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Monarchen aus seiner Organstellung im Staat
folgen, bedürfen der Ausübung, ihre Betätigung
darf keinen Augenblick suspendiert werden, das
Staatsleben kann keine Unterbrechung erfahren.
Ein solcher Ersatz für den regierungsbehinderten
Herrscher kann entweder infolge eigner Verfügung
des Herrschers oder kraft Gesetzes eintreten. Im
ersten Fall spricht man von Stellvertretung,
im zweiten Fall von Reichsverwesung oder
Regentschaft. Das Gemeinsame dieser beiden
Arten der Ersetzung des Monarchen ist, daß die
Regierungshandlungen stets im Namen des Mon-
archen geschehen, das Unterscheidende, daß die
Stellvertretung in persönlichem Auftrag, die Re-
gentschaft in gesetzlicher Berufung ihren Grund hat.
II. Die Stellvertretung im engeren Sinn.
Der Monarch wird gewöhnlich dann einen Stell-
vertreter berufen, wenn er nur vorübergehend
an der Ausübung seiner Befugnisse verhindert ist,
so bei ernster Erkrankung, Bedürfnis nach Ruhe
und Erholung, Reise ins Ausland. Die preu-
ßische Verfassung enthält keine Bestimmungen
über eine solche vorübergehende Stellvertretung
des Königs, der Art. 56 spricht nur von dauernder
Verhinderung, in welchem Fall die Regentschaft
einzutreten hat. v. Rönne (Das Staatsrecht der
preußischen Monarchie (/5P1899 von Zornl)) ver-
tritt nun die Ansicht, daß bei vorübergehender
Verhinderung des Königs eine vorübergehende Er-
weiterung der Befugnisse der Minister, die Über-
tragung der Unterschrift an den Thronfolger u. a.
hinreiche. Sobald aber irgendwelche Stockungen
in den Staatsgeschäften entstehen würden, so müßte
nach v. Rönnes Ansicht Regentschaft eintreten. In-
des hat eine feste Praxis des preußischen Staats-
rechts die Regierungsstellvertretung als staats-
rechtliche Einrichtung anerkannt. — Die bay-
rische Verfassungsurkunde erwähnt die Negie-
rungsstellvertretung nur gelegentlich mit der Be-
merkung, daß außerordentliche Reichsverwesung
nur dann eintritt, „wenn der König für die Ver-
waltung des Reichs nicht selbst Vorsorge getroffen
hat oder treffen kann“... Die württem-
bergische Verfassungsurkunde enthält keine
Bestimmungen über vorübergehende Regierungs-
stellvertretung, indes hat sich auch hier allmählich
eine entsprechende Ubung entwickelt. Die Ver-
fassungsurkunde des Königreichs Sachsen knüpft
das Eintreten der Regentschaft an dieselbe Be-
dingung wie die bayrische Verfassung, wodurch
das Institut der Stellvertretung anerkannt ist;
und so fanden auch des öfteren, z. B. 1837 und
1838, dann 1849 und 1866, umfassende Be-
vollmächtigungen des Ministeriums zur Führung
der Regierungsgeschäfte statt. Ebenso hatte auch
in Baden, wo die Verfassungsurkunde keinerlei
Bestimmungen hierüber enthält, eine derartige
Stellvertretung seinerzeit in umfassendem Umfang
während der letzten Lebensjahre des Großherzogs
Karl Friedrich stattgefunden, ebenso 1849, als
der Großherzog Leopold noch außerhalb des Lan-
Regentschaft.
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des weilte; sie wiederholte sich bei Erkrankung des
Großherzogs Friedrich I. im Jahr 1881. Wäh-
rend 1849 mit der Stellvertretung das Staats-
ministerium betraut wurde, wurde 1881 der Erb-
großherzog zum Stellvertreter ernannt. Bis in
die jüngsten Tage hinein war im Fürstentum
Reuß j. L. der Erbprinz infolge Erkrankung
des Fürsten bevollmächtigter Stellvertreter des
Fürsten, Anfang April 1910 gab nun das Mini-
sterium bekannt, daß nunmehr der Erbprinz in-
folge eingetretener dauernder Verhinderung des
Fürsten an der Führung der Regierungsgeschäfte
ich genötigt gesehen habe, die Regentschaft des
Fürstentums zu übernehmen. — Der Regierungs-
stellvertreter leitet seine Befugnisse von einem
Auftrag des Monarchen ab, der in Form
einer landesherrlichen Verordnung, die auf Grund
von ministerieller Gegenzeichnung der konstitu-
tionellen Kontrolle der Landstände unterliegt, er-
teilt wird. Der Vertreter handelt infolgedessen
nach den Intentionen seines Mandanten, seine
Befugnisse hängen von dem ihm erteilten Auftrag
ab und können je nach den Verhältnissen mehr
oder minder ausgedehnt sein; gewisse Arten von
Geschäften können seinem freien Ermessen über-
lassen sein, für andere Fälle kann er auch an
strikte Instruktionen gebunden sein.
Danach ist auch die Frage der Verant-
wortlichkeit des Stellvertreters des
Monarchen zu beurteilen. Daß der Stellvertreter
verantwortlich sein müsse, wird in der Literatur
einstimmig bejaht; Kontroversen gibt es nur hin-
sichtlich des Umfangs der Verantwortlichkeit und
hinsichtlich des Subjekts, dem er verantwortlich
sein soll. Hinsichtlich des Umfangs geht die herr-
schende Ansicht dahin, daß er nicht nur für die
nach freiem Ermessen vorgenommenen Akte, son-
dern auch für Handlungen, die er im Auftrag des
Monarchen vornimmt, verantwortlich ist. Ist der
Stellvertreter nebenbei Staatsdiener, so unterliegt
er auch für Regierungshandlungen disziplinärer
Verantwortlichkeit. Die Frage dagegen, wem
der Stellvertreter verantwortlich ist, beantworten
die einen Schriftsteller dahin, daß der Stellver-
treter dem Auftraggeber, den Gerichten und dem
Land verantwortlich sei. Demgegenüber vertritt
v. Frisch (Die Verantwortlichkeit der Monarchen
und höchsten Magistrate, 1904) mit Recht den
Standpunkt, daß der Stellvertreter nur dem Man-
danten und den Gerichten Rechenschaft schuldig
sei; denn die Ausdehnung seiner Verantwortlich-
keit auch dem Land gegenüber sei eine unzulässige
Übertragung der Ministerverantwortlichkeit auf
den Stellvertreter des Monarchen.
III. Die Regentschaft. Wenn die Regie-
rungsunfähigkeit des Landesherrn eine länger
dauernde ist, sei es aus rechtlichen Gründen,
Minderjährigkeit, oder aus persönlichen Gründen,
physischer oder geistiger Unfähigkeit, so kommt es
ohne Willen des Monarchen kraft Gesetzes
zur Vertretung, und diese Vertretung ist die Re-