Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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fugnifse, die kraft einer Rechtsnorm den ein- 
zelnen (physischen oder moralischen) Personen zu- 
kommen. 
III. Rechtsgesetz, Rechtsordnung. Das 
Recht in der Bedeutung von Rechtsgesetz kann 
sowohl einzelne Gesetze und gesetzliche Bestimmun- 
gen als auch kollektiv einen Inbegriff von Rechts- 
gesetzen, eine einheitliche Rechtsordnung bezeichnen. 
In dieser Auffassung entspricht daher der Rechts- 
begriff zunächst dem jussum (Gebot, Satzung), 
jedoch immer unter Voraussetzung des justum 
als Objekt. Deshalb wird auch die formelle und 
sachliche Unterscheidung sowie die darauf gegrün- 
dete Einteilung der Gesetze in analoger Weise auf 
das Recht übertragen. 
1. Wie wir nach der Verschiedenheit der gesetz- 
gebenden Autorität, aus welcher dieselben un- 
mittelbar hervorgehen, natürliche und positive, 
göttliche und menschliche Gesetze unterscheiden, so 
auch natürliches und positives, göttliches und 
menschliches Recht. Die natürlichen Sittengesetze, 
die sich auf die Pflichten der Gerechtigkeit beziehen, 
z. B. das Gebot: Du sollst nicht töten, nicht 
stehlen usw., bilden das natürliche Recht im ob- 
jektiven Sinn. Alles natürliche Recht ist zu- 
gleich göttliches Recht, weil es unmittelbar von 
Gott als dem Urheber der vernünftigen Natur 
stammt und mittels dieser eine Offenbarung des 
„ewigen Gesetzes“ ist. Positiv ist jedes mensch- 
liche Recht. Durch die christliche Glaubenslehre 
kennen wir überdies auch ein positives göttliches 
Recht, welches zugleich mit der Erhebung des 
Menschen in die übernatürliche Ordnung auf 
einer freien göttlichen Gesetzgebung beruht. Jedes 
seiner Form nach positive Recht, sowohl mensch- 
liches wie göttliches, kann jedoch seinem Inhalt 
nach zugleich natürliches Recht sein, insofern es 
natürliche Rechtssätze in sich aufnimmt und unter 
positive Sanktion stellt. Das menschliche Recht 
unterscheidet sich zunächst nach der spezifischen Ver- 
schiedenheit der gesetzgebenden menschlichen Auto- 
rität, der es entstammt, einerseits als kirchliches 
(kanonisches), anderseits als bürgerliches oder 
staatliches Recht (Zivilrecht im weitesten Sinn). 
Letzteres ist entweder legales (geschriebenes) oder 
Gewohnheitsrecht, je nachdem es formell auf einem 
ausdrücklichen Gesetz oder auf einer Gewohnheit 
beruht, welche durch die stillschweigende und 
dauernde Übereinstimmung von Volk und Au- 
torität den virtuellen Charakter eines Gesetzes er- 
hält. Nach seinen gegenständlichen Beziehungen 
teilt sich das Zivilrecht in Privat= und öffent- 
liches Recht, letzteres wieder in das Staats- 
recht im engeren Sinn, und das internationale 
Recht. Endlich bieten auch die nationalen Eigen- 
tümlichkeiten der Rechtsordnungen verschiedener 
Länder und Völker sowie die Einflüsse des Zeit- 
geistes unter verschiedenen Perioden der Geschichte 
vielfache Veranlassung, bald von römischem, deut- 
schem, französischem usw., bald von „altem“ und 
„neuem" Recht zu sprechen. 
Recht und Rechtsgesetz. 
  
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2. Trotz dieser Verschiedenheit wird das Recht, 
in seiner Gesamtheit wie in seinen Verzweigungen, 
wesentlich von einer innern, idealen Einheit 
getragen. Diese Einheit des Rechts besteht in 
seinem gemeinsamen idealen Zweck und seinem 
gemeinsamen (mittelbar oder unmittelbar) gött- 
lichen Ursprung. 
a) Die vom Schöpfer ausgehende moralische 
Weltordnung, welche speziell die Vernunftwesen 
umfaßt und ihre Anwendung auf das gesamte, 
zum gesellschaftlichen Leben berufene Menschen- 
geschlecht finden soll, besteht nicht allein in der all- 
gemeinen zwecklichen Unterordnung der einzelnen 
unter Gott als den Endzweck der Schöpfung, sie 
wird zugleich während dieses irdischen Daseins 
wesentlich bedingt durch eine der Natur der Ver- 
nunftwesen entsprechende Gesellschaftsord- 
nung. Durch letztere sollen die Glieder der Ge- 
sellschaft in ihren gegenseitigen Beziehungen so- 
wohl zueinander wie zur Gesamtheit, diese wieder- 
um gegenüber ihren Gliedern nach den Forde- 
rungen der objektiven Gerechtigkeit, wie sie der 
vernünftigen Natur eingepflanzt sind, geordnet 
und in dieser Ordnung erhalten werden. Wie die 
physische Weltordnung nicht denkbar ist, ohne daß 
deren Teile durch die Gesetze der Gravitation und 
des dynamischen Gleichgewichts in ihren Bewe- 
gungen gegenseitig zueinander wie zum Ganzen in 
der richtigen Harmonie erhalten werden, so kann 
auch die äußere moralische Ordnung der Gesell- 
schaft nicht bestehen ohne Gesetze der moralischen 
Gravitation und des moralischen Gleichgewichts, 
wodurch die einzelnen Glieder und Gruppen der 
Gesellschaft einerseits in der freien Bewegung in 
ihrer zuständigen Sphäre geschützt, anderseits 
wirksam bestimmt werden, das richtige Verhält- 
nis zueinander und zur ganzen Gesellschaft ein- 
zuhalten. Diesem Zweck hat nach der Absicht des 
Urhebers der Gesellschaft das Recht zu dienen. 
Seine Aufgabe ist eine wesentlich soziale; denn 
durch sie ist der organische Bau und der Bestand 
der gesellschaftlichen Ordn#ung bedingt, wie solche 
nach dem ewigen Vernunftplan in der menschlichen 
Natur selbst grundgelegt ist. Was für den phy- 
sischen Organismus des Menschen das Knochen- 
und Sehnengerüst ist, das soll, bildlich gesprochen, 
für den moralischen Organismus des Sozial- 
körpers das Recht und die Rechtsordnung sein. 
Wenn wir die soziale Aufgabe des Rechts mit der 
der freitätigen sozialen Liebe vergleichen, so er- 
scheint ersteres als ein Prinzip des stabilen Seins 
und des gesicherten Bestands für den sozialen 
Organismus im ganzen und in seinen Gliedern, 
die Liebe dagegen als ein Prinzip der sozialen 
Lebenstätigkeit und des Fortschreitens zur all- 
seitigen sozialen Vervollkommnung. Beide sind 
aufeinander angewiesen, um gemeinsam ihre Auf- 
gabe in dem allseitigen Gemeinwohl der Gesell- 
schaft zu vollenden. Die Liebe bedarf zu ihrer 
vielgestaltigen expansiven Wirksamkeit des Rechts 
als einer sichern Unterlage und als eines notwen- 
 
	        
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