Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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geführt: die eigne äußere Tätigkeit des Rechts- 
subjekts; den Besitz jeder Art menschlicher Ge- 
brauchsgüter; bestimmte Leistungen anderer Per- 
sonen. — Unter Rechtstitel endlich versteht man 
den tatsächlichen Grund, durch welchen die Existenz 
eines individuell bestimmten Rechts dem vernünf- 
tigen Geist gegenüber ihre Beglaubigung findet. 
So ist z. B. die Tatsache eines vollzogenen Kauf- 
oder Schenkungsvertrags oder jeder andern ehr- 
lichen Erwerbsweise ein Rechtstitel für das bean- 
spruchte Eigentumsrecht über eine Sache. Die 
meisten Rechte beruhen auf Titeln, die aus freien 
menschlichen Tatsachen, wie Verträgen, gesetzlichen 
Anordnungen usw., hervorgehen; es gibt jedoch 
auch solche, welche unabhängig von der direkten 
und freien Willensbestimmung der Beteiligten 
durch natürliche Tatsachen ihre Verwirklichung 
und unabweisliche Beglaubigung erhalten, wie 
z. B. in der Familie die Geburt von Kindern die 
elterlichen Rechte über dieselben in bestimmter 
Weise verwirklicht. 
3. Die Unterscheidung zwischen natürlichem 
und positivem Recht überhaupt erstreckt sich im 
besondern auch auf die Rechtsbefugnisse. Neben 
den Rechten, die nur durch eine positive gesetzliche 
Bestimmung als solche Gültigkeit haben, gibt es 
unzweifelhaft auch wirklich natürliche Rechte, die 
unmittelbar durch das natürliche Rechtsgesetz und 
unabhängig von jeder menschlichen Gesetzgebung 
ihre Gültigkeit in sich selbst tragen. Außerdem 
werden die Rechte hauptsächlich nach drei Gesichts- 
punkten eingeteilt: a) In Hinsicht auf den Rechts- 
titel unterscheidet man angeborne und erworbene 
(absolute und hypothetische) Rechte, je nachdem sie 
jeder menschlichen Person wesentlich und darum 
zugleich mit deren tatsächlicher Existenz gegeben 
sind oder weiterhin auf besondern Tatsachen des 
persönlichen Daseins und Wirkens beruhen. b) In 
Hinsicht auf das Rechtsobjekt unterscheiden sich 
persönliche und dingliche Rechte (iura personalia 
et realia). Den ersteren werden alle von einem 
äußern Besitz unabhängigen rechtlichen Befug- 
nisse beigezählt; zu den letzteren gehören alle Ver- 
fügungsrechte über äußere Sachen, entweder als 
ius in re oder als ius ad rem, je nachdem das 
Rechtsobjekt bereits im faktischen Besitz des Rechts- 
subjekts sich befindet oder erst noch der rechtlichen 
Forderung unterliegt. c) In Hinsicht auf sittliche 
Notwendigkeit gibt es veräußerliche und unver- 
äußerliche Rechte. Veräußerlich ist ein Recht ent- 
weder seiner Natur nach oder durch die Umstände, 
insofern sein Inhaber darauf verzichten oder es 
auf andere übertragen kann, ohne sich dadurch des 
notwendigen Mittels zu begeben, einer in der 
Gegenwart oder Zukunft unabweislich obliegenden 
Pflicht zu genügen; unveräußerlich hingegen, in- 
sofern die Möglichkeit einer solchen Pflichterfüllung 
an den dauernden Besitz und eventuell an den Ge- 
brauch des Rechts geknüpft ist. „Angeborne“ und 
„unveräußerliche“ Rechte dürfen daher keineswegs 
als identische Ausdrücke angesehen werden. 
Recht und Rechtsgesetz. 
  
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4. Schon der innere Zusammenhang der Rechts- 
befugnisse mit der gesamten Rechtsordnung legt 
den Schluß nahe, daß alles, was oben vom Ur- 
sprung und sittlichen Charakter des Rechts (Rechts- 
gesetzes) gesagt ist, ebenso im besondern auch für 
die Rechte (Rechtsbefugnisse) gelten muß. Wie 
sehr dieselben auch (abgesehen von gewissen an- 
gebornen natürlichen Rechten) in den tatsächlichen 
Bedingungen ihres Entstehens und in ihrer ganzen 
individuellen Gestaltung von der freien Willens- 
tätigkeit der Menschen, namentlich von vielfach 
wechselnden Verträgen abhängig sind, so läßt sich 
doch kein wirkliches Recht denken, das nicht ent- 
weder als direkter Ausfluß einer Autorität oder 
wenigstens bezüglich seiner innern Wesensform, 
d. h. seiner rechtsverbindlichen Kraft, schließlich, 
mittelbar oder unmittelbar, auf dem göttlichen 
Ordnungsgesetz beruht und von da seinen wesent- 
lich sittlichen Charakter bezieht. Den klarsten Be- 
weis hierfür bieten selbst die begrifflichen Elemente 
jedes Rechtsverhältnisses. Die Rechtspflicht, die 
dem gegenüberstehenden Recht als ein inneres, 
notwendiges Korrelat entspricht und nicht bloß 
äußerlich erzwingbar, sondern vor allem für das 
Gewissen verbindlich ist, kann offenbar jenen 
höheren, jeder Gewissenspflicht wesentlichen Ur- 
sprung nicht verleugnen. Es muß also auch das 
Recht, als das maßgebende Korrelat der Pflicht, 
bezüglich seiner Wesensform notwendig derselben 
göttlichen Quelle entstammen. Ferner werden 
Recht und Rechtspflicht als solche durch den Rechts- 
titel offenbar. Die Aufgabe des letzteren ist aber 
im Grund keine andere, als dem Gewissen des 
vernünftigen Menschen die Überzeugung zu ver- 
mitteln, daß unter den gegebenen tatsächlichen 
Bedingungen ein bestimmtes Rechtsgesetz und in 
letzter Instanz das göttliche Vernunftgesetz in der 
Behauptung und Anerkennung des betreffenden 
Rechtsverhältnisses seine unabweisliche Anwendung 
fordert. Zuletzt ist es immer diese höhere, über 
dem Menschen stehende Ordnung, die durch den 
Rechtstitel angerufen wird; sie ist gewissermaßen 
der allgemeinste Rechtstitel aller möglichen Rechte, 
und in ihr allein wurzelt deren „Unverletzlichkeit“ 
als ein an sich durchaus inneres, sittliches Moment. 
Die Erzwingbarkeit, welche zu dieser innern Un- 
verletzlichkeit hinzutritt, setzt dieselbe notwendig 
voraus und soll sie, als eine Bürgschaft der äußern 
Verwirklichung der Rechtsansprüche, ergänzen, ohne 
sie jemals ersetzen zu können. 
So muß also, wie das Rechtsgesetz, so auch 
jedes einzelne Recht in sich sittlich zulässig sein, 
oder es ist überhaupt kein Recht. Wir sagen „in 
sich“; denn von jedem Recht, objektiv in sich be- 
trachtet, ist dessen Gebrauch von seiten des Men- 
schen wohl zu unterscheiden. Damit verschwinden 
alle die oberflächlichen Scheingründe, die aus der 
Wirklichkeit des Lebens und der Geschichte gegen 
die Heiligkeit jedes wahren Rechts vorgebracht zu 
werden pflegen. Wie die persönliche Willensfrei- 
heit, so ist auch das Recht dem vernünftigen
	        
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