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Inhalt dieses Prinzips der sei, „daß die Sou-
veränität in der Erbmonarchie das dem Fürsten
für sich und seine Nachkommen von der Sittlich-
keit übertragene Recht sei“. Unter Souveränität
ist hier nicht die völkerrechtliche Souveränität,
d. h. also das freie, unabhängige und absolute
Selbstbestimmungsrecht des Staates verstanden,
sondern die staatsrechtliche Souveränität, also die
höchste Staatsgewalt. Diese Theorie läßt zwar
dahingestellt sein, woher die Gewalt des Herrschers
stamme, ob aus der materiellen Macht des Besitzes
oder aus der rein geistigen des Familienober-
hauptes über die Seinigen oder aus der des
Höherbegabten, des verdienten Kriegshelden über
andere oder sonst woher, bekennt aber, mit der
Landeseigentumslehre nahe verwandt zu sein, ja
direkt von ihr abzustammen. Nach ihr wird oder
ist der Staat, „indem im Innern einer Masse von
Menschen, die naturgemäß zusammenlebt, Einer
notwendig emporwächst oder ist, der durch seine
Gewalt oder Macht die Masse zusammenhält und
sie, indem er ihre gegenseitigen Obliegenheiten
ordnet und schützt, zur geregelten Verbindung,
zum Staat macht“. Im übrigen trifft sie, was
den Inhalt und Umfang dieses Rechts an der
Souveränität anlangt, mit der älteren Theorie
darin vollständig überein, daß, ganz wie im Privat-
recht der Eigentümer einer Sache die unbeschränkte
Verfügungsmacht über die Sache und das Eigen-
tumsrecht an ihr hat und seine Rechte auf die
Erben überträgt, der Herrscher und seine Familie
Eigentümer der Staatsgewalt und durch sie des
Staates sei, dergestalt, daß diese der unbeschränkten
Verfügungsmacht jener unterstehen.
Neben dem angegebenen, mehr wissenschaftlich-
sormalen Grund wirkte für die Ausfstellung der
jüngeren Patrimonialtheorie ein staatsrechtlich-
materieller Zweck. Indem sie das Eigentumsrecht
des Herrschers an der Staatsgewalt, von ihr
Fürstensouveränität genannt, nachzuweisen ver-
suchte, bildete sie die bewußte Reaktion gegen die
Theorie der Volks= und Staatssouveränität. Als
um die Wende des 18. zum 19. Jahrh. das alte
deutsche Reich seiner vollständigen Auflösung ent-
gegenging, erhielt das Bestreben der deutschen
staatsrechtlichen Literatur, die begriffliche Grund-
lage und wissenschaftliche Rechtfertigung der staat-
lichen Existenz und Selbständigkeit der deutschen
Territorialstaaten klar zu stellen, neuen Anlaß und
Antrieb. Daß es hierbei, unter dem Einfluß
nicht bloß älterer, staatsphilosophischer Anschau-
ungen, sondern vornehmlich auch der damals noch
neueren Rousseauschen Lehre vom contrat social,
zur Konstruktion einer abstrakten, von der Per-
sönlichkeit des Herrschers gänzlich absehenden
Staatsgewalt kommen mußte, ist als ein ganz
selbstverständlicher Vorgang hinzunehmen. Aber
als ebenso naturgemäß muß es bezeichnet werden,
daß gegen diese den Ursprung und den Entwick-
lungsgang des alten Reichs und der Territorial=
staaten vollständig ignorierende Doktrin scharfe
Patrimonialstaat.
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Gegensätze sich geltend machten, die in der Neu-
belebung der alten und Enistehung der jüngeren
Patrimonialtheorie ihren Ausdruck fanden. Was
die letztere anlangt, so setzte sie jener Doktrin
von der Staatssouveränität die allgemeine Lehre
entgegen, daß der Herrscher vor dem Staat be-
standen haben oder spätestens gleichzeitig mit dem
Staat entstanden sein müsse, daß er also seine
Gewalt nicht habe vom Staat „übertragen“ er-
halten. Im besondern will Maurenbrecher das
Patrimonialprinzip gegenüber der Staatssouve-
ränität erhärten sowohl durch den direkten Be-
weis, daß die positiven deutschen Rechtsquellen
gegen das Vorhandensein der einzelnen Folgesätze
der letzteren sprechen, als auch durch den indirekten,
daß diejenigen einzelnen Sätze, die dem Patri-
monialprinzip logisch angehören (s. unten), darin
enthalten sind.
Kommt sonach auch diese letztere Theorie, wie
bereits oben bemerkt, zu dem Ergebnis, daß der
Herrscher nicht der bloße „Ausüber“ der dem
Staat, als moralischer Person, zustehenden
Staatsgewalt, sondern der wirkliche Privateigen-
tümer derselben sei, so will sie damit doch keines-
wegs sagen, „daß das Recht, zu regieren, in der
Art rein privatrechtlich sei, daß der Fürst nur zu
seinen eignen Zwecken zu regieren, insbesondere
keiner höheren sittlichen Idee zu folgen habe, und
daß der Staat nur um der Person des Fürsten
willen und nicht umgekehrt der letztere wegen des
ersteren oder um beider willen vorhanden sei“.
Sein Recht unterstehe vielmehr der sittlichen Idee,
wie denn Recht und Sittlichkeit nicht als zwei
völlig geschiedene und entzweite Dinge anzusehen
seien. Den Fürsten binde die Vernunft (= die
Idee des Sittlichen, der allgemeine sittliche Wille),
deshalb dürfe er die Souveränität (Staatsgewalt)
nicht nach Willkür und Laune ausüben.
Als logische Folgesätze aus dem Patrimonial-
prinzip ergeben sich dann (nach Maurenbrecher):
1) daß der Monarch, als letzter Besitzer, das Recht
hat, durch eine einseitige Disposition auf den
Todesfall nach Belieben seinen Nachfolger zu er-
nennen; 2) daß er befugt ist, dem Thron für sich
zu entsagen; 3) daß er zu einseitigen Landes-
veräußerungen vollkommen berechtigt ist; 4) daß
er bei allen seinen Regentenhandlungen kraft
eignen Rechts handelt und von seiner eignen Per-
son aus die Untertanen verpflichtet, nicht aber als
Vertreter (Organ, Diener, Repräsentant) des
Staates auftritt; 5) daß er darum auch an die
Regierungsakte seines Vorfahren in der Regierung
als dessen Nachfolger nicht gebunden, und endlich
6) daß er über allen Zwang erhaben und selbst
bei rechts= und verfassungswidrigen Handlungen
gegen Angriff und Widerstand der Untertanen
rechtlich gesichert ist. Allerdings wird zugegeben,
daß die letztere Folgerung nicht so sehr aus dem
patrimonialen Prinzip an sich zu ziehen sei, als
vielmehr aus dem Begriff der Staatsgewalt,
die allen Zwang gegen sich undenkbar mache.