Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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wesentlichen eine Folge der sog. Finanzreform des 
Jahres 1909, deren volle Wirkung jedoch noch 
nicht einmal im Jahr 1910 erreicht, sondern vor- 
aussichtlich sich erst 1912 geltend machen wird. 
Die Finanzreform des Jahres 1909 
war wohl die bedeutendste Aktion auf dem Gebiet 
des Reichsfinanzwesens seit Bestehen des Reichs. 
Obwohl die Reichseinnahmen erst im Jahr 
1906 durch neue Steuern und Erhöhung alter 
Steuern um etwa 160 Mill. jährlich gesteigert 
worden waren, ergaben sich bereits in den Jahren 
1907 und 1908 größere Fehlbeträge im Reichs- 
haushalt, welche noch vermehrt wurden durch die 
Notwendigkeit, eine allgemeine Erhöhung der Be- 
amtengehälter eintreten zu lassen, um einen Aus- 
gleich für die Steigerung der Preise der meisten 
Lebensbedürfnisse zu bieten. Hierzu kam der Rück- 
gang der wirtschaftlichen Verhältnisse, welcher die 
Überschüsse der Post-, Eisenbahn= und Telegraphen- 
verwaltung ebenso wie die Einnahmen aus den 
Zöllen sehr erheblich reduzierte. Auch sollte auf 
Verlangen des Reichstags eine regelmäßige Schul- 
dentilgung eingeführt werden. Zudem wollten die 
verbündeten Regierungen noch die Zuckersteuer er- 
mäßigen und die Fahrkartensteuer aufheben. 
Um alle diese Ausfälle und Fehlbeträge zu 
decken, wurden seitens des Bundesrats 475 Mill. M 
neue Steuern (bzw. Erhöhung der bestehenden) 
verlangt, gleichzeitig sollten die Rechte des Reichs- 
tags beschnitten werden durch Beseitigung der 
clausula Franckenstein und Fixierung der Ma- 
trikularbeiträge auf 80 Pfennig pro Kopf der 
Bevölkerung. 
Die Regierungsvorlagen führten zu langen, er- 
bitterten Verhandlungen im Reichstag, welche 
nicht ohne Einfluß auf die Parteikonstellation 
blieben und mit dem Sturz des Reichskanzlers 
Fürsten Bülow endigten. 
Von den Regierungsvorschlägen wurden die 
Aufhebung der Fahrkartensteuer und Ermäßigung 
der Zuckersteuer, ebenso wie die Beseitigung der 
clausula Franckenstein und die Beschränkung 
der Matrikularbeiträge durch den Reichstag ab- 
gelehnt und die zu bewilligende Gesamtsumme an 
neuen Steuern auf 420 Mill. M beschränkt. Die 
Hauptsumme wurde, im allgemeinen den Regie- 
rungsvorlagen entsprechend, durch Erhöhung der 
Steuern auf Bier, Tabak, Branntwein (hiese 
jedoch unter Ablehnung des von der Regierung 
gewünschten Monopols) gedeckt, der Zoll auf 
Kaffee wurde erhöht, eine Zündwaren= und Be- 
leuchtungskörpersteuer neu eingeführt. 
Dagegen wurde die vom Bundesrat geforderte 
Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Anfälle an 
eigne Kinder und Ehegatten abgelehnt und statt 
deren eine Erhöhung der Wertpapiersteuer und 
sonstige Stempelabgaben beschlossen. 
Durch Bewilligung dieser neuen Mittel, deren 
Ertrag sich erst im Jahr 1912 in voller Höhe 
geltend machen dürfte, sollte dem Reichsfinanz- 
wesen die unter der Amtsführung des vierten 
Reichsfinanzwesen. 
  
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Reichskanzlers verloren gegangene solide Grund- 
lage wieder gewonnen und zugleich die Möglich- 
keit einer regelmäßigen und starken Tilgung der 
Reichsschulden gegeben werden. 
Bezeichnend ist, daß wohl die Bewilligung der 
neuen Mittel, wenn auch in anderer Form, als 
der Bundesrat beantragt hatte, eine starke Mehr- 
heit im Reichstag fand, daß aber die organisatori- 
schen Anderungen des Reichsfinanzwesens, welche 
die Regierungen wünschten (Beschränkung der 
Matrikularbeiträge und Aufhebung der clausula 
Franckenstein), mit noch größerer Mehrheit ab- 
gelehnt wurden, während die Bestimmungen über 
die gesetzliche Tilgung der Reichsschuld einstimmige 
Annahme fanden. 
Eine wirkliche Reform des Reichs- 
finanzwesens hat auch die sog. Reichsfinanz- 
reform des Jahres 1909 nicht gebracht, sie hat 
in der Hauptsache nur der Verwaltung des Reichs 
eine bedeutende Vermehrung der Einnahmen ge- 
schaffen. Die Mißstände, an denen das Finanz- 
wesen krankt, können auch mit den besten Finanz- 
gesetzen nicht beseitigt werden, weil sie auf dem 
Gebiet der Verwaltung liegen und die Befugnisse 
des Reichstags nicht stark genug sind, um auf 
diesem Gebiet die Herstellung gesunder Zustände 
zu erzwingen, zumal die parteipolitischen Verhält- 
nisse die Aktionsfähigkeit des Reichstags und dessen 
Einfluß der Verwaltung gegenüber lähmen. 
Eine wirkliche Finanzreform müßte vor allem 
das Ziel haben, die Vergeudung der dem Reich 
zur Verfügung stehenden Mittel zu verhindern, 
mit den vorhandenen Einnahmen nicht nur haus- 
zuhalten, sondern Uberschüsse zu erzielen und diese 
zur Tilgung der Schulden zu verwenden. 
Welche Ersparnisse an den Ausgaben möglich 
wären, wenn alle Sinekuren in der Armee, der 
Marine und dem Beamtenheer abgeschafft würden, 
wenn an Stelle der Protektion und der Augenblicks- 
launen für die Besetzung der höchsten Beamten- 
stellen die Tüchtigkeit und Pflichterfüllung maß- 
gebend wäre, wenn nicht Tausende von noch dienst- 
fähigen Offizieren vorzeitig in den Ruhestand 
versetzt würden, wenn in der Vergebung der Bauten 
und Lieferungen und in der Verwendung der be- 
schafften Materialien kaufmännische Sparsamkeit 
Platz griffe, wenn aller unnötige Flitter und Auf- 
wand beseitigt würde, haben die Verhandlungen 
der Reichshaushaltskommission hinreichend gezeigt. 
Größere Aussicht als die Anderung dieser Ver- 
hältnisse hat vielleicht eine Anderung des Finanz= 
wesens in der Richtung einer besseren Abgrenzung 
der einerseits dem Reich, anderseits den Bundes- 
staaten und Kommunen zukommenden Steuer- 
quellen. Augenblicklich herrscht auf diesem Gebiet 
noch eine gewisse Planlosigkeit, vielfach werden 
dieselben Steuerobjekte dreifach besteuert, sowohl 
von seiten des Staats als des Reichs und der Ge- 
meinden; eine Steuer, die Umsatzsteuer vom Ver- 
kauf von Grundstücken, wird vielfach sogar viermal 
(vom Reich, Staat, Gemeinde und Kreis) erhoben. 
 
	        
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