Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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notwendig folgende Schwächung der königlichen 
Gewalt konnte, im Gegensatz zu Frankreich und 
England, durch die kräftigsten Herrscher nur 
aufgehalten, nicht aber beseitigt werden. Nachdem 
es Friedrich I. gelungen war, das Stammes- 
herzogtum, den jahrhundertelangen Gegner des 
Königtums, im Kampf mit Heinrich dem Löwen 
niederzuwerfen, fielen die Früchte dieses Kampfes 
nicht dem König, sondern den Fürsten und Herren 
zu. In ihren Lehen und allodialen Herrschaften 
entwickelten diese eine Landesherrlichkeit (domi- 
nium terrae), bie alle öffentlichen Befugnisse zu 
erfassen und direkte Eingriffe des Königtums aus- 
zuschließen trachtete, so daß die Macht des Königs 
auf die seiner Herrschaft unmittelbar unterworfenen 
Gebiete (am Harz, in der Wetterau, im Elsaß, in 
Schwaben), auf die namentlich von den Städten 
aufgebrachten Reichssteuern, endlich auf die genau 
begrenzten Vassallendienste beschränkt wurde, welch 
letztere das vassallitische Reichsheer seit dem Hoch- 
kommen des Söldnerwesens zur Bedeutungs- 
losigkeit herabdrückten. Im übrigen mußten sich 
die Herrscher auf die Fürstenstellung der eignen 
Familie und ihrer Hilfsquellen, die sog. Haus- 
macht, stützen; seit Ende des Mittelalters war das 
Königtum (bzw. Kaisertum) fast nur ein Titel. 
Die Reichsreform unter Maximilian I. tendierte 
nach Umgestaltung des Reichs aus einer Mon- 
archie in einen Bundesstaat. Die Glaubensspal- 
tung und ihre Folgen, besonders der Dreißig- 
jährige Krieg, brachten für das Verfassungsleben 
keine geringeren Erschütterungen, als sie die gleich- 
zeitig erfolgte Aufnahme der Fremdrechte für Pri- 
vatrecht und Prozeß nach sich zog. Der West- 
fälische Friede bahnte die Liquidation des heiligen 
römischen Reichs an durch nahezu unbeschränkte 
Anerkennung der Souveränität der deutschen 
Fürsten. Im Reich konnte es, von einzelnen er- 
folgreichen Gesetzgebungsakten (Ewiger Landfriede, 
Schaffung des Reichskammergerichts, Einrichtung 
der Reichskreise, peinliche Halsgerichtsordnung 
Karls V., Reichspolizeiordnungen) abgesehen, zu 
keiner kraftvollen Entwicklung des Staatslebens 
mehr kommen. Das Reichsheer war nach Verfall 
des mittelalterlichen Lehensheeres eine kümmer- 
liche, unständige Söldnermiliz, das Finanz- 
wesen des Reichs ein Bild kläglichen Bankrotts. 
Dagegen erstarkten die Territorien mehr und mehr 
zu wirklichen Staaten. Schon in den Jahrhun- 
derten des ausgehenden Mittelalters wurde hier 
der Feudalstaat durch das landesherrliche Be- 
amtentum überwunden, wurden im Verein mit den 
Landständen dauernde Grundlagen einer staat- 
lichen Finanzwirtschaft gewonnen. Durch Länder- 
zuwachs, durch strenge Durchführung der Unteil- 
barkeit des Territoriums nach der Erbfolgeord- 
nung der Primogenitur, durch Schaffung zentraler 
Staatsorgane, durch innere Uberwindung des losen 
Konglomerats einzelner Amter und Herrschaften, 
durch eine nach einheitlichen Grundsätzen einge- 
richtete Staatsverwaltung bewies der neuzeitliche 
Recht, Deutsches. 
  
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Territorialstaat, daß er der kräftige Träger der 
staatlichen Entwicklung geworden war. Auf der 
absoluten Macht des römischen Imperators, wie 
sie das rezipierte Fremdrecht enthüllte, auf der da- 
mit übereinstimmenden Staatslehre der Renais- 
sance, endlich auf den ausländischen Vorbildern 
baute sich das absolute Fürstentum auch in 
Deutschland auf. Mächtigen Vorschub leistete in 
den protestantischen Ländern die Kirchenhoheit des 
landesherrlichen Summepiskopats, die ihrerseits 
das Vorbild ähnlicher Bestrebungen an katho- 
lischen Fürstenhöfen wurde. Der absolute Fürst 
entfaltete eine rege Gesetzgebungsgewalt, welche 
die Schranken der historischen Kontinuität der 
Staatseinrichtungen vielfach durchbrach. Das 
Volk nahm nur die Stellung von beherrschten 
Untertanen ein, selbst der Vertretung der obersten 
Schichten in den Landständen wußten sich die 
Fürsten fast überall zu entledigen. 
III. Das ältere deutsche Prozeßrecht wies den 
starren Prozeßformalismus jedes primitiven Rechts- 
gangs auf. Die Gerichte waren Volksgerichte, in 
ihrer Besetzung aufgebaut auf dem Gegensatz des nur 
prozeßleitenden Richters und des urteilfindenden 
Dingvolks oder eines Ausschusses der Gerichts- 
gemeinde, insbesondere der von Karl d. Gr. ein- 
geführten Schöffen (12). Die Verhandlungen 
erfolgten mündlich an festbestimmten Tagen im 
Jahr (echte Dinge, seit Karl d. Gr. drei im Jahr) 
oder auf besondere Ladung (gebotene Dinge). 
Der Prozeßbetrieb lag lange Zeit ausschließlich 
in Händen der Parteien (Anklageprinzip, „Wo 
kein Kläger, da ist kein Richter"), erst allmählich 
hob sich die Stellung des Richters und gelangte 
man zu amtlicher Verfolgung der Verbrechen 
Cuerst in den Gerichten der Karolingischen Königs- 
boten (missi dominicil und in ihren Nachläufern, 
den kirchlichen Sendgerichten). Strafprozeß und 
Zivilprozeß waren nicht getrennt, alle Klagen hatten 
ursprünglich mehr oder weniger Strafprozeß- 
charakter. Der Beweis war grundsätzlich das Recht 
des Beklagten, sich von der Klage zu reinigen. 
Nur zögernd und zunächst für gesetzliche Spezial- 
fälle hatte der Kläger das Beweisrecht. Die Be- 
weismittel dienten ursprünglich nicht dazu, um 
den Richter von der Wahrheit einzelner bestrittener 
Tatsachen zu überzeugen, sie waren vielmehr rein 
formale Mittel, aufgebaut auf dem Volksglauben 
an ihre Beweiskraft, einzig dazu bestimmt, im 
ganzen zu erweisen, auf welcher Seite das Recht 
liegt. Die wichtigsten Beweismittel waren Eid 
(Reinigungseid als Eineid des Beklagten und als 
Eid mit Eidhelfern) und Gottesurteile (namentlich 
gerichtlicher Zweikampf und Kesselfang oder Feuer- 
probe). Urkunden und Geschäftszeugen treten später 
hinzu. Nachdem schon die Gesetzgebung Karls 
d. Gr. wichtige Reformen des älteren germanischen 
Prozeßrechts gebracht hatte, bahnen sich noch 
innerhalb der nationalen Rechtsentwicklung weitere 
Verbesserungen an, gerichtet auf Zurückdrängung 
des Formalismus zugunsten von Tatsachenermitt-
	        
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