Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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mal vorhandene Wirklichkeit eines Naturzustandes 
weist Pufendorf entschieden ab; dagegen nimmt er 
an, daß die ersten Familien, ehe sie Staaten bil- 
deten, in natürlicher Freiheit gelebt hätten, und 
daß erst die Furcht sie zur Staatengründung ge- 
führt hätte. Doch soll diese Furcht nicht Folge 
eines schon bestehenden Zustandes gegenseitiger 
Vergewaltigung (Hobbes) gewesen sein, sondern 
weise Fürsorge für die gemeine Sicherheit, Lrae- 
cautio futuri mali, die zur Bildung einer Sicher- 
heitsgesellschaft führt. Denn das ist der Staat 
nach Pufendorfs Theorie, Menschenwerk, nicht 
Notwendigkeit der Natur. Die Grundlage der 
staatlichen Ordnung sind Verträge: der Eini- 
gungsvertrag, wodurch jeder zugunsten der Ge- 
samtheit auf seine natürliche Freiheit verzichtet, 
dann der Unterwerfungsvertrag, wodurch die so 
gebildete Gesamtheit eine bestimmte Gewalt an- 
ordnet, deren Herrschaft sie von nun an anerkennt. 
Auch die Leibeigenschaft ist ihm nur eine Wirkung 
eines freien Vertrags, er will aber das Recht der 
freien Auswanderung jedem Staatsangehörigen 
wahren. Pufendorf will, wie in seiner Theorie 
vom Ursprung des Naturrechts, auch für die staat- 
liche Ordnung die göttliche Sanktion nicht ent- 
behren. Er vereinigt dieselbe mit seiner Vertrags- 
theorie, wie folgt: die Menschen folgen bei dem 
Eingehen des Gesellschaftsvertrags, dem Einsetzen 
einer öffentlichen Gewalt, nur göttlicher Anord- 
nung also ist die bürgerliche Herrschaft imperium 
eivile) von Gott, wenn auch durch menschliche 
Handlung vermittelt — ganz die Theorie Bellar- 
mins. Haben sich die einzelnen einmal unter- 
worfen, so ist die höchste Gewalt sich selbst Gesetz, 
nicht an die Gesetze gebunden, die ja von ihr aus- 
gehen. Das Volk kann nicht zurücknehmen, was 
es einmal gegeben, muß selbst tyrannische Herr- 
schaft mit Geduld ertragen. Pufendorf ist Abso- 
lutist, er hebt in seinem Naturrecht die Monarchie 
als die lebenskräftigste Staatsform hervor, die 
aristotelische Unterscheidung zwischen realer und per- 
sönlicher Majestät läßt er nicht gelten, da für ihn. 
das Volk nur als Untertanenkomplex in Betracht 
kommt, dem keine Souveränität zusteht. Dagegen 
müsse das Gemeinwohl den Rechten einzelner, auch 
denen derobersten Machthaber vorangehen.— Jeder 
Abgabenpflichtige hat zu den Staatserhaltungs- 
kosten in dem Maß, wie ihm der Staat Vorteil 
bringe, auch beizusteuern. Die Steuerpflicht soll 
nach ihm eine für Fürst und Volk gemeinsame sein. 
Natürlich beruht nach Pufendorf auch das Eigen- 
tum auf ttillschweigender Ubereinkunft, seine Straf- 
theorie ist eine relative, Zweck der Strafe: Prä- 
vention, Besserung. 
Pufendorfs Befreiung des Naturrechts läßt sich 
nach dieser Ubersicht leicht schätzen. Sie ist nichts 
als eine Erniedrigung des einzelnen sowohl als 
der Gesellschaft, des Staats, eine Verödung der 
Rechtswissenschaft, wie sie eintreten muß, wenn die 
Unterordnung unter die höchste Endbestimmung 
des Menschen, das letzte Endziel der sittlichen 
—2 
Pufendorf. 
  
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Ordnung verworfen wird. Nur hat Pufendorf 
nirgends die letzten Folgerungen gezogen. — Die 
rechtgläubige Theologie des Luthertums erhob 
heftige Einsprache gegen Pufendorfs Lehren. so 
Alberti, v. Seckendorf u. a., war aber in der 
Polemik wie in der prinzipiellen Verteidigung des 
christlichen Naturrechts Pufendorf nicht gewachsen. 
Seine zahlreichen Repliken und Dupliken, in denen 
sich Pufendorf verteidigte, hat er später zusammen- 
gefaßt in der Schrift Eris Scandica, Frankf. 
a. M. 1686. Die beste Kritik Pufendorfs ging 
von Leibniz aus in einem Brief an den Abt 
Molanus, später als Monita quaedam ad Sam. 
Pufendorfii principia bezeichnet (Opera ed. 
Dutens. IV 275 ff). 
Bemerkenswert ist Pufendorfs Anschauung von 
dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat, weil 
sie auf die kirchenrechtliche Theorie des Protestan- 
tismus in Deutschland von großem Einfluß war. 
Pufendorf legte sie in der 1686 veröffentlichten 
Schrift De habitu religionis christianae ad 
vitam civilem dar. Die Religion ist danach 
älter als alle Staatengründung. Zu ihrer Aus- 
übung in der Gottesverehrung bedarf es über- 
haupt keiner Verbindung mehrerer. Deshalb ist 
die Religion auch nicht in dem gesellschaftlichen 
Vertrage mit inbegriffen, also auch nicht der Herr- 
schaft unterworfen: in Glaubenssachen ist jeder 
frei. Nur insofern die Frömmigkeit das Funda- 
ment aller Sitte, ihre Erhaltung also auch im 
Interesse des Staats notwendig erscheint einer- 
seits, und anderseits insoweit die Religion einer 
„äußerlichen Direktion“ bedarf, wie sich Pufen- 
dorf anderswo ausdrückt, fällt die Sorge für die 
Religion der Staatsgewalt zu. Aus dem ersten 
Gesichtspunkt hat dieselbe die Pflicht, Atheismus, 
Götzendienst u. dgl. zu bestrafen, das Recht, grobe 
Mißbräuche in der Kirche abzustellen (ius refor- 
mandi); aus dem zweiten fällt ihr das Kirchen- 
regiment zu, während der Kirche selbst als einer 
Privatversammlung nur die Lehre und Verwal- 
tung der Sakramente, aber keine Jurisdiktion, 
keine Prärogative der Herrschaft zukomme. Denn 
es dürfe nicht zweierlei Gewalten geben: also ist 
die Kirche dem Staat unterworfen. Während 
also Pufendorf das Vernunftrecht von aller Autori- 
tät der Kirche befreien will, soll die Kirche der aus 
diesem Vernunftrecht hervorgegangenen bürger- 
lichen Gesellschaft in Dienst gegeben werden. Im 
„Monzambano“, wo Pufendorf hinter der Maske 
sich um so freier fühlt, erklärt er es für berechtigt, 
dispicere quatenus via salutis aeternae, 
circa qduam sacerdotes laborant, ad rationes 
nostras politicas quadret (ebd. 8, 7), und be- 
lobt ebendort das Luthertum als die für die 
monarchische Staatsform geeignetste Religion. 
Es ist so leicht begreiflich, von welch blindem 
Haß gegen die katholische Kirche und das Papst- 
tum insbesondere Pufendorf erfüllt war. Der- 
selbe zeigt sich im „Monzambano“ unverhüllt 
genug, noch maßloser in seiner „Einleitung zu der
	        
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