519 Religionsgesellschaften.
mittel die Glaubensfreiheit entgegengestellt wer-
den. Von dieser Überzeugung geleitet, hat die
Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags 1900
ihren Toleranzantrag eingebracht, dessen 8§ 1
lautet: „Jedem Reichsangehörigen steht innerhalb
des Reichsgebiets volle Freiheit des religiösen Be-
kenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgemein-
schaften sowie der gemeinsamen und öffentlichen
Religionsübung zu. Den bürgerlichen und staats-
bürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung
der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.“
Der zweite Teil des Antrags will den Religions-
gemeinschaften die freie und öffentliche Ausübung
ihres Kultus sichern (ugl. Roeren, Der Toleranz=
antrag des Zentrums [19011; Erzberger, Der
Toleranzantrag der Zentrumsfraktion des Deut-
schen Reichstags (19060). Da sowohl vom Reichs-
kanzler Fürsten Bülow als auch von maßgebenden
Parteien des Reichstags der Kompetenzeinwand
erhoben wurde, so entschloß sich die Zentrums-
fraktion, den vom Fürsten Bülom selbst seinerzeit
gewiesenen Weg zu beschreiten und am 7. Dez.
1909 einen neuen Toleranzantrag einzubringen
des Inhalts: „Der Reichstag wolle beschließen,
den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, durch Ver-
handlungen mit den Bundesstaaten dahin zu
wirken, daß Beschränkungen der religiösen Frei-
heit, soweit solche bestehen, auf dem Weg der Ge-
setzgebung beseitigt werden.“ Der Antrag wurde
am 18. Febr. 1910 im Plenum verhandelt und
trotz Billigung seiner gesunden Tendenz von einer
geringen Mehrheit abgelehnt. Zum Ganzen vol.
die Art. Bekenntnisfreiheit, Gewissen und Ge-
wissensfreiheit, Toleranz.
Literatur. Zu 1 vgl. außer den philosoph. u.
apologet. Handbüchern St Thomas, Summa theol.
2, 2, q. 81—100; Wirthmüller, Die moralische
Tugend der R. (1881); Schanz, Apologie des
Christentums I ((1910) 73 f; A. Schill, Theolog.
Prinzipienlehre (21903); H. Schell, Apologie des
Christentums 1: R. u. Offenbarung (21902); T.
Pesch S. J., Die großen Welträtsel II (31907)
470 ff; Gutberlet, Ethik u. R. (31901); Kard.
Manning, Religio viatoris (deutsch von Gordon,
1889); V. Cathrein S. J., R. u. Moral (1900);
G. Wilmers S. J., De religione revelata (1897);
Kant, Die R. innerhalb der Grenzen der bloßen
Vernunft (21794); Schleiermacher, Reden über die
R. (1799); John Stuart Mill, Three Essays on
Religion (Lond. 1874); Stöckl, Religionsphilo-
sophie (21873); Kaftan, Das Wesen der christlichen
R. (1888); Chr. Pesch S. J., Gott u. Götter (1890);
O. Pfleiderer, Die R, ihr Wesen u. ihre Geschichte
(2 Bde, 71893/96); Ad. Harnack, Das Wesen des
Christentums (1901); Weiß O. P., Die religiöse
Gefahr (31904); Eucken, Der Wahrheitsgehalt der
R. (21905); Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch
der R. Sgeschichte (2 Bde, 21905). Viel Material
bietet die Zeitschrift „Anthropos"“ (seit 1906). —
J. Lubbock, Die Entstehung der Zivilisation u. der
Urzustand des Menschengeschlechts (deutsch von A.
Passow, 1875); J. Lippert, Die R.en der euro-
päischen Kulturvölker (1881); Max Müller, Vor-
lesungen über den Ursprung u. die Entwicklung
(Die christlichen Religionsgesellschaften.)
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der R. (1881); ders., Natural Religion (Lond.
1889); Pbysical R. (ebd. 1890); Anthropological
R. (ebd. 1892); W. Schneider, Die R. der afrika-
nischen Naturvölker (1892); S. H. Kellogg, The
Genesis and Growth of R. (Neuyork 1892); A.
Wiedemann, Die R. der alten Agypter (1892);
A. Borchert, Animismus oder Ursprung u. Ent-
wicklung der R. aus dem Seelen-, Ahnen= u. Geister-
kultus (1900); Zapletal O. P., Der Totemismus
u. die R. IJsraels (1900).
Zu II vgl. Hergenröther, Katholische Kirche u.
christl. Staat (1873); Scherer, Handbuch des
Kirchenrechts I (1886) 48 ff; Chr. Pesch S. J.,
Christl. Staatslehre (1887); H. Fürstenau, Grund-
recht der R.sfreiheit (1891); Kard. Mazzella S. J
De religione et ecclesia (Rom 1896); Fr. Ruf-
fini, La liberta religiosa (Turin 1901); I.
Blötzer S.J., Die Katholikenemanzipation in Groß-
britannien u. Irland (1905); W. Kahl, Über Pa-
rität (1895); J. Bachem, über Parität in Preußen
(21899); W. Köhler, Katholizismus u. moderner
Staat (1908); J. K. J. Friedrich, Die Trennung
von Staat u. Kirche (1907); Hermelink, Toleranz=
gedanken im Reformationszeitalter (1908); P.
Wappler, Inquisition u. Ketzerprozesse in Zwickau
zur Reformationszeit (1908); K. Rothenbücher,
Die Trennung von Staat u. Kirche (1908); Th.
de Cauzons, Histoirc de I’Inquisition en France
1 (Par. 1909); J. O. Bevan, The Birth and
Growth of Toleration (Lond. 1909).
lv. Schanz, rev. Pohle.)
Religionsgesellschaften. A. Dieschrist-
lichen Religionsgesellschaften. I. Begriffliches. II. Hi-
storisches. III. Dogmatisches. IV. Der Protestan-
tismus. V. Sekten des Protestantismus. VI. Die
anglikanische Kirche. VII. Der Altkatholizismus.
B. Die Juden.
C. Der Islam. I. In der Vergangenheit. II. Der
Islam von heute. 1. Verbreitung. 2. Staatliche
Verhältnisse. 3. Religiöse Verhältnisse. 4. Gesell-
schaft und Kultur. 5. Islam und katholische Mission.
D. Ostasiatische Religionsgesellschaften. I. All-
gemeiner üÜberblick. II. Hinduismus. 1. Kultus.
2. Brahmanische Staatstheorie. 3. Moderne Kasten.
4. Die moderne Sekte. III. Buddhismus. 1. Aus-
breitung. 2. Entwicklung und Organisation in
Indien. 3. In Birma, Siam, Kambodscha 4. La-
maismus. IV. Konfuzianismus. 1. Die alte chine-
sische Reichsreligion. 2. Die konfuzianische Staats-
religion. 3. Taoismus und Buddhismus. 4. Die
religiöse Intoleranz der konfuzianischen Staats-
politik. 5. Die konfuzianische Klostergesetzgebung.
6. Kultureller Einfluß. V. Schintoismus. 1. Die
Nationalreligion. 2. Einfluß des Buddhismus.
3. Kultureller Einfluß.
A. Die christlichen Religionsgesellschaften.
I. Begriffliches. Unter einer Religionsgesellschaft
versteht man ganz allgemein eine Personenvereini-
gung zu religiösen Zwecken. Aus dieser Definition
ergibt sich die Mannigfaltigkeit der Religions-
gesellschaften. Dennn wenn man auch über den
Begriff „Religion“ im formalen Sinn einig sein
dürfte, indem man darunter das Verhälltnis des
Menschen zu einem höheren Wesen versteht, so
werden doch die Fragen nach diesem höheren
Wesen, nach der Natur des Verhältnisses des