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sonst regierungsfähigen Agnaten zu. Er über-
nimmt ohne weiteres die Regentschaft, er muß
aber sofort die Kammern berufen zu einer gemein-
samen Sitzung, die alsdann über die Notwendig-
keit der Regentschaft zu entscheiden haben. Wenn
ein regierungsfähiger Agnat nicht vorhanden ist,
so hat das Staatsministerium die Kammern zu
berufen. Nach der bayrischen Verfassung findet
die „außerordentliche Reichsverwesung mit Zustim-
mung der Stände, welchen die Verhinderungs-
ursachen anzuzeigen sind“, statt. Diese Zustim-
mung wird vom berufenen Regenten unter verant-
wortlicher Mitwirkung des Staatsministeriums
eingeholt.
Gegenstand der Anerkennung des Landtags ist
nicht die Person des Regenten, sondern die Tat-
sache der Notwendigkeit der Regentschaft. Wenn in
Württemberg beim König bzw. beim Thron-
folger zur Zeit des Thronanfalls Regierungs-
behinderung vorhanden ist, so muß binnen Jahres-
frist der „Geheime Rat“ eine Versammlung sämt-
licher im Königreich anwesenden volljährigen,
nicht mehr unter väterlicher Gewalt stehenden
Prinzen des königlichen Hauses mit Ausschluß
des zunächst zur Regentschaft berufenen Agnaten
veranlassen. (Der „Geheime Rat“ ist ein beraten-
des Zentralorgan der Staatsregierung, bestehend
aus den Ministern und den vom König ernannten
Räten; er ist zugleich Vormundschaftsrat für die
Erziehung des minderjährigen Königs und Fa-
milienrat des königlichen Hauses.) Die vom Ge-
heimen Rat einberufene Versammlung der Agnaten
soll dann auf vorgängiges Gutachten des Ge-
heimen Rats durch einen nach absoluter Mehrheit
zu fassenden Beschluß mit Zustimmung der Stände
über den Eintritt der gesetzmäßigen Regentschaft
entscheiden.
Im Königreich Sachsen hat das Gesamt-
ministerium das Verfahren zwecks Einleitung der
Regentschaft zu betreiben, und zwar „längstens
binnen sechs Monaten“; es beginnt durch die
Berufung eines Familienrats, der aus sämtlichen
landesanwesenden volljährigen Prinzen des könig-
lichen Hauses mit Ausschluß des zur Regentschaft
berufenen Agnaten besteht. Dem Familienrat
wird ein Gutachten des Ministeriums vorgelegt,
welches den Fall erörtert; spricht sich der Familien-
rat für Einsetzung der Regentschaft oder, wie es in
Sachsen heißt, Regierungsverwesung aus, so muß
der Beschluß den Ständen zur Genehmigung vor-
gelegt werden. Ahnlich ist die Einleitung der Re-
gentschaft in Sachsen -Coburg-Gotha
geregelt. Für Baden fehlen alle einschlägigen
gesetzlichen Vorschriften.
In den Großherzogtümern Mecklenburg
tritt im Fall der Minderjährigkeit des zur Regie-
rung berufenen Thronfolgers eine gesetzliche Vor-
mundschaft und die Regentschaft des nächsten
Agnaten ein. In einer Reihe kleinerer Staaten
fehlt es ebenfalls an gesetzlichen Bestimmungen
über die Regentschaft, so in Sachsen-Weimar,
Regentschaft.
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Sachsen-Meiningen, den beiden Schwarzburg u. a.
Über die Regentschaft im Herzogtum Braun-
schweig s. d. Art. Braunschweig Bd I, Sp. 1024.
5. Beendigung der Regentschaft. Ein
Zwang oder eine Verpflichtung zur Übernahme
der Regentschaft besteht nicht; bedingt ist ihre
Fortführung durch Leistung des Regenteneids, der
die Rechte und Pflichten des Regenten normiert.
Die Regentschaft oder Regierungsverwesung
endigtau seiten des vertretenen Monarchen mit
dessen Tod oder Abdankung, mit der Erlangung
der Volljährigkeit und mit dem Aufhören der Un-
möglichkeit, zu regieren; auf seiten des Regenten
mit dem Verzicht, mit der Unmöglichkeit der Fort-
führung der Regentschaft (Eintritt der Regierungs-
unfähigkeit), mit dem Eintritt eines näher zur
Regentschaft berechtigten Agnaten, endlich mit der
Verheiratung der Königin-Witwe oder Mutter
des Landesherrn, wenn diese die Regentschaft führt.
Das Verfahren bei Beendigung der Regentschaft
ist das gleiche wie bei der Einführung derselben.
Da die Regierungshandlungen des Regierungs-
oder Reichsverwesers rechtlich Regierungshand-
lungen des Monarchen selbst sind, so müssen sie
auch als solche von dem zur Regierung gelangten
Fürsten anerkannt werden.
6. Die staatsrechtliche Stellung des
Regenten. Die Frage nach der staatsrechtlichen
Stellung des Regenten ist eine in der staatsrecht-
lichen Literatur viel umstrittene. Die einen, so
Anschütz u. a., sehen die Regentschaft an als eine
unmittelbare Organschaft dergestalt, daß der Re-
gent die dem Monarchen zustehende Regierungs-
gewalt nicht in Unterordnung unter den Mon-
archen, auch nicht in Ableitung aus dem Mon-
archenrecht, sondern unmittelbar auf Grund der
Verfassung handhabe; sie sprechen der Vorschrift
der meisten Verfassungen, daß der Regent die dem
Monarchen zustehende Gewalt „im Namen"“ des
Monarchen ausübe, nur formale Bedeutung zu,
die den Regenten nur verpflichte, den Regierungs-
akten bzw. seiner Unterschrift die Formel „im
Namen usw.“ vorauszuschicken, die nur dem Mon-
archen die ihm gebührenden Ehrenrechte wahren
solle. Der Regent sei Organ des Staats, nicht
Stellvertreter der Monarchenpersönlichkeit, auch
nicht im staatsrechtlichen Sinn. Zwischen ihm
und dem Monarchen, für den er regiert, walte
überhaupt kein Rechtsverhältnis ob, also auch kein
Verantwortlichkeitsverhältnis. — Andere Staats-
rechtslehrer, wie v. Seydel (Das Staatsrecht des
Königr. Bayern, 1903), Göz (Das Staatsr. des
Königr. Württemberg, 1908), Otto Mayer (Das
Staatsr. des Königr. Sachsen, 1909), Walz (Das
Staatsr. des Großh. Baden, 1909) u. a., sehen auch
während der Dauer der Regentschaft im Mon-
archen den Träger der Staatsgewalt und erklären
die rechtliche Stellung des Regenten für Untertan-
schaft; der Bestand der Regentschaft ist vom Be-
stand der Herrschaft des Monarchen, für den er
Regent ist, abhängig. Die gesetzmäßigen Regie-