Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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beruht oder daß die tatsächlichen Voraussetzungen 
fehlen, welche die Behörde zum Erlaß der Ver- 
fügung berechtigt haben würden. Im Reichsrecht 
sind die Rechtsmittel für die einzelnen Materien 
selbständig geregelt. Als leitender Grundsatz wird 
sich aufstellen lassen, daß über Verwaltungsmaß- 
regeln gegenüber beteiligten Personen und An- 
stalten sowie über Streitigkeiten zwischen den 
öffentlichen Anstalten die Verwaltungsbehörden 
im Weg der Beschwerde oder im Weg des Ver- 
waltungsstreitverfahrens, dagegen über Ansprüche 
von einzelnen gegen Anstalten, welche auf öffent- 
lichem Recht beruhen, auf deren Berufung Sonder- 
gerichte zu entscheiden haben. So gewährt die 
Gewerbeordnung gegen Bescheide der Verwaltungs- 
behörden mit gewerberechtlichem Inhalt den Rekurs 
an landesrechtliche Verwaltungsbehörden, dessen 
Gestaltung in der Gewerbeordnung aufgestellten 
Mindesterfordernissen zu genügen hat. Das Rekurs- 
verfahren untersteht dem Landesrecht, nur für seine 
Einlegung und Rechtfertigung ist reichsrechtlich 
eine Frist von zwei Wochen seit der Eröffnung des 
Bescheids vorgeschrieben. Über den Rekurs wird 
in Preußen im Verwaltungsstreitverfahren ent- 
schieden, doch ist die Berufung ausgeschaltet und 
nur die Revision als Rechtsmittel zugelassen. An 
die Gewerbeordnung haben sich die auf das Ver- 
sicherungswesen bezüglichen Reichsgesetze ange- 
schlossen. Die Rekursinstanz gegen die auf Be- 
rufung des Verletzten erlassenen Entscheidungen 
der Schiedsgerichte bildet das Reichsversicherungs- 
amt, soweit nicht ein Landesversicherungsamt ein- 
gerichtet und zulässig ist. Geschäftsgang und Ver- 
fahren vor den Schiedsgerichten und den Ver- 
sicherungsämtern sind durch Verordnungen ge- 
regelt. Den Privatversicherungsanstalten steht 
gegen gesetzlich begrenzte Entscheidungen des Auf- 
sichtsamts für Privatversicherungen innerhalb eines 
Monats der Rekurs an das Aufsichtsamt in ver- 
änderter und stärkerer Besetzung und gegen seine 
Strafandrohungen binnen zwei Wochen die Be- 
schwerde an dasselbe zu. Für das Patentwesen 
ist gegen die Beschlüsse der Patentamtsabteilungen 
für die Patentanmeldungen, für Gebrauchsmuster 
oder Warenzeichen sowie der Abteilung für die 
Anträge auf Erklärung der Nichtigkeit oder auf 
Zurücknahme von Patenten die Beschwerde an die 
zuständige Beschwerdeabteilung des Patentamts 
gegeben, welche binnen Monatsfrist seit der Zu- 
stellung des Beschlusses einzulegen ist; gegen die 
Entscheidungen über die Nichtigkeit oder die Zurück- 
nahme eines Patents findet die Berufung an das 
Reichsgericht statt, welche binnen sechs Wochen nach 
der Zustellung der Entscheidung bei dem Patent- 
amt mit Begründung angemeldet werden muß. 
Im Post= und Telegraphenwesen ist gegen Straf- 
bescheidewegen Gebührendefraudationen der Rekurs 
an die der Oberpostdirektion vorgesetzte Behörde 
und die Berufung auf richterliche Entscheidung 
wahlweise gewährt. Die Beispiele zeigen, wie 
mannigfaltig die Rechtsmittel sind. Da jedoch ver- 
Rechtspflege — Regentschaft. 
  
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schiedentlich die Entscheidungen auf die Beschwer- 
den endgültig sind, so macht sich namentlich im 
Gewerbewesen das Bestreben geltend, eine weitere 
Beschwerde als regelmäßiges Rechtsmittel zuzu- 
lassen. Anlaß hat dazu die der Handwerksorgani- 
sation zugrunde liegende Unterscheidung zwischen 
„Fabrik“ und „Handwerk“ gegeben, deren Be- 
griffe in den Entscheidungen des Reichsgerichts 
noch nicht ausreichend geklärt sind. Die Bewegung 
hat noch zu keinem Ergebnis geführt. 
Das Reichsbeamtengesetz gibt den Reichsbeamten 
gegen die Verhängung von Ordnungsstrafen die 
Beschwerde und die weitere Beschwerde an seine 
vorgesetzte Behörde, gegen das Urteil der Disezi- 
plinarkammer oder der Militärdisziplinarkommis- 
sion auf Entfernung aus dem Amt die Berufung 
an den Disziplinarhof am Sitz des Reichsgerichts, 
und gegen den Beschluß auf Erstattung eines De- 
fekts sowohl die Beschwerde im Instanzenzug wie 
die Berufung auf den Rechtsweg. 
5. Nach dem Kirchenrecht ist gegen Ent- 
scheidungen in Straf= und Disziplinarsachen die 
Appellation und Oberappellation gegeben, in 
Disziplinarsachen hat aber die Appellation keinen 
Suspensiveffekt und bei geheimen Vergehen kann 
der Bischof die Suspension vom Ordo und dadurch 
von der Ausübung des Amts oder Benefiziums 
ohne gerichtliche Verhandlung ex informata con- 
scientia, also auf Grund seiner außergerichtlich 
gewonnenen ÜUberzeugung, verhängen, was die 
Appellation als Rechtsmittel ausschließt. Bei Ent- 
lassung eines Kirchenvorstehers oder eines kirch- 
lichen Gemeindevertreters durch die bischöfliche 
Behörde steht in Preußen dem Beschuldigten die 
Beschwerde an den Minister der geistlichen An- 
gelegenheiten zu. 
Literatur. v. Kries, Die R. im Zivil= u. 
Strafprozeß (1880); die Kommentare zur deutschen 
Zivilprozeßordnung von Gaupp-Stein, Petersen 
(Remele)-Anger, Seuffert, Struckmann-Koch, 
Reincke; die Lehrbücher von Planck, Schmidt, Hell- 
mann; Birkmeyer, Enzyklopädie der Rechtswissen- 
schaft; Holtzendorff, Enzyklopädie; v. Lilienthal, 
Strafprozeßrecht; Arndt, Staatsrecht u. Verwal- 
tungsrecht. [Betzinger, rev. Spahn.] 
Rechtspflege s. Staats= und Selbstverwal- 
tung. 
Rechtsphilosophie s. Naturrecht und 
Rechtsphilosophie. 
Rechtswissenschaft s. Recht und Rechts- 
gesetz; vgl. auch Staatswissenschaften. 
Regalien s. Gebühren. 
Regentschaft. IBegriffsbestimmung. Re- 
gierungsstellvertretung im engeren Sinn. Reichs- 
oder Regierungsverwesung oder Regentschaft.] 
I. Begriffsbestimmung. Wenn der Herrscher 
einer Monarchie aus irgend einem Grund an der 
persönlichen Ausübung der Regierungsgeschäfte 
verhindert ist, so muß die mangelnde Regierungs- 
tätigkeit des Herrschers durch die Tätigkeit anderer 
ersetzt werden; denn die Befugnisse, die für den
	        
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