Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

395 
gab er 1840, nachdem er schon vorher eine viel- 
gerühmte Studie über die Sonntagsheiligung ver- 
öffentlicht hatte, sein bedeutsames Werk heraus: 
Qu’est-ce due la propriété? I mémoire. 
Recherches sur le principe du droit et du 
Souvernement ((Euvres compl. VI). 
Das Werk mit seiner bekannten Antwort: La 
propriété c’est le vol, erregte großes Aufsehen, 
aber auch einen Sturm der Entrüstung. Seine 
Freunde zogen sich von ihm zurück; die Akademie 
zu Besangon wies die Widmung des Buchs zurück 
und dachte daran, das Stipendium zu entziehen; 
die Regierung erwog eine strafrechtliche Verfol- 
gung, die nur durch das Eintreten des National- 
ökonomen Adolf Blanqui, des Bruders des Sozia- 
listen, der für den wissenschaftlichen Charakter des 
Werks sich aussprach, abgewandt wurde. 1841 
und 1842 folgten weitere Schriften über das Eigen- 
tum, von denen die letzte von 1842 ihn in einen 
Prozeß verwickelte, der aber mit Freispruch endigte. 
Proudhon war durch all das bekannt geworden, 
aber zum Leben hatte er nach Ablauf des Stipen- 
diums nichts. Deshalb trat er nach kurzer Tätig- 
keit als Sekretär bei einem Pariser Advokaten bei 
einem Lyoner Kohlen= und Transportgeschäft als 
Kommis ein (1843), ohneaberseine geistige Weiter- 
bildung und literarische Produktion aufzugeben. 
1843 im Sommer erschien sein eigenartiges Werk: 
De la creéation de Pordre dans I’humanité ou 
Principes d’organisation politique ((Euvres 
compl. III. Skizzierung bei Diehl, Proudhon II 
6/19, Kritik 149/164). Es was dies eine Art 
philosophische Einleitung für das bedeutsame Werk, 
das 1846 erschien: Systeme des Contradictions 
économiques ou philosophie de la misere 
(2 Bde, Skizzierung und Kritik bei Diehl 
a. a. O. II 14/34, 164/175). In diese Jahre fällt 
auch seine Bekanntschaft mit Marx, mit dem er 
besonders 1844 persönlich verkehrte und geistigen 
Ideenaustausch hielt. Die Gegenschrift Marx' 
zu letzterem Werk (Misère de la philosophie, 
1847) führte aber den endgültigen Bruch zwischen 
beiden Denkern herbei. 1847 gab Proudhon 
seine kaufmännische Stellung auf, um in Paris 
wieder ganz den Studien zu leben. Nach Aus- 
bruch der Februarrevolution entfaltete er eine 
rege publizistische Tätigkeit und wurde als Ver- 
treter des Seine-Departements ins Parlament 
gewählt. Dort hielt er am 31. Juli 1848 eine 
berühmt gewordene Rede über die Unentgelt- 
lichkeit des Kredits. Diese herbeizuführen be- 
dürfe es einer eignen Bankorganisation. Februar 
1848 machte er den praktischen Versuch, diese 
„Volksbank“ einzurichten, kam aber wegen einer 
ihn damals treffenden Gefängnisstrase über das 
Stadium vorbereitender Tätigkeit nicht hinaus. 
Wegen Preßvergehens (Aufreizung zum Haß und 
zur Verachtung der Regierung) wurde er nämlich 
zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zu 
3000 Franken Geldstrafe verurteilt. Im Gesäng- 
nis schon ung erst recht nachher entfaltete er eine 
Proudhon. 
  
396 
weitere rege geistige Tätigkeit und Produktion; 
zahlreiche Schriften entstammten in dieser Zeit 
seiner Feder (Übersicht bei Diehl a. a. O. II 106 
bis 107). 1858 erschien sein großes vierbändiges 
Werk: De la Justice dans la Revolution et 
dans I’Eglise, nouvaux principes de la philo- 
sophie pratique ((Euvres compl. IV), das ihn 
wiederum mit dem Strafgesetz in Konflikt brachte. 
Um einer erneuten dreijährigen Gefängnisstrafe zu 
entgehen, floh er nach Belgien (Brüssel); 1860 
wurde er amnestiert, kehrte aber erst 1862 nach 
Paris zurück und starb 1865 am 19. Jan. in Passy. 
2. Die Bedeutung Proudhons als sozial- 
ökonomischen Kritikers liegt darin, daß 
er die bisherige Begründung der Privateigentums- 
institution als ungenügend darlegte und doch zu- 
gleich für das privatwirtschaftliche System an sich 
und grundsätzlich, wenn auch Reformen verlangend, 
etntrat, ferner daß er die wirtschaftlichen und so- 
zialen Folgen des Privateigentums als ökono- 
mische Vorgänge zu analysieren versuchte, und 
endlich daß er als Brennpunkt der sozialökono- 
mischen Kräfte und Vorgänge die Wertgebung er- 
kannte und behandelte. Zu seiner Kritik der Privat- 
eigentumsinstitution kam Proudhon in Verfolg 
einer von der Akademie seiner Vaterstadt Besangon 
gestellten Preisaufgabe: Über die wirtschaftlichen 
und moralischen Folgen, die bisher in Frankreich 
das Gesetz über die gleiche Teilung der Güter unter 
die Kinder hervorgebracht hat und die es in Zu- 
kunft hervorbringen wird. Bei der Untersuchung 
hierüber wurde Proudhon schließlich auf die Frage 
nach dem Erbrecht überhaupt und endlich zur Frage 
nach der Berechtigung und den Wirkungen des 
Privateigentums schlechtweg geführt. Das Resul- 
tat seiner Untersuchungen und Anschauungen publi- 
zierte der 31jährige Proudhon 1840 in seinem 
Werke: Qu'est-ce que la propriété? Hier erörtert 
er eingehend die Frage nach der Berechtigung des 
Privateigentums und weist auf das Unbefriedigende 
der bisherigen Begründung hin. Von dieser kriti- 
schen Leistung Proudhons, die in späteren Schriften 
noch fortgesetzt wurde, sagt Adolsf Wagner, daß sie 
für die allgemeine Eigentumslehre trotz der Wider- 
sprüche und der schließlichen allgemeinen Skepsis 
aus der einschlägigen französischen Literatur doch 
„am wichtigsten bleibe“ (Grundlegung der polit. 
Okonomie II//11894) 189). Die eigne Stellung 
Proudhons zur Privateigentumsinstitution aber ist 
solgende, wobei zu bemerken ist, daß Proudhon in 
späteren Schriften nach Inhalt und Form sich 
milder ausdrückte. Proudhon ist nicht gegen das 
Privateigentum an sich, sondern nur gegen be- 
stimmte Wirkungen desselben. Das Privateigen- 
tum soll deshalb nicht aufgehoben, sondern 
reformiert werden. Zwei Wirkungen der Privat- 
eigentumsinstitution sind es, die zunächst und 
hauptsächlich in die Augen springen, eine gute 
und eine schlechte. Die gute besteht darin, daß 
das Privateigentum dem Besitzer die Verfügung 
über Produktionsmittel gibt, die schlechte, daß es
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.