Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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rend des dadurch bewirlten permanenten Kriegs- 
zustands der Gemeinde bekam das Reinigungs- 
almosen immer mehr den Charakter einer für die 
Zwecke des Dschihäds zu verwendenden Staats- 
steuer. An den Rachekampf gegen Mekka setzte sich 
nach Besiegung der Koraischiten der Krieg gegen 
das gesamte Arabien, um die Heiden zur An- 
nahme der Religionsform des Islams, die Mono- 
theisten und Feueranbeter zur Unterwerfung unter 
das islamische Staatswesen und Zahlung von 
Kopfsteuer zu zwingen. Als dieses Kriegsprogramm 
der Verwirklichung nahe war, aber die staatsrecht- 
liche Formulierung der Pflichten der neuen Unter- 
tanen zumal bezüglich der Abgaben noch schwankte, 
starb der Gründer des Islams im Juni des 
Jahrs 632. 
Sein Tod stellte für einen Augenblick den Fort- 
bestand seines Lebenswerks in Frage; denn die 
Theokratie, die er errichtet, verlangte nach einem 
von Gott eigens begnadeten Leiter, den zu desig- 
nieren außer der menschlichen Macht lag. So 
griffen die Genossen in schnellem Entschluß zu 
dem Auskunftsmittel, die Leitung des Islams 
einem Kalifen oder Nachfolger des Propheten 
anzuvertrauen, dessen Wahl die Gemeinde durch 
einen Huldigungsakt sanktionierte. Wirtschaft- 
liche Krisen innerhalb Arabiens erleichterten den 
Übergang. Indem die ersten Kalifen die da- 
durch geweckte Wander= und Beutelust der arabi- 
schen Stämme für eine großzügige Eroberungs- 
politik ausnutzten, trat die geistliche Leitung des 
Islams gegenüber der staatlichen sehr in den 
Hintergrund, und der Kalif wurde bald in die 
Stellung eines „Beherrschers der Gläubigen“ ge- 
drängt. Eine Reglung des Staatshaushalts be- 
sorgte Omar I. (634/644) in der Weise, daß er 
den Begriff der persönlichen Beute abschaffte, alle 
Tribute und sonstigen Einnahmen einer Zentral- 
rechnungskammer (Diwan) in der Hauptstadt zu- 
wies mit der Verpflichtung, sämtlichen Moslems 
als Funktionären des Staats einen Jahressold zu 
zahlen; außerdem nahm er die erbeuteten byzan- 
tinischen und persischen Staatsdomänen und alle 
Odländer für den Fiskus in Beschlag. Zu einer 
Zentralisation der öffentlichen Gewalt kam es 
aber dabei so wenig, daß die Statthalter der er- 
oberten außerarabischen Länder ihr Amt, das auch 
die religiöse Oberleitung ihrer Untergebenen um- 
faßte, fast ohne jede Kontrolle verwalteten. Die 
Unzufriedenheit mit Omars steuerpolitischen Maß- 
nahmen zog 656 die Ermordung seines Nachfol- 
gers Othman nach sich; diese wiederum trug das 
Schisma in die Gemeinde, indem ein Teil die 
Kalifenwürde dem Schwiegersohn des Propheten, 
Ali, ein anderer sie dem Statthalter von Syrien, 
Moawija, zusprach. Dem darauf folgenden Bürger- 
krieg machte die Ermordung Alis (661) ein Ende; 
der größere Teil der Gemeinde fand sich bald mit 
dem Kalifat des Moawija (661/680) ab, so sehr 
dieser auch von der Norm der Vorgänger abwich. 
Denn nunmehr hörte die religiöse Führung der 
Religionsgesellschaften. 
  
(Der Islam.) 538 
Gemeinde seitens der Regierenden fast ganz auf, 
und das Prinzip der Erblichkeit der Regierung 
ließ das Kalifat der Omajjaden als eine Königs- 
herrschaft erscheinen, der jedoch ein parlamentari- 
scher Hintergrund nicht ganz fehlte. Die Verlegung 
der Residenz von Medina nach Damaskus be- 
deutete so wenig eine Verleugnung des Araber- 
tums, daß vielmehr gerade die Omajjadenzeit die 
Periode des absoluten Vorherrschens des arabischen 
Volkselements im Islam wurde. Wie kein Nicht- 
araber zum Kriegsdienst und Genuß der Staats- 
einkünfte zugelassen wurde, so sollte auch die 
islamische Religion Monopol des arabischen Teils 
der Bevölkerung sein; erst unter den späteren 
Omaijaden wurden Übertritte zum Islam beson- 
ders von seiten der Perser häufiger und durften 
Mawaäli, d. i. Untertanen, zusammen mit den 
Moslems im Heer kämpfen. Um die Staats- 
einkünfte ergiebiger und geregelter zu machen, 
wurde unter Abdu #'l-Melik (685/705) die Steuer- 
freiheit der an Araber übergegangenen Ländereien 
aufgehoben und das Abwandern vom Land in die 
Städte untersagt. In der Folgezeit unterschied 
die Steuerpraxis dann noch zwischen der auf 
der Person ruhenden Steuer der Nichtmoslems 
(Dschisja) und der von jedem Grundbesitz zu er- 
hebenden Abgabe. 
Der Omajjadendynastie wurde es zum Ver- 
hängnis, daß sie sich einzig auf das mehr und 
mehr zur Minorität werdende und geistig wenig 
fruchtbare Araberelement stützte. Das führte zur 
Rebellion des wirtschaftlich und kulturell höher 
stehenden iranischen Ostens, die damit endete, daß 
auf den Trümmern des Omajjadenreichs in dem 
Abbassidenkalifate (749/1258) eine islamisch ge- 
färbte Erneuerung des Chosroenreichs erstand. 
Die regierende Dynastie pochte zwar auf ihre rein- 
arabische Abkunft; doch das Regiment handhabte 
sie im Geist eines altasiatischen weltlich-kirchlichen 
Absolutismus. Alles drehte sich um die Person 
des Herrschers und seinen Hof; das Heer, aus 
persischen und türkischen Söldnern gebildet, hatte 
nur noch das Gebäude der Kalifenmacht zu 
stützen. Neben dem weltlichen Schwert führte der 
Kalif ein geistliches, das der Verbreitung der 
islamischen Religion nach außen und ihrer Rein- 
erhaltung gegenüber Ketzern und Irrlehrern diente. 
Jetzt erst kam es unter dem Einfluß der höfischen 
Zäsaropapie zur Ausbildung der islamischen 
Lebens= und Bildungsideale, als deren Wurzeln 
Koran, Tradition, Consensus omnmium bzw. der 
Gebildeten und Erleuchteten (Idschma) und Schluß 
aus Analogie (Oijäs) bezeichnet wurden. Ihre 
Anwendung auf das Recht ließ das kanonische Recht 
(Scheria) des Islams entstehen bzw. die in Klei- 
nigkeiten voneinander abweichenden, mit der Zeit 
aber als gleichwertig angesehenen Rechtsriten der 
Mälikiten, Hanafiten, Schäfiiten und Hanbaliten. 
Auf die dogmatische Theologie angewendet, er- 
möglichten sie die Aufstellung verschiedener, teils 
philosophisch freier, teils an den Buchstaben der
	        
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