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des Rechtsmittels legitimiert ist. Voraussetzung
des Erfolgs eines Rechtsmittels ist das Vorliegen
einer Benachteiligung des Antragstellers durch die
angefochtene Entscheidung. Da jedes Rechtsmittel
ein einseitiger Angriff einer Partei ist, so kann der
Mißerfolg der Rechtsmitteleinlegung ungünstigsten
Falls in der Zurückweisung des Rechtsmittels und
damit der Bestätigung der angefochtenen Entschei-
dung bestehen. Deren Abänderung zu ungunsten
des Rechtsmittelklägers (reformatio in peius)
ist für den Regelfall verboten. Zurücknahme des
Rechtsmittels oder Verzicht auf dasselbe hat seinen
Verlust zur Folge.
Das geltende Zivilprozeßrecht zeigt folgendes
Rechtemittelsystem:
Die Berufung ist das Rechtsmittel gegen alle
Urteile der Erstinstanzgerichte behufs ihrer Nach-
prüfung nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite
auf Grund neuer Verhandlungen mit unbe-
schränktem Recht zu neuen Parteibehauptungen;
sie wirkt devolutiv, und sofern nicht das erst-
instanzliche Urteil zulässigerweise für vorläufig
vollstreckbar erklärt ist, suspensiv.
Die Revision ist das Rechtsmittel gegen die-
jenigen Berufungsurteile, welche nicht dem An-
griff durch sie entzogen sind; dieselbe ist keine
Oberberufung, sie dient daher nicht so sehr dem
Bedürfnis der Parteien nach einer dritten In-
stanz als dem staatlichen Interesse an einheitlicher
Gesetzesanwendung; deshalb ist das Revisions=
gericht nur in bestimmten Grenzen zu einer Nach-
prüfung des Berufungsurteils berechtigt. Die
Revision wirkt devolutiv und in gleichem Umfang
wie die Berufung suspensiv.
Die Beschwerde (Rekurs in Osterreich) ist das
Rechtsmittel gegen Beschlüsse, die außerhalb der
mündlichen Verhandlung ergehen, sowie gegen
einzelne Zwischenurteile und gegen die Entschei-
dung über die Kosten des Verfahrens; sie ist aus-
geschlossen gegen die Entscheidungen der Ober-
landesgerichte; ihr kommt in bestimmten Fällen
Suspensiv= und Devolutiveffekt von Rechts wegen
zu, in andern ist er richterlichem Ermessen anheim-
gegeben.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen Versäumung eines Termins oder einer Frist
sowie die eine Wiederaufnahme des durch rechts-
kräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens her-
beiführende Nichtigkeits= und Restitutions= (in
Osterreich Wiederaufnahms-) Klage sind aus dem
Rechtsmittelsystem ausgeschlossen; letztere wirken
weder devolutiv noch suspensiv und sind fünf Jahre
lang von der Rechtskraft des Urteils an zulässig.
Die Rechtsmittel sind gesetzlich geregelt für das
Deutsche Reich durch die Zivilprozeßordnung vom
30. Jan. 1877 und die Novellen dazu, für Oster-
reich durch das Gesetz über das gerichtliche Ver-
fahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom
. Aug. 1895.
Der Berufung ist im Deutschen Reich als neue
Verhandlung des Rechtsstreits gedacht. Daher
Rechtsmittel.
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können die Parteien neue Tatsachen und Beweis-
mittel vorbringen. Eine Klagänderung und die
Einführung neuer Streitgegenstände durch Wieder-
klage ist jedoch nur bei Einwilligung des Gegners
sowie die Nachholung des Einwands der Auf-
rechnung nur im Fall unverschuldeter Unterlassung
in erster Instanz zulässig. In Osterreich wird vor
dem Berufungsgericht der Rechtsstreit nicht von
neuem verhandelt, sondern nur die Verhandlung
und Entscheidung der ersten Instanz im Umfang
der Berufung einer Nachprüfung unterzogen. Das
Berufungsgericht hat deshalb seiner Entscheidung
die in den erstrichterlichen Prozeßakten und im
erstinstanzlichen Urteil festgestellten Ergebnisse der
Verhandlung und Beweisführung zugrunde zu
legen, soweit dieselben nicht durch die Berufungs-
verhandlung selbst eine Berichtigung erfahren.
Die Berufung ist gegen die Endurteile erster In-
stanz zugelassen, also gegen Voll= und Teilurteile,
gegen Zwischenurteile über prozeßhindernde Ein-
reden und über den Grund des Anspruchs, gegen
Urteile auf Grund von Verzicht und Anerkennt-
nis, unter beschränkten Voraussetzungen auch gegen
Urteile in Versäumnisfällen. Jeder Teil kann die
Berufung selbständig einlegen, in Deutschland darf
der Berufungsbeklagte sich auch der Berufung
seines Gegners anschließen, während die öster-
reichische Zivilprozeßordnung die Anschlußberufung
nicht gestattet. Die Einlegung hat binnen einer
Notfrist von einem Monat in Deutschland, von
14 Tagen in Osterreich seit der Zustellung des
Urteils an die Parteien zu erfolgen; sie geschieht
durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem
Berufungsgericht. Damit wird die Entscheidung
der Streitsache im Umfang des Berufungsantrags
auf das Berufungsgericht übertragen und der Ein-
tritt der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des
angefochtenen Urteils in gleichem Umfang bis zur
Erledigung des Rechtsmittels gehemmt. Der An-
trag auf Aufhebung oder auf Abänderung des Ur-
teils (Berufungsantrag) ist mit Tatsachen und
Beweisen zu begründen, welche die Unrichtigkeit
des Urteils oder der demselben vorausgegangenen
Beschlüsse dartun. Während im Deutschen Reich
der Berufungsantrag auch ganz allgemein durch
neue, d. h. solche Tatsachen und Beweise begründet
werden kann, welche in erster Instanz nach In-
halt des Urteilstatbestands nicht vorgetragen wor-
den sind, dürfen in Osterreich Nova nur zur Dar-
legung und Widerlegung der geltend gemachten
Berufungsgründe vorgebracht, nicht aber die im
erstinstanzlichen Verfahren versäumten Behaup-
tungen und Beweise nachgeholt werden. Hat sich
die Sachlage durch neues Vorbringen geändert, so
haben die Berufungsgerichte regelmäßig unter
Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in der
Sache selbst zu entscheiden. Die Rückverweisung
des Rechtsstreits an das Erstinstanzgericht ist nur
ausnahmsweise vorgeschrieben oder gestattet. Für
das Verfahren in der Berufungsinstanz gelten im
Deutschen Reich die für das Verfahren vor den