Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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des Rechtsmittels legitimiert ist. Voraussetzung 
des Erfolgs eines Rechtsmittels ist das Vorliegen 
einer Benachteiligung des Antragstellers durch die 
angefochtene Entscheidung. Da jedes Rechtsmittel 
ein einseitiger Angriff einer Partei ist, so kann der 
Mißerfolg der Rechtsmitteleinlegung ungünstigsten 
Falls in der Zurückweisung des Rechtsmittels und 
damit der Bestätigung der angefochtenen Entschei- 
dung bestehen. Deren Abänderung zu ungunsten 
des Rechtsmittelklägers (reformatio in peius) 
ist für den Regelfall verboten. Zurücknahme des 
Rechtsmittels oder Verzicht auf dasselbe hat seinen 
Verlust zur Folge. 
Das geltende Zivilprozeßrecht zeigt folgendes 
Rechtemittelsystem: 
Die Berufung ist das Rechtsmittel gegen alle 
Urteile der Erstinstanzgerichte behufs ihrer Nach- 
prüfung nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite 
auf Grund neuer Verhandlungen mit unbe- 
schränktem Recht zu neuen Parteibehauptungen; 
sie wirkt devolutiv, und sofern nicht das erst- 
instanzliche Urteil zulässigerweise für vorläufig 
vollstreckbar erklärt ist, suspensiv. 
Die Revision ist das Rechtsmittel gegen die- 
jenigen Berufungsurteile, welche nicht dem An- 
griff durch sie entzogen sind; dieselbe ist keine 
Oberberufung, sie dient daher nicht so sehr dem 
Bedürfnis der Parteien nach einer dritten In- 
stanz als dem staatlichen Interesse an einheitlicher 
Gesetzesanwendung; deshalb ist das Revisions= 
gericht nur in bestimmten Grenzen zu einer Nach- 
prüfung des Berufungsurteils berechtigt. Die 
Revision wirkt devolutiv und in gleichem Umfang 
wie die Berufung suspensiv. 
Die Beschwerde (Rekurs in Osterreich) ist das 
Rechtsmittel gegen Beschlüsse, die außerhalb der 
mündlichen Verhandlung ergehen, sowie gegen 
einzelne Zwischenurteile und gegen die Entschei- 
dung über die Kosten des Verfahrens; sie ist aus- 
geschlossen gegen die Entscheidungen der Ober- 
landesgerichte; ihr kommt in bestimmten Fällen 
Suspensiv= und Devolutiveffekt von Rechts wegen 
zu, in andern ist er richterlichem Ermessen anheim- 
gegeben. 
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 
gegen Versäumung eines Termins oder einer Frist 
sowie die eine Wiederaufnahme des durch rechts- 
kräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens her- 
beiführende Nichtigkeits= und Restitutions= (in 
Osterreich Wiederaufnahms-) Klage sind aus dem 
Rechtsmittelsystem ausgeschlossen; letztere wirken 
weder devolutiv noch suspensiv und sind fünf Jahre 
lang von der Rechtskraft des Urteils an zulässig. 
Die Rechtsmittel sind gesetzlich geregelt für das 
Deutsche Reich durch die Zivilprozeßordnung vom 
30. Jan. 1877 und die Novellen dazu, für Oster- 
reich durch das Gesetz über das gerichtliche Ver- 
fahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 
. Aug. 1895. 
Der Berufung ist im Deutschen Reich als neue 
Verhandlung des Rechtsstreits gedacht. Daher 
Rechtsmittel. 
  
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können die Parteien neue Tatsachen und Beweis- 
mittel vorbringen. Eine Klagänderung und die 
Einführung neuer Streitgegenstände durch Wieder- 
klage ist jedoch nur bei Einwilligung des Gegners 
sowie die Nachholung des Einwands der Auf- 
rechnung nur im Fall unverschuldeter Unterlassung 
in erster Instanz zulässig. In Osterreich wird vor 
dem Berufungsgericht der Rechtsstreit nicht von 
neuem verhandelt, sondern nur die Verhandlung 
und Entscheidung der ersten Instanz im Umfang 
der Berufung einer Nachprüfung unterzogen. Das 
Berufungsgericht hat deshalb seiner Entscheidung 
die in den erstrichterlichen Prozeßakten und im 
erstinstanzlichen Urteil festgestellten Ergebnisse der 
Verhandlung und Beweisführung zugrunde zu 
legen, soweit dieselben nicht durch die Berufungs- 
verhandlung selbst eine Berichtigung erfahren. 
Die Berufung ist gegen die Endurteile erster In- 
stanz zugelassen, also gegen Voll= und Teilurteile, 
gegen Zwischenurteile über prozeßhindernde Ein- 
reden und über den Grund des Anspruchs, gegen 
Urteile auf Grund von Verzicht und Anerkennt- 
nis, unter beschränkten Voraussetzungen auch gegen 
Urteile in Versäumnisfällen. Jeder Teil kann die 
Berufung selbständig einlegen, in Deutschland darf 
der Berufungsbeklagte sich auch der Berufung 
seines Gegners anschließen, während die öster- 
reichische Zivilprozeßordnung die Anschlußberufung 
nicht gestattet. Die Einlegung hat binnen einer 
Notfrist von einem Monat in Deutschland, von 
14 Tagen in Osterreich seit der Zustellung des 
Urteils an die Parteien zu erfolgen; sie geschieht 
durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem 
Berufungsgericht. Damit wird die Entscheidung 
der Streitsache im Umfang des Berufungsantrags 
auf das Berufungsgericht übertragen und der Ein- 
tritt der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des 
angefochtenen Urteils in gleichem Umfang bis zur 
Erledigung des Rechtsmittels gehemmt. Der An- 
trag auf Aufhebung oder auf Abänderung des Ur- 
teils (Berufungsantrag) ist mit Tatsachen und 
Beweisen zu begründen, welche die Unrichtigkeit 
des Urteils oder der demselben vorausgegangenen 
Beschlüsse dartun. Während im Deutschen Reich 
der Berufungsantrag auch ganz allgemein durch 
neue, d. h. solche Tatsachen und Beweise begründet 
werden kann, welche in erster Instanz nach In- 
halt des Urteilstatbestands nicht vorgetragen wor- 
den sind, dürfen in Osterreich Nova nur zur Dar- 
legung und Widerlegung der geltend gemachten 
Berufungsgründe vorgebracht, nicht aber die im 
erstinstanzlichen Verfahren versäumten Behaup- 
tungen und Beweise nachgeholt werden. Hat sich 
die Sachlage durch neues Vorbringen geändert, so 
haben die Berufungsgerichte regelmäßig unter 
Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in der 
Sache selbst zu entscheiden. Die Rückverweisung 
des Rechtsstreits an das Erstinstanzgericht ist nur 
ausnahmsweise vorgeschrieben oder gestattet. Für 
das Verfahren in der Berufungsinstanz gelten im 
Deutschen Reich die für das Verfahren vor den
	        
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