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geführt: die eigne äußere Tätigkeit des Rechts-
subjekts; den Besitz jeder Art menschlicher Ge-
brauchsgüter; bestimmte Leistungen anderer Per-
sonen. — Unter Rechtstitel endlich versteht man
den tatsächlichen Grund, durch welchen die Existenz
eines individuell bestimmten Rechts dem vernünf-
tigen Geist gegenüber ihre Beglaubigung findet.
So ist z. B. die Tatsache eines vollzogenen Kauf-
oder Schenkungsvertrags oder jeder andern ehr-
lichen Erwerbsweise ein Rechtstitel für das bean-
spruchte Eigentumsrecht über eine Sache. Die
meisten Rechte beruhen auf Titeln, die aus freien
menschlichen Tatsachen, wie Verträgen, gesetzlichen
Anordnungen usw., hervorgehen; es gibt jedoch
auch solche, welche unabhängig von der direkten
und freien Willensbestimmung der Beteiligten
durch natürliche Tatsachen ihre Verwirklichung
und unabweisliche Beglaubigung erhalten, wie
z. B. in der Familie die Geburt von Kindern die
elterlichen Rechte über dieselben in bestimmter
Weise verwirklicht.
3. Die Unterscheidung zwischen natürlichem
und positivem Recht überhaupt erstreckt sich im
besondern auch auf die Rechtsbefugnisse. Neben
den Rechten, die nur durch eine positive gesetzliche
Bestimmung als solche Gültigkeit haben, gibt es
unzweifelhaft auch wirklich natürliche Rechte, die
unmittelbar durch das natürliche Rechtsgesetz und
unabhängig von jeder menschlichen Gesetzgebung
ihre Gültigkeit in sich selbst tragen. Außerdem
werden die Rechte hauptsächlich nach drei Gesichts-
punkten eingeteilt: a) In Hinsicht auf den Rechts-
titel unterscheidet man angeborne und erworbene
(absolute und hypothetische) Rechte, je nachdem sie
jeder menschlichen Person wesentlich und darum
zugleich mit deren tatsächlicher Existenz gegeben
sind oder weiterhin auf besondern Tatsachen des
persönlichen Daseins und Wirkens beruhen. b) In
Hinsicht auf das Rechtsobjekt unterscheiden sich
persönliche und dingliche Rechte (iura personalia
et realia). Den ersteren werden alle von einem
äußern Besitz unabhängigen rechtlichen Befug-
nisse beigezählt; zu den letzteren gehören alle Ver-
fügungsrechte über äußere Sachen, entweder als
ius in re oder als ius ad rem, je nachdem das
Rechtsobjekt bereits im faktischen Besitz des Rechts-
subjekts sich befindet oder erst noch der rechtlichen
Forderung unterliegt. c) In Hinsicht auf sittliche
Notwendigkeit gibt es veräußerliche und unver-
äußerliche Rechte. Veräußerlich ist ein Recht ent-
weder seiner Natur nach oder durch die Umstände,
insofern sein Inhaber darauf verzichten oder es
auf andere übertragen kann, ohne sich dadurch des
notwendigen Mittels zu begeben, einer in der
Gegenwart oder Zukunft unabweislich obliegenden
Pflicht zu genügen; unveräußerlich hingegen, in-
sofern die Möglichkeit einer solchen Pflichterfüllung
an den dauernden Besitz und eventuell an den Ge-
brauch des Rechts geknüpft ist. „Angeborne“ und
„unveräußerliche“ Rechte dürfen daher keineswegs
als identische Ausdrücke angesehen werden.
Recht und Rechtsgesetz.
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4. Schon der innere Zusammenhang der Rechts-
befugnisse mit der gesamten Rechtsordnung legt
den Schluß nahe, daß alles, was oben vom Ur-
sprung und sittlichen Charakter des Rechts (Rechts-
gesetzes) gesagt ist, ebenso im besondern auch für
die Rechte (Rechtsbefugnisse) gelten muß. Wie
sehr dieselben auch (abgesehen von gewissen an-
gebornen natürlichen Rechten) in den tatsächlichen
Bedingungen ihres Entstehens und in ihrer ganzen
individuellen Gestaltung von der freien Willens-
tätigkeit der Menschen, namentlich von vielfach
wechselnden Verträgen abhängig sind, so läßt sich
doch kein wirkliches Recht denken, das nicht ent-
weder als direkter Ausfluß einer Autorität oder
wenigstens bezüglich seiner innern Wesensform,
d. h. seiner rechtsverbindlichen Kraft, schließlich,
mittelbar oder unmittelbar, auf dem göttlichen
Ordnungsgesetz beruht und von da seinen wesent-
lich sittlichen Charakter bezieht. Den klarsten Be-
weis hierfür bieten selbst die begrifflichen Elemente
jedes Rechtsverhältnisses. Die Rechtspflicht, die
dem gegenüberstehenden Recht als ein inneres,
notwendiges Korrelat entspricht und nicht bloß
äußerlich erzwingbar, sondern vor allem für das
Gewissen verbindlich ist, kann offenbar jenen
höheren, jeder Gewissenspflicht wesentlichen Ur-
sprung nicht verleugnen. Es muß also auch das
Recht, als das maßgebende Korrelat der Pflicht,
bezüglich seiner Wesensform notwendig derselben
göttlichen Quelle entstammen. Ferner werden
Recht und Rechtspflicht als solche durch den Rechts-
titel offenbar. Die Aufgabe des letzteren ist aber
im Grund keine andere, als dem Gewissen des
vernünftigen Menschen die Überzeugung zu ver-
mitteln, daß unter den gegebenen tatsächlichen
Bedingungen ein bestimmtes Rechtsgesetz und in
letzter Instanz das göttliche Vernunftgesetz in der
Behauptung und Anerkennung des betreffenden
Rechtsverhältnisses seine unabweisliche Anwendung
fordert. Zuletzt ist es immer diese höhere, über
dem Menschen stehende Ordnung, die durch den
Rechtstitel angerufen wird; sie ist gewissermaßen
der allgemeinste Rechtstitel aller möglichen Rechte,
und in ihr allein wurzelt deren „Unverletzlichkeit“
als ein an sich durchaus inneres, sittliches Moment.
Die Erzwingbarkeit, welche zu dieser innern Un-
verletzlichkeit hinzutritt, setzt dieselbe notwendig
voraus und soll sie, als eine Bürgschaft der äußern
Verwirklichung der Rechtsansprüche, ergänzen, ohne
sie jemals ersetzen zu können.
So muß also, wie das Rechtsgesetz, so auch
jedes einzelne Recht in sich sittlich zulässig sein,
oder es ist überhaupt kein Recht. Wir sagen „in
sich“; denn von jedem Recht, objektiv in sich be-
trachtet, ist dessen Gebrauch von seiten des Men-
schen wohl zu unterscheiden. Damit verschwinden
alle die oberflächlichen Scheingründe, die aus der
Wirklichkeit des Lebens und der Geschichte gegen
die Heiligkeit jedes wahren Rechts vorgebracht zu
werden pflegen. Wie die persönliche Willensfrei-
heit, so ist auch das Recht dem vernünftigen