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rend des dadurch bewirlten permanenten Kriegs-
zustands der Gemeinde bekam das Reinigungs-
almosen immer mehr den Charakter einer für die
Zwecke des Dschihäds zu verwendenden Staats-
steuer. An den Rachekampf gegen Mekka setzte sich
nach Besiegung der Koraischiten der Krieg gegen
das gesamte Arabien, um die Heiden zur An-
nahme der Religionsform des Islams, die Mono-
theisten und Feueranbeter zur Unterwerfung unter
das islamische Staatswesen und Zahlung von
Kopfsteuer zu zwingen. Als dieses Kriegsprogramm
der Verwirklichung nahe war, aber die staatsrecht-
liche Formulierung der Pflichten der neuen Unter-
tanen zumal bezüglich der Abgaben noch schwankte,
starb der Gründer des Islams im Juni des
Jahrs 632.
Sein Tod stellte für einen Augenblick den Fort-
bestand seines Lebenswerks in Frage; denn die
Theokratie, die er errichtet, verlangte nach einem
von Gott eigens begnadeten Leiter, den zu desig-
nieren außer der menschlichen Macht lag. So
griffen die Genossen in schnellem Entschluß zu
dem Auskunftsmittel, die Leitung des Islams
einem Kalifen oder Nachfolger des Propheten
anzuvertrauen, dessen Wahl die Gemeinde durch
einen Huldigungsakt sanktionierte. Wirtschaft-
liche Krisen innerhalb Arabiens erleichterten den
Übergang. Indem die ersten Kalifen die da-
durch geweckte Wander= und Beutelust der arabi-
schen Stämme für eine großzügige Eroberungs-
politik ausnutzten, trat die geistliche Leitung des
Islams gegenüber der staatlichen sehr in den
Hintergrund, und der Kalif wurde bald in die
Stellung eines „Beherrschers der Gläubigen“ ge-
drängt. Eine Reglung des Staatshaushalts be-
sorgte Omar I. (634/644) in der Weise, daß er
den Begriff der persönlichen Beute abschaffte, alle
Tribute und sonstigen Einnahmen einer Zentral-
rechnungskammer (Diwan) in der Hauptstadt zu-
wies mit der Verpflichtung, sämtlichen Moslems
als Funktionären des Staats einen Jahressold zu
zahlen; außerdem nahm er die erbeuteten byzan-
tinischen und persischen Staatsdomänen und alle
Odländer für den Fiskus in Beschlag. Zu einer
Zentralisation der öffentlichen Gewalt kam es
aber dabei so wenig, daß die Statthalter der er-
oberten außerarabischen Länder ihr Amt, das auch
die religiöse Oberleitung ihrer Untergebenen um-
faßte, fast ohne jede Kontrolle verwalteten. Die
Unzufriedenheit mit Omars steuerpolitischen Maß-
nahmen zog 656 die Ermordung seines Nachfol-
gers Othman nach sich; diese wiederum trug das
Schisma in die Gemeinde, indem ein Teil die
Kalifenwürde dem Schwiegersohn des Propheten,
Ali, ein anderer sie dem Statthalter von Syrien,
Moawija, zusprach. Dem darauf folgenden Bürger-
krieg machte die Ermordung Alis (661) ein Ende;
der größere Teil der Gemeinde fand sich bald mit
dem Kalifat des Moawija (661/680) ab, so sehr
dieser auch von der Norm der Vorgänger abwich.
Denn nunmehr hörte die religiöse Führung der
Religionsgesellschaften.
(Der Islam.) 538
Gemeinde seitens der Regierenden fast ganz auf,
und das Prinzip der Erblichkeit der Regierung
ließ das Kalifat der Omajjaden als eine Königs-
herrschaft erscheinen, der jedoch ein parlamentari-
scher Hintergrund nicht ganz fehlte. Die Verlegung
der Residenz von Medina nach Damaskus be-
deutete so wenig eine Verleugnung des Araber-
tums, daß vielmehr gerade die Omajjadenzeit die
Periode des absoluten Vorherrschens des arabischen
Volkselements im Islam wurde. Wie kein Nicht-
araber zum Kriegsdienst und Genuß der Staats-
einkünfte zugelassen wurde, so sollte auch die
islamische Religion Monopol des arabischen Teils
der Bevölkerung sein; erst unter den späteren
Omaijaden wurden Übertritte zum Islam beson-
ders von seiten der Perser häufiger und durften
Mawaäli, d. i. Untertanen, zusammen mit den
Moslems im Heer kämpfen. Um die Staats-
einkünfte ergiebiger und geregelter zu machen,
wurde unter Abdu #'l-Melik (685/705) die Steuer-
freiheit der an Araber übergegangenen Ländereien
aufgehoben und das Abwandern vom Land in die
Städte untersagt. In der Folgezeit unterschied
die Steuerpraxis dann noch zwischen der auf
der Person ruhenden Steuer der Nichtmoslems
(Dschisja) und der von jedem Grundbesitz zu er-
hebenden Abgabe.
Der Omajjadendynastie wurde es zum Ver-
hängnis, daß sie sich einzig auf das mehr und
mehr zur Minorität werdende und geistig wenig
fruchtbare Araberelement stützte. Das führte zur
Rebellion des wirtschaftlich und kulturell höher
stehenden iranischen Ostens, die damit endete, daß
auf den Trümmern des Omajjadenreichs in dem
Abbassidenkalifate (749/1258) eine islamisch ge-
färbte Erneuerung des Chosroenreichs erstand.
Die regierende Dynastie pochte zwar auf ihre rein-
arabische Abkunft; doch das Regiment handhabte
sie im Geist eines altasiatischen weltlich-kirchlichen
Absolutismus. Alles drehte sich um die Person
des Herrschers und seinen Hof; das Heer, aus
persischen und türkischen Söldnern gebildet, hatte
nur noch das Gebäude der Kalifenmacht zu
stützen. Neben dem weltlichen Schwert führte der
Kalif ein geistliches, das der Verbreitung der
islamischen Religion nach außen und ihrer Rein-
erhaltung gegenüber Ketzern und Irrlehrern diente.
Jetzt erst kam es unter dem Einfluß der höfischen
Zäsaropapie zur Ausbildung der islamischen
Lebens= und Bildungsideale, als deren Wurzeln
Koran, Tradition, Consensus omnmium bzw. der
Gebildeten und Erleuchteten (Idschma) und Schluß
aus Analogie (Oijäs) bezeichnet wurden. Ihre
Anwendung auf das Recht ließ das kanonische Recht
(Scheria) des Islams entstehen bzw. die in Klei-
nigkeiten voneinander abweichenden, mit der Zeit
aber als gleichwertig angesehenen Rechtsriten der
Mälikiten, Hanafiten, Schäfiiten und Hanbaliten.
Auf die dogmatische Theologie angewendet, er-
möglichten sie die Aufstellung verschiedener, teils
philosophisch freier, teils an den Buchstaben der