Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

449 
getroffen sein muß, daß alle Beteiligten bei der 
Feststellung (namentlich durch Rechtsmittel) mit- 
wirken können. Doch legen die Gesetze manchen 
Entscheidungen absolute Rechtskraft bei, ohne allen 
Interessenten Rechtsmittel zu gewähren, indem 
man unterstellt, daß die zunächst Beteiligten alle 
Rechtsbehelfe schon im eigensten Interesse an- 
wenden werden und somit zugleich als Vertreter 
derjenigen gelten, welche durch die Entscheidung 
nur in geringerem Grade berührt werden. So 
z. B. wirkt das Urteil hinsichtlich des Status des 
Familienstands usw., hinsichtlich der Echtheit eines 
Testaments nicht nur zwischen den Parteien, also 
zwischen Vater und Kind, zwischen Testaments- 
erben und Noterben, sondern auch gegenüber 
Dritten (entfernteren Verwandten bzw. Vermächt- 
nisnehmern). Für die Rechtsmittelgestaltung sind 
auch Erwägungen praktischer Art von Bedeutung: 
die Kosten für den Staat und die Beteiligten, die 
Geringfügigkeit des Streitgegenstands, die vor- 
aussichtliche Ergebnislosigkeit einer weiteren Ver- 
handlung, die Einheitlichkeit des sachlichen Inhalts 
der Entscheidungen. 
Voraussetzung eines jeden Rechtsmittels ist ein 
durch die Verfügung einer Behörde verursachter 
Nachteil formeller oder materieller Art. Tritt der 
Nachteil auf Grund einer dem Recht entsprechen- 
den, der Billigkeit aber widerstreitenden Verfügung 
ein, die infolge einer Versäumnis des Verletzten, 
die diesem nicht zur Schuld angerechnet werden 
kann, erlassen worden ist, so wird die Wieder- 
holung der versäumten oder unrichtig vorgenom- 
menen Handlung durch die Wiedereinsetzung in 
den vorigen Stand gestattet. Beruht der Nach- 
teil auf der unrichtigen Beurteilung der einer 
Behörde vorgetragenen Tatsachen, also auf der 
unrichtigen Unterstellung der Tatsachen unter die 
zutreffende Rechtsregel oder auf einer unrichtigen 
Auslegung der Rechtsregel durch die Behörde, 
oder entspricht die Verfügung nicht den für sie 
nach Form und Inhalt geltenden allgemeinen 
Erfordernissen, oder ermangelt sie in betreff der 
Behörde, von der, oder des Beteiligten, für den sie 
erlassen ist, oder in betreff der im Verfahren zu 
beobachtenden Grundsätze und Formen der Vor- 
aussetzungen ihrer Gültigkeit, so dienen, solange 
die Verfügung noch nicht rechtskräftig geworden 
ist, als Mittel zur Herbeiführung einer Nach- 
prüfung der Verfügung im Streit-, Beschluß- 
und Strafverfahren die Berufung oder die Re- 
vision oder die Beschwerde oder mehrere dieser 
Rechtsmittel. Ungerechte und unrichtige Ver- 
fügungen sind niemals nichtig, denn wenn sie auch 
falsch sind, so ist doch verfügt. Verfügungen, 
bei deren Erlaß von unrichtigen Grundlagen aus- 
gegangen oder von den Verfahrensvorschriften 
abgewichen ist, haben an sich nur ein Schein- 
dasein; sie sind aber infolge desselben der Rechts- 
kraft fähig. Sind sie rechtskräftig geworden, so 
ist der durch sie Verletzte genötigt, den ihrer Gültig- 
keit entgegenstehenden Mangel aufzudecken. Das 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Rechtsmittel. 
  
450 
Rechtsmittel dazu ist im Streit= und Straf- 
verfahren die Nichtigkeitsklage, im Beschlußver- 
fahren die Beschwerde. Die Beschwerde ist auch 
ein Hilfsmittel, um Verschleppungen des Ver- 
fahrens oder ungebührliche Behandlung seitens 
der Behörde durch die dienstvorgesetzte Behörde 
beheben zu lassen. Die Beschwerde in diesem 
Sinn sowie die auf Beseitigung von nicht durch 
die Dazwischenkunft einer Behörde, sondern durch 
eigne Handlungen oder Unterlassungen des Ver- 
letzten verursachten Nachteile gerichtete Wieder- 
einsetzung in den vorigen Stand sind Rechtsmittel 
nur in uneigentlichem Sinn, da ihnen nach Rich- 
tung und Ziel die den Rechtsmitteln eigentüm- 
liche Benachteiligung durch eine Behörde fehlt. 
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die 
Nichtigkeitskllage und die Beschwerde gegen nicht 
mit der Berufung angreifbare Zwischenverfügungen 
im Streit= und Strafverfahren werden als außer- 
ordentliche Rechtsmittelaus den ordentlichen Rechts- 
mitteln ausgeschieden. Die Syndikatsklage, die 
in ihren Voraussetzungen große Ahnlichkeit mit 
der Nichtigkeitsklage hat, ist kein Rechtsmittel; 
sie ist eine zivilrechtliche Klage auf Ersatz des 
durch Arglist eines im Amt handelnden Be- 
amten zugefügten Schadens, welche der Verletzte 
gegen den arglistig handelnden Beamten oder den 
Staat hat. Allen Rechtsmitteln gemeinsam ist, 
daß nur derjenige sie einlegen darf, der behaupten 
kann, durch die angefochtene Verfügung benach- 
teiligt zu sein. Die Einlegung der Berufung 
hat im Regelfall die Wirkung, daß sie die Voll- 
streckung der Verfügung hemmt (Suspensiveffekt), 
die Einlegung aller Rechtsmittel ferner, daß die 
angerufene höhere Behörde berechtigt wird, im 
Rahmen des Rechtsmittelantrags über die Sache 
zu entscheiden (Devolutiveffekt). 
2. Ausgestaltung im Zivilprozeß. 
In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind Rechts- 
mittel in materiellem Sinn Ansprüche einer 
Partei gegen die Gegenpartei auf Abänderung 
einer sie in ihrer Stellung zur Gegenpartei be- 
nachteiligenden richterlichen Verfügung, in for- 
mellem Sinn die diesen Ansprüchen entsprechen- 
den Anträge beim Gericht. Diese Anträge sind 
e nach dem Ziel des Rechtsmittels verschieden zu 
formulieren; die Verschiedenheit des Antrags 
chließt den Eigentümlichkeiten der Rechtsmittel 
entsprechend verschiedene Verfahrensarten in sich. 
Die Stellung eines Antrags sowie die Entschei- 
dung über ihn setzt die Zulässigkeit des Rechts- 
mittels voraus. Die Voraussetzungen der Zu- 
lässigkeit sind wegen des staatlichen Interesses an 
der Aufrechterhaltung der Rechtssprüche durchweg 
zwingenden Rechts. Sie bestehen darin, daß die 
mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung 
dem eingelegten Rechtsmittel unterliegt, daß mit- 
hin dieses an sich statthaft ist, daß Form und 
Frist gewahrt sind, daß die Partei eine Benach- 
teiligung durch die ergangene Entscheidung be- 
hauptet, sowie daß der Antragsteller zur Einlegung 
15 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.