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biet zur Anerkennung gebrachte Superiorität der
Brahmanenkaste als Hüterin und Pflegerin der
in den Rechtsbüchern überlieferten Sitten und
Gebräuche in hohem Grad auf die weitere Ent-
wicklung der sozialen Zustände eingewirkt hätte.
Sie war im wesentlichen die Ursache, daß sich die
verschiedenen, durch Berufsgemeinschaft gebildeten
korporativen Gruppen der indischen Gesellschaft
in ihrer Organisation dem starren Modell der
Brahmanenkaste näherten und so zu dem wurden,
wozu sie die Theorie der Brahmanen schon vorher
gemacht hatte, zur Kaste. Obschon daher das
Problem der modernen Kaste als solches ein
soziales Problem ist, so ist es doch durch den
tiefgehenden Einfluß der brahmanischen Über-
lieferungen ein religiöses geworden. Die Kaste
wurde nicht bloß das Wahrzeichen des Hinduis-
mus, sondern auch dessen unerschütterliche Grund-
feste durch die gleichzeitige Entwicklung der Sekten.
Die enge Verbindung beider erhob die Kaste zu
einem religiösen Faktor ersten Rangs. Indem die
religiösen Sekten sich vermehrten, gab eine jede
der neuentstandenen Sekten auch einer Anzahl
neuer Kasten das Leben. Auf diese Weise haben
sich die großen Kastengemeinschaften nach und nach
in Tausende von Einzelkasten zerbröckelt, die keine
Heirat untereinander zulassen, und weder zusammen
essen noch voneinander etwas annehmen dürfen, so
daß jede gegenseitige Unterstützung ausgeschlossen.
Erst die Sekte hat die Kaste zu dem Fluch In-
diens gemacht, der bis zur Stunde auf mehr als
200 Millionen lastet.
4. Die moderne Sekte. Der Ursprung
des Sektenwesens reicht in die ältere Epoche des
Hinduismus zurück. Viele Sekten scheinen aus
Widerspruch gegen die streng brahmanischen Über-
lieferungen als volkstümliche Kulte entstanden zu
sein, deren Lehrer und Bekenner aus allen Klassen
der Bevölkerung sich zusammenfanden. Die allen
Sekten gemeinsame charakteristische Eigenschaft ist
die Verehrung einer bestimmten Gottheit, deren
Kult über dem aller andern Gottheiten erhoben
wird. Die Verehrer der besondern Gottheiten ver-
einigten sich zu neuen, abgeschlossenen Gemein-
schaften. Aber unbeschadet dieser Selbständigkeit
als religiöse Körperschaft und der Verschieden-
heiten im Ritus hat sich bis zur Stunde die Ein-
heit des Ganzen als eine einzige, von den uralten
Uüberlieferungen der brahmanischen Kaste durch-
drungene Klasse erhalten. Die Gottheiten, welche
den Gegenstand des besondern Kultus bilden,
lassen sich fast ausschließlich mit den beiden Haupt-
gottheiten Schiwa und Wischnu identifizieren, so
daß die Masse der Sekten in zwei Hauptgruppen,
eine schiwaitische und eine wischnuitische zerfällt.
In der Theorie stehen sich die beiden Gruppen
schroff, ja zum Teil feindlich gegenüber; aber in
der Proxis wird dieser Gegensatz durch den Ek-
lektizismus, der dem Verehrer der einen Gottheit
den Kult der andern Gottheit gestattet, innerhalb
des Volkes selbst so sehr abgeschwächt, daß er sich
Religionsgesellschaften. (Ostasiatische Religionsgesellschaften.)
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tatsächlich auf die berufenen Hüter der besondern
Kulte beschränkt, zwischen denen allerdings die
streitsüchtige Eifersucht nicht selten Ausbrüche einer
heftigen, ja blutigen Fehde hervorruft. Den
Mittelpunkt der einzelnen Sekten bilden ihre Tem-
pel und die mit diesen verbundenen klösterlichen
Gemeinschaften, Maths genannt, deren Insassen
unter einem frei gewählten Oberhaupt von den
Erträgnissen der zugehörigen Ländereien und der
nie versagenden Freigebigkeik der Gläubigen leben.
Einzelne Sekten beziehen für den Unterhalt der
Tempel und Klöster ganz außerordentliche Ein-
künfte aus den Ländereien. In den meisten Fällen
kennzeichnet sich der religiöse Glaube dieser Sekten
als eine Mischung von schwärmerischem Mystizis-
mus, grobem Aberglauben und ausschweifendem
Götzendienst. Viele Sekten bilden eine Art ge-
heimer Gesellschaft, deren Bücher und Bräuche
nur den Eingeweihten offen stehen. Der sektarische
Einfluß ist in sittlicher Beziehung nicht weniger
als in gesellschaftlicher zum Teil sehr ungünstig,
nicht selten tief unmoralisch, namentlich durch die
Geheimlehren und geheimen Bräuche, die bald
einem blutigen Fanatismus bald einer grob aus-
schweifenden Sinnlichkeit dienen. Vor allem sind
den schiwaitischen Sekten Orgien der wildesten
Ausschweifung und blutigsten Selbstpeinigung
eigen. Welchen Einfluß diese unreinen, jedem
Schamgefühl spottenden Überlieferungen im Lauf
der Zeit auf das Sittlichkeitsgefühl der breiten
Massen ausüben mußten, läßt sich leicht erraten.
Einzelne reformatorische Sekten, wie die Kabir
und Sikh, übten einen wohltätigen Einfluß. Ge-
meinsam mit ihnen bewahren die besseren Über-
lieferungen, die sich aus dem altbrahmanischen
Glauben in den modernen Hinduismus noch hin-
übergerettet, die Religion und Sittlichkeit der
großen Masse vor einem vollständigen Zerfall.
Zäh hält der Hinduismus an den durch Jahr-
tausende gefestigten Uberlieferungen fest. Zweimal
wurde ihm seine Herrschaft streitig gemacht, durch
den Buddhismus und durch den Mohammedanis-
mus. Der Buddhismus schwand aus Indien.
Die Zwingherrschaft des Hinduismus blieb. Und
allen Eroberungen des Islams zum Trotz hält er
vier Fünftel der Riesenbevölkerung im Bann seiner
tiefeingewurzelten religiösen Widerstandskraft ge-
fangen. Über alle Gegensätze dieser Tausende von
Sekten und Kasten hat zwar der starke Arm und
die politische Klugheit des englischen Eroberers
gesiegt und die aus so ungleichartigen Elementen
zusammengesetzte Volksmasse mit seinem politischen
Einfluß bis in die letzten Winkel durchdrungen.
Moderne Zivilisation findet auf allen Wegen Ein-
gang ins Volksleben. Wissenschaft und Industrie,
Polizei und Sanitätswesen, alle Eroberungen und
Anforderungen des modernen Lebens haben den
Kampf mit der alten Überlieferung der Kasten
und Sekten aufgenommen. Aber dieses Aufgebot
der besten Kräfte hat die alten Götter nicht zu
stürzen vermocht. Europäische Zivilisation kann