Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

531 Religionsgesellschaften. 
sie die apostolische Praxis erblicken (Apg. 8, 38). 
Ihr Lehrbegriff ist der kalvinische, aber gemildert. 
Gründer der Baptistengemeinden in Deutschland 
ist Oncken (gest. 1884). In Deutschland zählen 
sie 124 Gemeinden in 7 Vereinigungen. Die 
Organisation ist frei. Alle 3 Jahre tritt eine 
„Bundeskonferenz“ zusammen. Grundlage ist das 
„Glaubensbekenntnis“ (1849). — Ebenfalls eine 
englische Sekte ist der Methodismus. Sein 
Geburtsjahr ist 1739. Organisator ist John 
Wesley (gest. 1791). Der Methodismus wollte 
im Rahmen der anglikanischen Kirche das geist- 
liche Leben „erwecken“, d. h. durch Erregung 
starker religiöser Empfindungen dasselbe vertiefen. 
Dabei übten die Herrnhuter unverkennbare Ein- 
flüsse aus. Erst allmählich wuchs diese pietistische 
Bewegung zur selbständigen Sekte aus. Der 
Methodismus zählt heute über 28 Millionen An- 
hänger. Der Name ist ursprünglich ein Spott- 
name, mit dem die Brüder Wesley und die Ge- 
nossen des holy club von den Kommilitonen der 
Universität Oxford wegen ihres methodischen 
Lebenswandels belegt wurden. Die Organi- 
sation des Methodismus stellt einen Aufbau von 
drei Verwaltungseinheiten dar: Einzelgemeinden 
mit ihren Klassen, Bezirke und Distrikte. Die 
Leitung in den einzelnen Kreisen ist „Konferenzen“ 
übertragen; die oberste ist die „ökumenische“. An 
der Spitze der Bezirke stehen in England Super- 
intendenten, in Amerika Bischöfe. Von einer 
Hierarchie ist aber keine Rede. Deutschland ist 
terra missionis. Die Missionsarbeit, ausgehend 
von Amerika, hat 1849 begonnen. Die „Deutsche 
bischöfliche Methodistenkirche“ zählt 2 Konferenzen 
mit 148 Predigern und ca 190000 Seelen (ogl. 
Nast, Der größere Katechismus für die deutschen 
Gemeinden der bischöfl. Methodistenkirche). — 
Die Irvingianersind benannt nach dem Schotten 
Edward Irving (1792/1834). Irving war 1822 
bis 1827 Londons Mode= und Erweckungsprediger. 
Von den „Apokalyptikern“, einem Kreis ange- 
sehener, frommer Männer, wurde er zum Prediger 
ihrer Ideen erwählt. Bald trat er in Gegensatz 
zur schottischen Landeskirche. Diese eschatologische 
und apokalyptische Richtung geriet immer mehr in 
Schwärmerei (Zungenreden und sonstige Gnaden- 
gaben). Man nannte sich offiziell „apostolisch-- 
katholische Gemeinde“ und ahmte den Kult der 
katholischen Kirche nach. Die Irvingianer wollten 
keine selbständige Religionsgesellschaft sein, son- 
dern die Vereinigung der Auserwählten aus allen 
Religionsgesellschaften. Daher forderten sie ihre 
Leute auf, so lange wie möglich in ihren Religions- 
gesellschaften zu verbleiben. Eine Statistik ist daher 
schwierig. In England, ihrer Heimat, ist die 
Sekte heute bedeutungslos. Das Hauptkontingent 
stellt Deutschland. Aufgelebt ist sie von neuem in 
der „Neuapostolischen Gemeinde“. In Berlin 
zählt man unter den Austritten aus der Landes- 
kirche 10 000 Übertritte zu den „Neuapostolischen“. 
— Was endlich die sog. Dissidenten betrifft, 
(Die christlichen Religionsgesellschaften.) 
  
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so geht der Begriff historisch auf den Westfälischen 
Frieden zurück, wo im Art. 7 alle Religionsgesell- 
schaften, welche nicht den drei Reichskonfessionen an- 
gehörten, ausgeschlossen wurden. In diesem Sinn 
hat sich der Begriff in England erhalten, wo dis- 
senters alle heißen, die nicht Glieder der Staats- 
kirche sind, also auch die Katholiken. In Deutsch- 
land hat sich der Begriff verengt. Hier sind 
„Dissidenten“ die „Freireligiösen", „Konfessions- 
losen“, welche den Zusammenhang mit der christ- 
lichen Offenbarungsreligion ablehnen und eine 
sog. Vernunftreligion proklamieren. 
VI. Die anglikanische Kirche. Sie führt offi- 
ziell den Titel: The Established Church of 
England, d. h. die Staatskirche Englands. Ent- 
standen ist sie aus nationalen und politischen Be- 
strebungen. Veranlassung gab die Ehescheidungs- 
angelegenheit Heinrichs VIII. Durch die Supre- 
matsakte (1534) wurde die englische Kirche als 
eine von Rom unabhängige, aber immer noch 
katholische Landeskirche unter der Suprematie des 
Königs konstituiert. Die Bischöfe wurden Staats- 
diener. Die religiösen Ideen des kontinentalen 
Protestantismus traten zu dieser schismatischen 
Bewegung erst unter Eduard VI. hinzu. Die 
Parlamentsakte (1547) führte das Abendmahl 
unter beiden Gestalten ein. Allmählich wurde die 
ganze Lehre nebst dem Kultus gesetzlich umgestaltet. 
Der kurzen Restauration der Mutterkirche unter 
Maria I. folgte die definitive Etablierung der 
englisch-protestantischen Staatskirche. Durch die 
Uniformitätsakte (1662) wurde nach der „großen 
Rebellion“, mit der die Herrschaft der Stuarts 
endete, die anglikanische Staatskirche wiederher- 
gestellt. Gegen diese Uniformitätsakte erhob sich 
eine Opposition, deren Mitglieder sich „Nonkon- 
sormisten“ nannten. Dieser Name wurde all- 
mählich von allen dissenters adoptiert. Die 
Unionsakte von 1707 anerkannte den kalvinischen 
Presbyterianismus in Schottland als dortige 
Staatskirche. Damit hatte die anglikanische Kirche 
aufgehört, Reich skirche zu sein. Durch die Got- 
tesdienstakten (1791) und die Emanzipationsakten 
(1829) wurden die drückendsten Repressivmaß- 
regeln der Vergangenheit für die Katholiken be- 
hoben. — Bekenntnis und Kultus der anglikani- 
schen Kirche ist niedergelegt in den 39 Glaubens- 
artikeln, welche 1571 durch Parlamentsakte zum 
Gesetz und Bestandteil der englischen Konstitution 
erhoben wurden. Ferner dient das Bock of 
Common Prayer, burch welches das ganze kirch- 
liche und häusliche Leben geregelt wird, als Be- 
kenntnisschrift. Die anglikanische Kirche hat drei 
Stufen des geistlichen Stands: Diakonat, Pres- 
byterat und Episkopat. Letzterer verleiht den cha- 
racter indelebilis und überträgt die klerikalen 
Qualitäten, ist aber doch kein sacramentum or- 
dinis. Der Erzbischof von Canterbury ist Primas 
und Metropolit. Das Recht der anglikanischen 
Kirche, dessen Grundlage das kanonische ist, ist 
durch Parlamentsakte sehr eingeschränkt worden.
	        
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