Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Religion. 
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dem Glauben. Geschichtlich ist ja die über--erleuchtete Vernunft sagt, daß und wie er glauben 
natürliche Offenbarung bereits am Anfang 
des Menschengeschlechts erfolgt und bis zur An- 
kunft Christi stetig fortgesetzt worden. Dadurch 
erhielt die Religion von Anfang an einen über- 
natürlichen Charakter und war auf den Glauben 
angewiesen. Die paradiesische Uroffenbarung hat 
wenigstens in einzelnen Spuren des Heidentums 
augenscheinlich nachgewirkt (ogl. H. Lüken, Die 
Traditionen des Menschengeschlechts (11869)). 
Die Reformatoren, besonders Luther, haben bei 
ihrer Abneigung gegen die natürliche Gotteser- 
kenntnis und die Vernunft überhaupt das ganze 
religiöse Wissen auf den Glauben gestellt und da- 
mit die natürliche Neligion abgewiesen, ja die na- 
türliche Voraussetzung der übernatürlichen Re- 
ligion in der Vernunft verneint. Als sich trotz- 
dem später eine protestantische Scholastik ausbil- 
dete, reagierte der Pietismus, indem er auf 
die religiöse Erkenntnis verzichtete und die Reli- 
gion ausschließlich in das Gefühl und die Fröm- 
migkeit verlegte. Diese Richtung erhielt in 
Schleiermacher, der selbst aus der Schule der 
Herrnhuter hervorgegangen war, einen mächtigen 
Vertreter, so daß das „Gefühl der schlechthinigen 
Abhängigkeit“ einen wesentlichen Faktor in der 
neueren protestantischen Theologie bildet. Unter- 
stützt wurde diese Auffassung durch die Kritik 
Kants, der, angeregt durch Hume und Rousseau, 
der Aufklärung und dem Wolffschen Rationalis- 
mus zwar ein Ende bereitete, aber auch die Be- 
weisbarkeit des Daseins Gottes bestritt, zwischen 
Vernunfterkenntnis und Religion einen klaffenden 
Gegensatz statuierte und letztere nur als Postulat 
der praktischen Vernunft innerhalb der Grenzen 
der bloßen Vernunft gelten ließ. Beide Richtungen 
wirken bis heute in der protestantischen Theologie 
fort. Die Ritschliche Schule lehnt die Metaphysik 
ab und Kant wird als der Philosoph des Prote- 
stantismus gefeiert (Paulsen, Philosophia mili- 
tans I[1901] 31 f). Doch regt sich neuestens 
wieder das Bewußtsein, daß eine Religion ohne 
Metaphysik nicht bestehen, ein Verzicht auf die 
natürliche Gotteserkenntnis leicht zur Leugnung 
der objektiven Religion führen kann und eine prin- 
zipielle Trennung der Grundvermögen der Seele 
undurchführbar ist. Weder der Moralismus 
Kants noch die Gefühlsreligion Schleiermachers 
können für sich allein dem Bedürfnis des mensch- 
lichen Geistes und Herzens genügen; aber sie bil- 
den neben dem Intellektualismus fraglos ein be- 
rechtigtes Element der Religion. 
Bei der Religion ist auch wesentlich der Wille 
beteiligt; denn der Glaube, das Prinzip der Re- 
ligion, ist ein Akt des Willens, wenn auch des von 
der Vernunft geleiteten Willens. Dies gilt ganz 
besonders für die übernatürliche Religion, welche 
auf die Autorität des sich offenbarenden Gottes 
begründet ist. Der Gläubige beugt seinen Willen 
vor der Wahrheit und Autorität, auch wenn er 
die Wahrheit nicht durchschaut, weil ihm die er- 
  
und gehorchen müsse. Die Religion ist aber nicht 
nur selbst eine Tugend, sondern auch die Grund- 
lage und Wurzel aller Tugenden: es gibt keine 
unabhängige Moral. Denn erst die Religion gibt 
dem Menschen den unwandelbaren Maßstab für 
gut und bös, Tugend und Laster an die Hand, 
schafft im unbeugsamen heiligen Willen Gottes 
den zureichenden Grund der sittlichen Verpflich- 
tung, sorgt in dem Gedanken an eine ewige Ver- 
geltung für eine genügende Sanktion des Sitten- 
gesetzes und gebiert den heldenmütigen Starkmut 
in der ergebenen Ertragung jeder Art von Schmerz, 
für den die religionslose Ethik mit dem antiken 
Stoizismus entweder nur den Selbstmord oder 
leere Worte, aber keinen wirksamen Trost in Be- 
reitschaft hat. Wer mit Agricola (1537) sagt: 
„Das Gesetz gehört aufs Rathaus, nicht in die 
Kirche“, der hat mit der Lockerung des Bandes 
zwischen Moral und Religion die Sittlichkeit selbst 
ihrer innern Kraft, Würde und Weihe beraubt, 
das sittliche Denken, Empfinden und Tun höch- 
stens mit einem äußern Anstandsfirnis überziehend, 
der vor den Stürmen der Versuchung nicht stand- 
zuhalten vermag. Nach der Bibel „ist es ohne 
Glauben unmöglich, Gott zu gefallen“ (Hebr. 11, 
6), und „ein rechter und unbefleckter Gottesdienst 
(religio) vor Gott und dem Vater ist dieser, 
Waisen und Witwen in ihrer Trübsal zu besuchen 
und sich unbefleckt von dieser Welt zu bewahren“ 
(Jak. 1, 27). Die Religion muß die Mittel bieten, 
um die Seele von der Last der Sünde zu befreien 
und den ohnmächtigen Willen zu kräftigen. In 
welchem Sinn endlich auch das Gefühl als Sitz 
der Religion anzusehen ist, wurde schon oben aus- 
einandergesetzt. Jedenfalls darf seine Bedeutung 
nicht unterschätzt werden. Denn der Affekt spielt 
in der Religion eine Hauptrolle, weil er den 
Gläubigen zur höchsten Kraftentfaltung, zum He- 
roismus und zum Martyrium befähigt. 
3. Innere und äußere Religion. 
Ihrem Wesen nach ist die soeben gekennzeichnete 
Religion begrifflich schon vollzogen, auch wenn sie 
lediglich als religiöse Gesinnung oder innere Her- 
zensverfassung sich im Verstand, Willen und Ge- 
fühl durchsetzt. Und diese innere Religion 
ist das eigentlich Primäre und Wesentliche, die 
Seele und Quelle aller äußern Gottesverehrung, 
welche erst von ihr Geist und Leben empfängt und 
ohne sie völlig wertlos bleibt. 
Gleichwohl liegt es in der Natur dieser Reli- 
gion, daß sie der Doppelnatur des Menschen ent- 
sprechend auch einen Ausweg nach außen sucht 
und in leiblich-geistigen Kulthandlungen oder in 
deräußern Religion sich sozusagen verkörpert. 
Eine rein geistige Gottesverehrung, welche die 
zahlreichen „Anbeter Gottes im Geist und in der 
Wahrheit“ aus Abneigung gegen den lästigen 
Kirchenbesuch sich erträumen, mag vielleicht für 
leiblose Engel passen, für den Menschen ist sie Un- 
natur, ja eine psychologische Unmöglichkeit. Aber
	        
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