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Mag man sich nun zu der Patrimonialtheorie
als solcher stellen, wie man will, zu leugnen ist
nicht, daß die ihr zugrunde liegenden Ideen im
deutschen Staats= und Verfassungsleben jahr-
hundertelang in praktischer Ubung waren. Der
Lehns= wie der absolutistische Dynastenstaat waren
echte Repräsentanten des patrimonialen Prinzips.
Daß der Patrimonialstaat den Anforderungen
entfernt nicht entsprach, die berechtigterweise an
ein Staatswesen gestellt werden können und
müssen, bedarf keiner näheren Erörterung; dafür
waren seiner Schwächen zu viele. Dahin gehört
vor allem, daß er sich der eigentlichen Kulturauf-
gaben nicht oder zu wenig annahm, diese vielmehr
andern Verbänden überließ, so z. B. den In-
nungen, den Markgenossenschaften, der Kirche,
bzw. durch Auferlegung besonderer Lasten zustande
zu bringen suchte. Das hing in der Hauptsache
mit der mangelhaften Ausbildung des Finanz-
wesens zusammen. Eine Staatswirtschaft gab es
überhaupt nicht, wie ihm auch ein eigentliches
Staatsgut unbekannt war; der Fiskus im heu-
tigen Sinn war Vermögen des Landesherrn.
Alle Einkünfte waren Patrimonium des letzteren.
Dafür trugen denn auch die Ausgaben über-
wiegend privaten Charakter, auch soweit sie zu
allgemeinen nützlichen Staatszwecken geleistet wur-
den. Aber wenngleich ihm starke Unvollkommen=
heiten anhafteten, ist es darum gerechtfertigt, zu
sagen, daß man sich „mit Abscheu“ von ihm ab-
wenden müsse? Ist denn unsere moderne Staats-
ordnung so vollkommen oder nicht ebenfalls stän-
diger Fortentwicklung bedürftig? Selbst die hef-
tigsten Gegner des Patrimonialstaates müssen
eingestehen, daß er einer gegen früher fort-
geschrittenen Kulturentwicklung entsprach und
wenigstens der Rechtspflege ausgezeichnete Auf-
merksamkeit zugewendet hat. Er ist aber auch mehr
als der bloße geschichtliche Vorgänger unseres
konstitutionellen Staatswesens; ist doch das patri-
moniale Prinzip auf die Bildung und Ausgestal-
tung des letzteren von unverkennbarem Einfluß
gewesen und in manchen konstitutionellen Vor-
stellungen und Lehren auch heute noch wirksam,
wie dies die Erörterungen in dem Art. Konstitu-
tionalismus unter II, 2 deutlich erweisen.
Literatur. Außer den bereits zu dem Art.
„Konstitutionalismus“ namhaft gemachten Werken
von Bluntschli, Gierke, Gumplowitz, Jellinek,
Mohl, Rehm u. Schmidt, sei hier noch besonders
auf Maurenbrecher, Die deutschen regierenden
Fürsten u. die Souveränität (1839), K. S. Za-
chariä, Geist der deutschen Territorial-Verfassung
(1800); Epplen, über das Prinzip der deutschen
Territoriol-Verfassung (1803; Widerlegung der
Zachariäschen Schrift), u. Preuß, Gemeinde, Staat,
Reich als Gebietskörperschaften (1889) hingewiesen.
Wellstein.)
Patronage. 1. Begriff. Das Wort
Patronage wird in einem vieldeutigen Sinn ge-
braucht. Ursprünglich bedeutet es eine Art Für-
sorgeverhältnis des Arbeitgebers gegenüber seinen
Patronage.
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Arbeitern. Es ist eine Umbildung des ehemaligen
Patriarchalverhältnisses zwischen Meister und Ge-
sellen und eine modifizierte Ubertragung des dem-
selben zugrunde liegenden Gedankens vom Hand-
werk auf das industrielle Arbeitsverhältnis. Diesem
Grundgedanken entsprechend ist mit der kontrakt-
lich festgestellten Leistung der Arbeit und der Zah-
lung von Lohn das sittliche Verhältnis zwischen
den beiden Kontrahenten keineswegs erschöpft, viel-
mehr obliegen darüber hinaus dem Arbeitgeber
gewisse Pflichten der Fürsorge für diejenigen, die
in seinen Diensten stehen. Die mannigfachen
Arten, auf denen sich der Arbeitgeber um das
Wohl seiner Arbeiter und ihrer Angehörigen an-
nimmt, gehören zur Patronage in diesem Sinn;
insbesondere fallen darunter die verschiedenen
Wohlfahrtseinrichtungen, mittels deren
die Humanität oder Nächstenliebe mancher Arbeit-
geber den verschiedenartigsten Bedürfnissen ihrer
Leute entgegenkommt.
In solchem Sinn spricht z. B. Périn (Über
den Reichtum in der christlichen Gesellschaft 1,
376 ff) von dem „Patronatder höheren
Klassen“, insbesondere dem „Patronat der
Arbeitsherren“, welches den Arbeiterasso-
ziationen als Ergänzung dienen soll. Es ist das
aus christlicher Liebe fließende Wohlwollen
des Unternehmers gegenüber den Arbeitern. Périn
versteht unter dem Patronat die dauernde Hilfe,
welche die an Reichtum und Intelligenz über-
legenen Klassen den unteren Schichten in ideeller
und materieller Beziehung angedeihen lassen
(a. a. O. 385). In diesem Sinn wird es als
eine unerläßliche Notwendigkeit im sozialen Leben
hingestellt (S. 387 ff). Als ein sittliches Ver-
hältnis muß das Patronat vor allem ein perfön-
liches sein und unmittelbar Arbeitgeber und Ar-
beiter miteinander verknüpfen. In diesem Sinn
sagt H. Pesch (Lohnvertrag und gerechter Lohn, in
„Stimmen aus Maria-Laach“ LII11897]142):
„Die französische und belgische Sozialpolitik be-
dient sich zur Bezeichnung dieser über die Tore
der Fabrik hinausreichenden Fürsorge des Aus-
drucks „Patronage#. In Ausübung derselben
wird der Patron den Arbeitern helfen, billige und
gesunde Wohnung und Nahrung zu finden; er
wird den Sparsinn der Arbeiter fördern durch
Organisation und Unterstützung mannigfacher
Kassen, die Möglichkeit einer guten Kinderer-
ziehung erweitern, in Not und Gefahr seinen
Arbeitern die helfende Hand reichen.“
In einem etwas andern Sinn ist Patronage
die Schutzfürsorge, welche die christliche
Charitas denjenigen angedeihen läßt, welche in
Gefahr sind, in materielles oder sittliches Elend
zu versinken, insbesondere die Schutzfürsorge für
Waisen, verlassene Kinder usw. So verstanden
gehört die Patronage zur Armenpflege, und
zwar zur organisierten freien christlichen Liebes-
tätigkeit. Ratzinger (Volkswirtschaft? 486)
sagt von der Antwerpener Armenpflege: „Patro-