Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Um seine Existenz zu sichern, machte er dem Denken 
und Empfinden der großen Menge gewisse Zu- 
geständnisse, aus denen der alchimistische Hokus- 
pokus einer okkulten Wissenschaft, der sog. Vulgär- 
taoismus, hervorgegangen ist, dessen Ziel erstens 
die Verlängerung der Lebensdauer, zweitens die 
Herstellung von Gold ist. Die Literatur des tao- 
istischen Okkultismus füllt mit ihren wüsten Phan- 
tasmagorien zahllose Bände. Hüter der Okkult-- 
wissenschaft sind eine Klasse von Bonzen, die in 
größeren oder kleineren Gruppen zusammenleben. 
Ihre Wirkungssphäre ist besonders der Exorzis- 
mus der Geister. Daneben beschäftigen sich Ein- 
siedler in strenger Weltabgeschiedenheit mit der 
uIschwarzen Kunst“, der Bereitung von Gold. 
Während so die tiefsinnige Lehre des Laotse in 
einen ausschweisenden Okkultismus ausartete, 
fand von außen her der Buddhismus Ein- 
gang in China. Mit dem Buddhismus gelang es 
zum erstenmal einem fremden Element, in den 
nach außenhin streng abgeschlossenen und allem 
Fremden grundsätzlich abgeneigten konfuzianischen 
Ideenkreis einzudringen, sich in ihm einzubürgern 
und bis zu einem gewissen Grad mit ihm zu ver- 
schmelzen. Obschon die Lehren des Buddhismus 
der konfuzianischen Staatsreligion schnurstracks 
zuwiderlaufen, so gelang es ihnen doch, die an- 
scheinend unversöhnlichen Gegensätze zu über- 
brücken. Es ist das ein Beweis für die erstaunliche 
Anpassungsfähigkeit dieser eminent propagandisti- 
schen Lehre, die vor keinem logischen Salto mor- 
tale zurückschreckt, wo es gilt, Hindernisse, die 
ihrer Verbreitung im Wege stehen, zu beseitigen. 
In China fand der Buddhismus obendrein in der 
Beschaffenheit der religiösen Anschauungen, na- 
mentlich in der Ahnenverehrung, Verhältnisse vor, 
die seiner Propaganda nur Vorschub leisten konn- 
ten. Auf diese Weise gewann der Buddhismus 
immer mehr an Ausdehnung und Einfluß. Sein 
Einfluß beschränkte sich keineswegs auf das reli- 
giöse Gebiet allein; er kam auch der bildenden 
Kunst und der Literatur zugute. So kommt es, 
daß heute der Buddhismus einen maßgebenden 
Faktor im chinesischen Kultur= und Volksleben 
bildet, der nicht gering veranschlagt werden darf. 
Nicht etwa, daß er als Religionsgesellschaft eine 
herrschende Stellung im Land erobert hätte. 
Denn Buddhisten im strengen und statistischen 
Sinn sind wohl immerhin nur die verhältnismäßig 
wenigen, welche die Gelübde eines buddhistischen 
Mönchs ablegen. Wohl aber hat er einen weit- 
gehenden praktischen Einfluß auf das tägliche 
Leben erlangt. Der Chinese ist durchschnittlich 
mindestens ebenso abergläubisch, wie er skeptisch 
ist. Dieser Hang zum Wunderbaren, der als eine 
Folge mangelhafter Naturerkenntnis sehr erklär- 
lich ist, hat nicht zum geringsten Teil dazu bei- 
getragen, dem Buddhismus die Wege zu ebnen. 
Selbst der bildungsstolze Konfuzianer der höheren 
Klassen, der für gewöhnlich mit verächtlichem Nase- 
rümpfen über den törichten Aberglauben der 
Religionsgesellschaften. (Ostasiatische Religionsgesellschaften.) 
  
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Buddhisten hinwegzusehen pflegt, wird es gewiß 
nur in den allerseltensten Fällen verschmähen, sich 
bei Trauerzeremonien der Mitwirkung buddhisti- 
scher Priester zu vergewissern. Man kann ruhig 
sagen, daß ganz China Buddha huldigt. Buddhi- 
stische Klöster, große und kleine, sind über ganz 
China zerstreut. Alle diese Pagoden, ob in Städten 
oder Dörfern oder als Wallfahrtsorte bestehend, 
werden eifrig besucht. Wenn daher „buddhistisch 
sein“ nichts anderes bedeutet, als ab und zu einen 
buddhistischen Tempel besuchen, dann kann man 
einräumen, daß alle Chinesen, von den Christen 
und Mohammedanern abgesehen, Buddhisten sind. 
Diesen Einfluß erkämpfte sich der Buddhismus 
unter dem steten Anfeinden des Konfuzianismus. 
Ihren tiefsten Grund haben seit 1000 Jahren 
die Verfolgungen, denen Buddhismus und Taois- 
mus unterworfen waren, in der konfuzianischen 
Intoleranz. 
4. Die religiöse Intoleranz der kon- 
fuzianischen Staatspolitik leitet sich her 
aus Gründen der rein praktischen Staatsraison. 
Denn im Mittelpunkt der konfuzianischen Staats- 
und Gesellschaftslehre steht die Pietät. Als Aus- 
druck des sittlichen Verhaltens der Kinder zu 
den Eltern aufgefaßt, schließt sie Ehrerbietung 
und unbedingten Gehorsam in sich. Sie ist die 
tief im Volksbewußtsein haftende Kardinaltugend, 
die bis auf den heutigen Tag die sittliche Grund- 
lage des chinesischen Lebens in Familie und Staat 
geblieben ist. Von der Familie auf den Staat 
übertragen, entspricht der Unterwerfung unter den 
väterlichen Willen der Gehorsam gegen die Obrig- 
keit. Der Konfuzianismus mit seiner ganz dem 
Staat und der Gesellschaft dienenden Lehre von 
der Unterwerfung unter die Autorität galt daher 
als der Träger des konservativen Prinzips im 
Staat. Er wurde die verläßlichste Stütze der Be- 
amtenhierarchie und ist es geblieben. Aus der An- 
erkennung und Förderung, die der Staat seiner- 
seits der Lehre des Konfuzius zu teil werden ließ, 
ergab sich von selbst die Intoleranz der chinesischen 
Staatspolitik gegenüber allem, was nicht auf Kon- 
fuzius gegründet ist. Dieselbe hat sich bis zu einem 
Grad entwickelt, daß legislatorisch der kon- 
fuzianische Staat der intoleranteste Staat der 
Erde geworden ist. Seit der ältesten Zeit wurde 
eine scharfe Unterscheidung zwischen überlieferter 
und nicht überlieferter Lehre gemacht. Als über- 
liefert wurde nur das anerkannt, was in dem Ka- 
non der von Konfuzius gesammelten Bücher ent- 
halten ist. Alles, was außerhalb ihres Bereichs 
liegt, ist entweder so unbedeutend, daß es der Be- 
achtung des Staatsmanns und Gelehrten nicht 
wert ist, oder es atmet einen andern Geist, und 
dann ist es eine Gefahr für Staat und Gesell- 
schaft. Schon Konfuzius hatte alles als staats- 
gefährlich verurteilt, was von der Uberlieferung 
abwich. Sein Nachfolger Mencius machte es 
schlechthin dem Staat zur Pflicht, alles, was als 
Abfall von der alten Überlieferung angesehen 
 
	        
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