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Recht Patienten, der Advokat Klienten und der
Opernsänger Zuhörer vom Staat verlangen
könnte“ (Singer, S. 80). Es leuchtet ohne wei-
teres ein, daß eine solche Forderung die wirt-
schaftlichen Kräfte des Staats sehr bald völlig er-
schöpfen und ihm auch eine im Rahmen unserer
Gesellschaftsordnung durchaus unausführbare Auf-
gabe stellen würde.
Nicht weniger undurchführbar ist die Forderung
des Rechts auf Arbeit schlechthin. Selbstverständ-
lich könnte es sich hier nur um Zuweisung ein-
facher ohne besondere Vorkenntnisse und Ubung
auszuführender Handarbeiten, vorzugsweise Erd-
arbeiten, handeln. Hier werden aber gleich von
vornherein solche Arbeitslose ausgeschaltet werden
müssen, welche einmal ihrer Körperkonstitution
nach schwere Hand= insbesondere Erdarbeiten nicht
ausführen können, und sodann jene, denen man sie
nicht zumuten kann, wenn sie ihre Geschicklichkeit
und Fähigkeit in ihrem erlernten Beruf, z. B.
Feinmechaniker, Goldarbeiter, demnächst wieder
weiterarbeiten zu können, behalten sollen. Für diese
könnte keine Arbeit geschaffen werden; wollte man
ihnen eine Unterstützung ohne Arbeitsleistung ge-
währen, so würde dies eine Bevorzugung gegenüber
den andern Arbeitern sein, welche ihren Lohn nur
nach geleisteter Arbeit empfingen. Die Forderung
muß aber auch an der Möglichkeit der Schaffung
geeigneter Arbeitsgelegenheit scheitern. Bei dem
immerhin kleinen Umfang der Arbeitsgelegenheit,
in welcher eine möglichst große Zahl von Ar-
beitern der verschiedensten Berufszweige zusammen
beschäftigt werden könnte, würde sehr bald eine
Erschöpfung der Arbeitsmöglichkeit eintreten, wenn
man nicht schließlich völlig unproduktive Arbeiten
verrichten lassen wollte. Würde aber der Staat,
um diese Schwierigkeit zu vermeiden, in das Pri-
vateigentum und in die Privatbetriebe eingreifen
und solche an sich ziehen, so würden wir allmäh-
lich zu einer vollständigen Verstaatlichung des
Eigentums, der Betriebe und des Absatzes der er-
zeugten Produkte kommen, und eine vollständige
Umwälzung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse
und unserer Wirtschaftsordnung herbeiführen.
Anderseits läßt sich aber nicht verkennen, daß
der Arbeiter ein persönliches und natürliches Recht
hat, durch Arbeit seinen und seiner Familie Unter-
halt zu erwerben, und daß der Staatszweck die
Verpflichtung in sich schließt, darüber zu wachen,
daß dem Arbeiter die Möglichkeit, Arbeit und da-
mit die erforderlichen Existenzmittel zu erlangen,
durch die Gestaltung der Eigentumsordnung und
der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht abgeschnitten
wird. Das hieraus resultierende „Recht auf Exi-
stenz“ und „Recht zu arbeiten“ hat in neuerer
Zeit dadurch Anerkennung gefunden, daß man die
Arbeiterschaft gegen die Folgen allgemeiner oder
teilweiser Arbeitslosigkeit zu schützen sucht durch
Organisation von Notstandsarbeiten, durch Er-
richtung von öffentlichen Arbeitsnachweisen und
Einrichtung einer Arbeitslosenversicherung.
Recht, Deutsches.
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In gewissem Sinn ist der Begriff des Rechts,
zu arbeiten, auch in die Armenfürsorge ein-
gedrungen. Man stellt nämlich den Grundsatz auf,
daß jedem arbeitsfähigen, zurzeit arbeitslosen Be-
dürftigen statt einer Armenunterstützung, wenn
irgend möglich bezahlte Arbeit (eventuell sog. Not-
standsarbeit) angewiesen oder die Unterstützung
nur gegen Arbeitsleistung (z. B. in den Verpfle-
gungsstationen für wandernde Handwerksburschen
und Arbeiter) gegeben werden soll. Die Leistung
dieser Arbeit wird denn zugleich zur Pflicht ge-
macht und durch die Strafbestimmung des § 361
Z. 7 des R.St.G.B. erzwungen.
Literatur. Jof. Garnier, Le droit au tra-
vail (1848); L. Foucher, Le droit du travail
(1848, in Mélanges d'économie polit. II 148 ff);
Lamartine, Du droit au travail et de Torgani-
sation du travail (Par. 1845); Louis Blanc, Le
socialisme, droit au travail (ebd. 1848); L. Gall,
Mein Wollen u. mein Wirken (1835) 35; F. Stro-=
meyer, Organisation der Arbeit (1844); L. v. Stein,
Der Sozialismus u. Kommunismus des heutigen
Frankreich (1842) 349 ff; F. Hitze, Kapital u. Ar-
beit (1881) 145 ff; K. Marlo, Untersuchungen
über die Organisation der Arbeit IV (21885/,86);
G. Adler, Das R. a. A., abgedruckt in der „Gegen-
wart" (1884) Nr 22; ders., Über die Aufgaben des
Staats angesichts der Arbeitslosigkeit (1894);
F. Stöpel, Das R. a. A. (1884); Hann, Das R. a.
A. (1889); H. Herkner, Studien zur Fortbildung
des Arbeitsverhältnisses, im Archiv für soziale Ge-
setzgebung u. Statistik 1V 590 f; A. Menger,
Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag (81904);
Schäppi, Das R. a. A. (1895); R. Singer, Das
R. a. A. in geschichtlicher Darstellung (1895);
B. Otto, Das R. a. A. u. die Arbeiterinteressen
(21902); Pesch, Nationalökonomie 1 (1905) 291.
[Antoni.)]
Recht, Deutsches. I. Deutsches Recht kann
den heurigen Rechtszustand Deutschlands im öffent-
lichen und Privatrecht bezeichnen. Er repräsentiert
eine fortgeschrittene Stuse der Rechtskultur und
vereinigt in sich sehr verschiedenartige Elemente.
Neben zahlreichen modernen Rechtsschöpfungen
enthält er den Niederschlag der nationalen Rechts-
vergangenheit, in deren ruhige Entwicklung die
Aufnahme fremder Rechte störend eingegriffen hat.
Die wichtigsten Einschnitte werden durch die Re-
zeption des römischen Rechts am Beginn der Neu-
zeit und durch die Einwirkungen der rationalisti-
schen und demokratischen Gesetzgebung Frankreichs
seit dem Zeitalter der Aufklärung gekennzeichnet.
Die Aufnahme des römischen Rechts drängte das
nationale Recht in Gesetzgebung und Praxis zu-
rück, mag es auch gegenüber der älteren deutschen
Rechtszersplitterung nach Territorien, Herrschaften
und Ständen ein einheitliches Rechtsbewußtsein
hervorgerufen haben. Wissenschaftliche Pflege fand
in Deutschland nach dem Vorbild der italienischen
Juristenschulen des Mittelalters lange Zeit nur
das „gemeine Recht“: das Zivilrecht auf der
Grundlage des Corpus iuris civilis Justinians,
das kanonische Recht der Kirche, der auf römisch-