lohnarbeiterstand erhält eine ganz andere Bedeu- 
tung und nimmt zahlreiche Elemente des sinkenden 
Mittelstands in sich auf. Aber der deutsche Bauern- 
stand behauptet sich nicht bloß, sondern nimmt 
neuestens wieder zu. Der Kleinhandwerksbetrieb 
geht in vielen Gewerbezweigen zugrunde, aber er 
erhält sich teilweise als Mittelbetrieb, und die Zahl 
der Meister nimmt auf dem Land und in den 
Kleinstädten noch zu.. Die Handelsbetriebe haben 
sich in ihrer sozialen Struktur nicht sehr geändert. 
Daneben haben andere Gruppen des Mittelstands 
sehr zugenommen: das höhere Verwaltungs- 
personal der Unternehmungen und die liberalen 
Berufe. Ein Teil der besser bezahlten Arbeiter 
(Werkmeister usw.) bilden einen neuen Mittel- 
ach im Friedensvertrag Bestimmungen über stand 
Schon auf der Versammlung selbst wurde 
Widerspruch laut, daß man von einem Mittel- 
stand spreche, der Vorstellungen von einer mate- 
riellen und sozialen Lage der hier in Frage kom- 
menden Schichten erwecken müsse, die der Wirk- 
lichkeit nicht entsprächen. In der Tat versteht man 
wohl gemeinhin unter Mittelstand eine in „stän- 
digen“, festen Existenzverhältnissen lebende Be- 
völkerungsschicht, die fern von Armut und Reich- 
tum, ohne allzu große Erschütterungen befürchten 
zu müssen, ihres Schicksals Schmied ist. Heute ist 
man sich denn auch klar darüber, daß eher noch 
die in starken Organisationen zusammengeschlos- 
senen „besserbezahlten Arbeiter“ als die Mehrzahl 
des technischen und kaufmännischen Personals der 
Unternehmungen wirtschaftlich und sozial so gestellt 
sind, daß man sie ohne Bedenken zum Mittelstand 
rechnen darf. Das Schlagwort vom „neuen 
Mittelstand“ ist infolgedessen mehr in den Hinter- 
grund gedrängt. Die Privatbeamtenfrage
	        
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