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Landgerichten in erster Instanz getroffenen Vor-
schriften, während in Osterreich sich das Verfahren
entweder auf eine Vorprüfung vor dem Berufungs-
gericht ohne mündliche Berufungsverhandlung
(unvollständiges Berufungsverfahren) beschränkt
oder sich an das Vorverfahren eine mündliche Be-
rufungsverhandlung auf Grund des Sachvortrags
eines Mitglieds des Senats als Berichterstatters
und der sich nun folgenden Vorträge der Parteien
mit oder ohne Beweisaufnahme anschließt (voll-
ständiges Berufungsverfahren). Auch in letzterem
kann die Berufungsentscheidung in nicht öffent-
licher Sitzung und ohne mündliche Berufungs-
verhandlung ergehen, wenn beide Parteien auf
diese verzichten. Ein Kontumazialverfahren be-
steht in dem österreichischen Berufungsverfahren
nicht. Die Berufungsurteile sind vollstreckbar.
Die Revision beruht als ausschließliche Nach-
prüfung der Rechtsfrage auf der von dem Be-
rufungsgerichtfestgestellten Urteilsgrundlage; neues
tatsächliches Vorbringen ist nur statthaft, um ent-
weder eine Gesetzesverletzung in Bezug auf das
Verfahren darzutun, oder um die Tatsachen zu be-
zeichnen, welche im Berufungsurteil unter Ver-
letzung des Gesetzes festgestellt, übergangen oder
als vorgebracht angenommen sind. Die Nach-
prüfung ist aber nicht auf die Prüfung der Rich-
tigkeit der Rügen des Revisionsklägers beschränkt,
deren bestimmte Angabe nicht wesenklich ist, son-
dern sie hat sich auf die gesamte Rechtsanwendung
zu erstrecken, soweit diese auf das Berufungsurteil
oder den angefochtenen Teil von Einfluß war.
Auf die Ausgestaltung der Revision ist der fran-
zösische pourvoi en cassation von Einfluß ge-
wesen, durch den von Justizaufsichts wegen gesetz-
widrige Urteile durch den cour de cassation ver-
nichtet werden. Dieser ist nicht Organ der Rechts-
pflege, er wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft,
des ministere public tätig, selbst wenn die Par-
teien sich beruhigen, dann aber nur im Interesse
des Gesetzes ohne praktische Wirkung für die Par-
teien. Zur Aufrechterhaltung einer einheitlichen
Rechtsprechung ist der pourvoi en cassation
durch die Vorprüfung der chambre des requétes
so eingeschränkt, daß ein Senat, die chambre
eiyil, alle Entscheidungen fällen kann. Im Deut-
schen Reich unterliegen die Urteile der Oberlandes-
gerichte in der Berufungsinstanz in nicht ver-
mögensrechtlichen und in einigen fiskalischen Sachen
sowie bei Syndikatsklagen unbeschränkt, in ver-
mögensrechtlichen Sachen nur bei Beschwerde-
gegenständen von mehr als 4000 M der An-
fechtung durch die Revision, gleichgültig ob
durch sie die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt
oder abgeändert worden ist. In Osterreich ist die
Revision nur gegen die Entscheidung des Be-
rufungsgerichts in Bagatellsachen (bis zu 100 K)
ausgeschlossen. Die Entscheidung über die im
Deutschen Reich binnen eines Monats, in Oster-
reich binnen 14 Tagen seit der Zustellung des
Berufungsurteils einzulegende Revision ergeht hier
Rechtsmittel.
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in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende
mündliche Verhondlung, dort auf Grund münd-
licher öffentlicher Verhandlung. Erfolg hat die
Revision nur, wenn die vorgefallene Gesetzesver-
letzung für das Berufungsurteil oder eine ihm
vorausgegangene Entscheidung ursächlich war und
wenn die Gesetzesverletzung die Partei auch be-
schwert, so daß der Gesetzesverletzung ungeachtet
die Revision zurückzuweisen ist, wenn die richtige
Rechtsanwendung zu demselben Urteil führt. Das
Revisionsgericht hat in der Regel in der Sache
selbst zu entscheiden. Doch kann die Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht
oder in Osterreich auch an das Erstinstanzgericht
geboten sein; in diesem Fall stellt das Revisions-
urteil bindend den Rechtssatz auf, welchen das
Untergericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen
hat. Doch wirkt der in dem Revisionsurteil auf-
gestellte Rechtssatz bindend nur für die einzelne
Sache, nicht allgemein. Allgemein geltend wird
er nur auf Grund seiner richtigen Begründung.
Die Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbar-
keit der Verhandlung auch in der Revisionsinstanz,
welche den Vortrag des Streitfalls durch die Par-
teivertreter voraussetzt, hat im Deutschen Reich zu
einer dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung widerstrebenden Ausdehnung des
Reichsgerichts geführt, das zurzeit aus sieben Zivil-
senaten zusammengesetzt ist, so daß die Möglichkeit
vorliegt, daß dieselbe Rechtsfrage gleichzeitig von
drei Senaten zu entscheiden ist und verschieden ent-
schieden wird. Die sieben Senate sind außerdem
wegen der großen Zahl der Revisionen überbürdet.
Die nicht seltene Abänderung der die Berufung
zurückweisenden Berufungsurteile durch das Reichs-
gericht läßt es untunlich erscheinen, die Revision
auszuschließen, wenn zwei gleichlautende Vorent-
scheidungen vorliegen. Die Beschränkung der Nach-
prüfung des Berufungsurteils auf die von der
Partei gerügten Rechtsverletzungen widerspricht
der Stellung des Revisionsgerichts, das die Rechts-
fragen selbständig und frei muß prüfen und dem
Recht zum Durchbruch verhelfen können, auch wenn
die Partei die Rechtsverletzung des Instanzrichters
nicht erkannt hat. Die Abhängigmachung der Zu-
lässigkeit der Revision von einem Wertbetrag des
Beschwerdegegenstands enthält zwar eine Benach-
teiligung der Parteien, welche um einen Gegen-
stand von geringerem Wert streiten, aber diese Be-
nachteiligung steht in keinem Verhältnis zur Not-
wendigkeit der Wahrung der Rechtseinheit durch
die Rechtsprechung und sie ist um deswillen von
geringer praktischer Tragweite, weil alle Rechts-
fragen bei den höheren Wertobjekten gleichfalls zur
Entscheidung gelangen, so daß die Instanzgerichte
für die nichtrevisibeln Objekte eine ausreichende
Direktive erhalten. Bei der Höhe der Kosten des
Revisionsverfahrens kann den wohlhabenden Par-
teien überlassen werden, die Kosten der Wahrung
der Einheitlichkeit der Rechtsauslegung für die
Allgemeinheit zu tragen.
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