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Recht und Rechtsgesetz.
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lungen in den Schulen erläutert und vor Gericht Methode zur Bestimmung des Rechtsbegriffs be-
angerufen wurde. Seine für die Rezeption maß- steht darin, daß man das allgemeine Bewußtsein
gebende Gestalt erhielt das römische Recht durch befragt. Wie sich jeder unwillkürlich auf Grund
den Postalossator Bartolus di Sassoferrato (1314
bis 1357). Seine neue wissenschaftliche Belebung
ging im 16. Jahrh. von Frankreich aus durch
Cujas (1522—1590) und Doneau 1527—1601)
sowie den Genfer Professor Dionys Godefroy,
(1549—1622). Der Aufschwung machte sich in
seins und des Bewußtseins anderer, wie es sich in
Italien, Spanien und im 17. und 18. Jahrh.
namentlich in den Niederlanden geltend, Deutsch-
land blieb zunächst von ihm unberührt. Dafür
erlebte hier die römische Rechtswissenschaft eine
wahre Wiedergeburt im 19. Jahrh. durch v. Sa-
vigny (1779—1861), der den Grundsatz ver-
fochten hat, daß das Recht eines Volks ein histo-
risches Ergebnis und nicht etwas Zufälliges und
Willkürliches ist, und daß daher das Verständnis
des römischen Rechts nur durch jene Vereinigung
allgemeiner Gesichtspunkte und technisch-gelehrter
Forschungen erworben werden könne, die wesent-
liches Erfordernis jedes ernsthaften historischen
Studiums sind.
Literatur. Jörs in Birkmeyer, Enzyklo-
pädie der Rechtswissenschaft; Bruns-Lenel in
Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie der Rechts-
wissenschaft, mit reichen Literaturangaben; Girard-
v. Mayr, Geschichte u. System des röm. Rechts
(1908); Karlowa, Röm. Rechtsgeschichte (2 Bde,
188 5/92). [Spahn.)]
Recht und Rechtsgesetz. [Methodolo-
gische Vorfrage; Urbegriff des Rechts; Recht
(Rechtsgesetz, Rechtsordnung); Recht (rechtliche
Befugnie)]!.
I. Methodologische Vorfrage. Der Rechts-
begriff läßt sich nicht aus der bloßen Erfahrung
oder Rechtsvergleichung ableiten, wie bis in die
neueste Zeit von der empiristischen Rechtsschule
vielfach behauptet wurde. Jede Rechtserfahrung
setzt den Rechtsbegriff schon voraus. Denn wenn
man nicht schon vorher weiß, was Recht ist und
zum Rechtsgebiet gehört, kann man nie eine durch
die Erfahrung gegebene Erscheinung als Rechts-
erscheinung behandeln und aus ihr den Rechts-
begriff herleiten. Ebensowenig hilft die bloße
Rechtsvergleichung; denn um mehrere Institutionen
als Rechtsinstitutionen vergleichen zu können, muß
man schon wissen, was eine Rechtsinstitution ist.
Sonst könnte man Einrichtungen zum Vergleich
heranziehen, die gar nicht zum Rechtsgebiet ge-
hören. — Der Rechtsbegriff ist aber auch kein an-
geborner Begriff oder ein rein sormaler, inhalts-
leerer Begriff, den, wie Kant und andere an-
nehmen, die Vernunft a priori aus sich hervor-
bringt. Es gibt keine angebornen Begriffe. Die
Menschen schöpfen alle ihre Begriffe durch Ab-
straktion aus der Erfahrung. Der Blindgeborne
kommt aus sich nie zum Begriff des Lichts. Die
inhaltslosen Begriffe sind zudem ein Wider-
spruch. Ein Begriff, durch den nichts begriffen
wird, ist eine Brille ohne Gläser. — Die richtige
natürlicher Neigung und Veranlagung den Be-
griff der Zeit, der Bewegung usw. bildet, so auch
den Begriff von Recht und Unrecht. Aufgabe der
Wissenschaft bzw. der Rechtsphilosophie ist es,
diesen Rechtsbegriff zu analysieren und allseitig
klarzulegen durch Befragung des eignen Bewußt-
der Sprache äußert. Es gibt auch nur einen
Rechtsbegriff, der für alle Menschen gilt. Wie alle
Menschen im wesentlichen dieselbe Veranlagung
haben, so bilden sich auch alle denselben Grund-
siock von Allgemeinbegriffen, der die Grundlage
und Voraussetzung jeder weiteren Forschung bildet.
(Man vgl. d. Art. Naturrecht und Rechtsphilo-
sophie; ferner Cathrein, Recht, Naturrecht und
positives Recht 2 [1909] 32 ff).
II. Arbegriff des Rechts. Recht (ius, öben.
*5 30410)) heißt in seiner ursprünglichen und all-
gemeinsten Bedeutung das, was objektiv der Ge-
rechtigkeit entspricht (iustum). So der hl. Tho-
mas von Aquin (S. theol. 2, 2, q. 57, a. 1)
im Anschluß an Isidorus von Sevilla (Etymol.
5, 3) und Aristoteles (Ethic. Nic. 5, 1), und
nach ihm die Hauptvertreter der Schule. Damit
stimmt auch etymologisch das deutsche Wort
„Recht“ und der aristotelische Ausdruck re 3%#
vollkommen überein. Wie daher das justum im
älteren Sprachgebrauch eine weitere oder engere
Auffassung zuläßt, je nachdem es auf das gesamte
Gebiet der Moral oder speziell nur auf das der
eigentlichen Gerechtigkeit bezogen wird, so auch die
allgemeine Bezeichnung „Recht“ (vgl. d. Art.
Naturrecht und Rechtsphilosophie). An dieser
Stelle kommt jedoch nur die letztere Auffassung in
Betracht. Die Gerechtigkeit ist die Tugend, die
jedem das Seinige (suum cuique) gibt. Als das
Seinige kann jeder das bezeichnen, was in beson-
derer Beziehung zu ihm steht und an erster Stelle
für ihn bestimmt ist, so daß er im Gebrauch des-
selben den Vorzug vor allen andern verdient. In
diesem Sinn sagt man, jedem solle sein Recht wer-
den oder jemand verlange sein gutes Recht.
Wurzelt so alles Recht begrifflich in der sittlichen
Vernunftidee des iustum, des Obijekts der Ge-
rechtigkeit, so folgt schon hieraus dessen allgemein
sittlicher Charakter. Es kann seine wesentliche
Objektivität niemals in menschlicher Willkür, son-
dern nur in einer über dem Menschen stehenden
Ordnung haben, deren Erkenntnis das natürliche
Rechtsgefühl und Gewissen vermittelt. Auf diesem
gemeinsamen Grund stehen daher auch die nächsten
Ableitungen aus dem Urbegriff des Rechts. Es
gibt deren hauptsächlich zwei, die eine besondere
Berücksichtigung erheischen. Die eine berührt die
objektive, die andere mehr eine subjektive Seite des
Rechts. Es ist die Ubertragung des Rechtsbegriffs
einerseits auf das Gesetz als eine Norm des Rechts
(regula iusti), anderseits auf die rechtlichen Be-