Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

567 Religionsgesellschaften. 
wurde, mit Stumpf und Stiel auszurotten. An 
diesem religiösen Grundgesetz hat der chinesische 
Staat durch alle Jahrhunderte festgehalten, seit- 
dem er sich mit der konfuzianischen Staatslehre 
identifiziert. Seine Beamtenhierarchie hat er mit 
einer an Fanatismus grenzenden Opposition gegen 
alles erfüllt, was nicht den Stempel der konfuzia- 
nischen Überlieferung trägt. Daher fehlte es dem 
Buddhismus von Anfang an nicht an mächtiger 
Gegnerschaft in der konfuzianischen Beamten- 
hierarchie bis hinauf zum Kaiser. Zeitweilig wurde 
seine Existenz als „fremde“ Religion sogar in 
Frage gestellt. Besonders wird ihm vom Kon- 
fuzianismus zum Vorwurf gemacht, daß er durch 
sein Gebot der Ehelosigkeit die geheiligten Bande 
des Familienlebens zerreiße und dadurch die 
Grundlage des Staatswesens erschüttere. Über- 
dies entzog die stetig wachsende Ausbreitung seines 
Bonzentums einen großen Teil der Bevölkerung 
der produktiven Arbeit. Dadurch nahm er erst 
recht einen entschieden staatsfeindlichen Charakter 
in den Augen des Konfuzianismus an, dessen 
Gegnerschaft sich nicht auf literarische Polemik be- 
schränkte, sondern mehr als einmal zu tatsächlichen 
Verfolgungen großen Stils überging. Im 
8. Jahrh. wurden z. B. 12000 Mönche aus ihren 
Klöstern vertrieben; später wurden die Klöster sä- 
kularisiert und ihre Vermögen und Liegenschaften 
von Staats wegen eingezogen. Obschon zwar im 
allgemeinen eine gewisse Milde von seiten der Re- 
gierungsgewalt gezeigt wird, so bestehen doch bis 
zur Stunde rechtskräftig die Religionsedikte der 
konfuzianischen Intoleranzpolitik. Sie ermächtigen 
das Beamtentum kraft der vom Kaiser übertrage- 
nen Gewalt, alles, was nicht „klassisch“ ist, zu 
verfolgen und auszurotten. Denn es ist und bleibt 
der erste Artikel von Chinas Politischem Glaubens- 
bekenntnis, daß der im Kaiser verkörperte „höchste 
Herr des Himmels“ Herr und Meister über alle 
Götter und Kulte ist. Ihren gesetzgeberischen Aus- 
druck findet diese religiöse Staatsomnipotenz in 
den religiösen Intoleranzedikten gegen Buddhis- 
mus und Taoismus seit dem 8. Jahrhundert. Zu 
verschiedenen Zeiten wurden offizielle Zusammen- 
stellungen der Intoleranzedikte veröffentlicht. Die 
älteste Sammlung stammt aus dem 10. Jahrh.; 
eine der bedeutendsten ist jene, die dem unter den 
Ming veröffentlichten Reichsgesetzbuch (1509) ein- 
verleibt wurde. Die wichtigste und heute maß- 
gebende Zusammenstellung findet sich in der großen 
Gesetzsammlung der regierenden Dynastie unter 
dem Titel: „Gegen die Häresie der religiösen 
Führer und Lehrer oder Priester“ und zerfällt in 
drei Hauptabschnitte und eine größere Anzahl er- 
gänzender Verbote. Unter dieser, in ihrer Formu- 
lierung rücksichtslos unterdrückenden Intoleranz 
hatte besonders der Buddhismus als auswärtige 
Religion zuleiden. Auch die gegenwärtige Dynastie 
ist dem Buddhismus prinzipiell nichts weniger als 
günstig gesinnt. In dem vom Kaiser Kanghi ver- 
öffentlichten heiligen Edikt wird zweimal monat- 
(Ostasiatische Religionsgesellschaften.) 
  
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lich unter Vorsitz der lokalen Obrigkeit in öffent- 
licher Versammlung das Volk ausdrücklich vor den 
buddhistischen Irrlehren gewarnt. Trotzdem hat 
keine der verschiedenen Repressivmaßregeln der kon- 
fuzianischen Staatsreligion die stete Ausweisung 
und das Eindringen und Hineinwachsen des 
Buddhismus zu verhindern vermocht. Dem kon- 
fuzianischen Staat blieb zuletzt nichts anderes 
übrig, als einen Frieden mit der stärkeren Macht 
des im Volk wurzelnden buddhistischen Mönch- 
tums zu machen. Dieser Friede kommt zum Aus- 
druck in einer Klostergesetzgebung, welche den Be- 
stand der buddhistischen Klöster einerseits staats- 
rechtlich sicher-, anderseits aber deren Verwaltung 
ganz unter die Überwachung des Staats stellt. 
5. Die konfuzianische Klostergesetz- 
gebung reicht in ihren Anfängen bis in das 
8. Jahrh. zurück. Ihre letzte Formulierung hat 
sie in dem großen Gesetzkodex der gegenwärtigen 
Dynastie erhalten, in dessen achter Abteilung sie 
als III. Kapitel unter dem Titel: „Über die 
Gründung von Klöstern und Ordination der 
buddhistischen und taoistischen Mönche“ eingefügt 
ist. Das Klostergesetz verbietet die Gründung 
neuer Klöster und stellt die bestehenden ganz unter 
die Aussicht des Staats. Zu jeder Ordination 
neuer Bonzen bedarf es einer besondern Genehmi- 
gung. Ohne das Diplom des Mandarin darf 
weder ein Bonze noch eine buddhistische Nonne 
zugelassen werden. Jeder Klostervorsteher muß ein 
genaues Verzeichnis der Klosterinsassen bei der 
Regierung einreichen und von jeder Veränderung 
dem Mandarin Kenntnis geben. Ein Gesamt- 
register aller buddhistischen Bonzen und Nonnen 
wird auf Grund der Provinzial= und Präfektur- 
register im Ministerium der Riten (Kultusmini- 
sterium) geführt. Minutiöse Bestimmungen und 
Vorschriften, die für jedes, auch noch so gering- 
fügige Vorkommnis vorgesehen sind, regeln die 
Überwachung der Individuen. Der Klosterobere 
wird für alle Übertretungen verantwortlich ge- 
macht. Zur Kontrolle der Bonzen sind besondere 
Beamten eingesetzt; sie stellen eine Art geistlichen 
Mandarinats dar. Einen eignen Abschnitt bilden 
die Klostergesetze zur ÜUberwachung der Lama- 
bonzen. Diese Bestimmungen der älteren Gesetzes- 
sammlung sind von der revidierten Staatsausgabe 
von 1818 durch neue Einschränkungen ergänzt 
worden. Diese Klostergesetzgebung bringt nun 
zwar den ganzen Widerwillen der konfuzianischen 
Staatspolitik gegen Buddhismus und Taoismus 
in einem geradezu klassischen Vorbild polizeilicher 
Vexationen zum Ausdruck, läßt aber doch hinwie- 
der so viel Freiheit, daß das buddhistische und 
taoistische Bonzentum nach wie vor seinen Ein- 
fluß von den untersten Volkskreisen bis hinauf 
zum kaiserlichen Palast sehr nachdrücklich und er- 
folgreich geltend machen kann. Kein Konfuzianer 
kann und will den Bonzen entbehren, mag dieser 
Buddhist oder Taoist sein. Das ist das End- 
ergebnis der konfuzianischen Religionspolitik, die.
	        
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