Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Einigung des deutschen Volks in der Erweckung 
des Verständnisses für die Vorfahren und ihre 
Werke. — Freilich war er für mechanische Zentrali- 
sation und Bureaukratisierung nicht zu haben, 
sondern erblickte eine vornehme Aufgabe der 
Staatskunst „in der liebevollen Pflege der deut- 
schen Stämme und ihrer Eigentümlichkeiten“. 
Theobald Ziegler nennt ihn einen „patriotisch ge- 
sinnten Preußen“, der aber „freiheitlich ange- 
haucht“ gewesen ist. 
Als Abgeordneter nahm er es mit seinen 
Pflichten genau wie wenige. Niemand hat mit 
mehr Recht als er den „Absentismus“ gegeißelt. 
Wohleinstudierte Reden hielt er selten; meist 
schöpfte er aus dem vollen einer durch weite Reisen 
und scharfe Beobachtung erworbenen Welt- und 
Menschenkenntnis sowie einer umfassenden viel- 
sprachigen Literaturkunde. Er redete nicht mit der 
herben Wucht Mallinckrodts, seine Art war eher 
verwandt mit derjenigen Windthorsts wegen ihrer 
Schlagfertigkeit und der Gemütstiefe des durch- 
blitzenden Humors. Mangelte ihm auch die Kunst 
der Taktik und Anpassungsfähigkeit, die dem geist- 
vollen Hannoveraner zu eigen war, so übertraf er 
diesen wiederum in der Vielseitigkeit der Interessen 
und in der feinen Witterung für alles, was schön 
in der Natur und im Geistesleben. Ein Liebling 
der parlamentarischen Körperschaften hatte er wohl 
Gegner, aber keinen Feind. 
Als Schriftsteller schaffte er meist auf dem 
Gebiet der Kunst. Manches erinnert hier an seinen 
großen Landsmann Görres. Aber während dieser 
seine Tätigkeit beschränkte auf die Lehre in Wort 
und Schrift, entfaltete Reichensperger in seinem 
mehr aufs Praktische gerichteten Sinn eine um- 
fassende organisatorische Arbeit. Weniger 
Prinzipienreiter als der zuletzt ganz vereinsamte 
Montalembert, hat Reichensperger stets in engster 
Fühlung mit den Bedürfnissen der Zeit gestanden. 
So stand er an der Wiege der wichtigsten Ein- 
richtungen des katholischen Lebens in Deutschland, 
und die meisten derselben hat er während eines 
halben Jahrhunderts mit hingebendem Opfer- 
mut gepflegt (Vinzentiusverein, Borromäusverein, 
Dombauverein, Presse, Generalversammlung deut- 
scher Katholiken, parlamentarische Fraktionen).— 
So wird er im Andenken fortleben: ein überzeugter 
Monarchist, liberal im edelsten Sinn, geistvoller 
Parlamentarier und Schriftsteller, deutsch bis ins 
Mark, fußend auf christlichen Grundsätzen, ein 
echter Vertreter des rheinischen Volks, eine liebens- 
würdige und kraftvolle Persönlichkeit. 
August Reichenspergers zahlreiche literarische 
Arbeiten sind aufgeführt in Pastor a. a. O. II. 
449 f. 
Hier sind zu erwähnen: Beleuchtung der 
Schrift: Andeutungen über den Entwurf eines 
rheinischen Provinzialgesetzbuchs, von einem Rhein- 
länder (1834); De la Prusse (Par. 1842; Mit- 
arbeiter); Die Wahlen zum Haus der Abgeordneten 
in Preußen, von einem Katholiken (1858); Deutsch- 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Reichensperger, Peter Franz. 
  
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lands nächste Aufgaben, gemeinsam mit Peter R. 
(1860); Phrasen u. Schlagwörter (11862, 1872); 
Ein Rückblick auf die letzten Sessionen des preuß. 
Abgeordnetenhauses, u.: Ein Wort über die deutsche 
Verfassungsfrage (1864); Fragebogen zum Haus- 
gebrauch für Wähler sowie auch für Abgeordnete, 
von X. Quidam (1—81876); Die Literatur betr. 
Kunst s. Pastor a. a. O. - 
Literatur. Parlamentarische Reden 
der Gebrüder August u. Peter Franz R., erschien 
anonym zu Regensburg (1858, Herausgeber sind 
Paul Jacobi u. Theodor Levi); L. Pastor, A. R. 
1808/95 (2 Bde, 1899); F. K. Kraus, A. R., Bei- 
lage zur Allgemeinen Zeitung 1900, Nr 200, 201, 
224, 225; H. Oncken, Kritik des obigen Buchs von 
Pastor in Histor. Zeitschrift, Neue Folge 52, 247 ff. 
LGörres.) 
Reichensperger, Peter Franz, Ober- 
tribunalsrat, Parlamentarier und Schriftsteller, 
jüngerer Bruder des Vorigen. 
Peter Franz Reichensperger wurde am 28. Mai 
1810 zu Koblenz geboren. Er besuchte die Gym- 
nasien zu Boppard und Kreuznach, studierte in 
Bonn und Heidelberg, wo er sich „zum schwarz- 
rot-goldenen Band bekennt“, Rechts= und Staats- 
wissenschaften, trat in den Justizdienst, ward 1836 
Assessor beim Landgericht Koblenz, später Elber- 
feld, 1843 Landgerichtsrat in Koblenz, 1850 Rat 
beim Appellationsgerichtshof Köln, 1859 Rat beim 
Obertribunal in Berlin, welchem er bis zu dessen 
Auflösung (1879) angehörte. Gestorben ist er zu 
Berlin am 31. Dez. 1892. 
Über den innern Entwicklungsgang Peter 
Reichenspergers bis zu seinem 30. Lebensjahr 
liegen zuverlässige Mitteilungen nicht vor. Sein 
erstes Auftreten zeigt ihn auf den gleichen Bahnen 
befindlich, welche sein Bruder August erst 1837 be- 
treten hatte. Mit diesem und v. Thimus sammelt 
er das Material, welches Vicomte de Failly zu 
seiner Broschüre De la Prusse verarbeitete (s. ob. 
Sp. 474). Als Assessor gibt er seine der Vertei- 
digung heimischer Rechtseinrichtungen gewidmete 
Schrift gegen Minister v. Kamptz heraus: „Offent- 
lichkeit, Mündlichkeit und Schwurgerichte“. Der 
mit August Reichensperger gefertigte Entwurf 
einer Petition an den König um eine Wahlreform 
(184 7), welche (nach der Absicht Peters) „nur von 
Beamten und studierten Leuten unterschrieben“ 
werden sollte, wurde bereits erwähnt. 1847 läßt 
Peter seine groß angelegte Arbeit über „Die 
Agrarfrage aus dem Gesichtspunkt der National- 
ökonomie, der Politik und des Rechts“ erscheinen. 
Hier entwickelt er in Anwendung auf die Agrar- 
verfassung den Gedanken de Maistres vom „mirt- 
leren Glück“, indem er als das wirtschaftliche Ziel 
des Staatenlebens die größtmögliche Teilnahme 
aller an den Gaben der Natur bezeichnet. Der 
zweite Teil (Politik) befaßt sich unter anderem 
in einer für die damalige Zeit überraschend gründ- 
lichen Weise mit der sozialen Not der Industrie- 
arbeiter, zu deren Linderung Schutzzölle, Abkürzung 
der Arbeitszeit, Verbot der Kinderarbeit, Beteili- 
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