Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

569 Religionsgesellschaften. 
um der altüberlieferten Unduldsamkeit zu ent- 
sprechen und zugleich dem von Konfuzius nicht 
befriedigten religiösen Bedürfnis entgegenzukom- 
men, das doppelte Gesicht der Intoleranz und der st 
Toleranz zeigen muß. Damit bringt sie die ganze 
innere Unwahrhaftigkeit des konfuzianischen We- 
sens zum Ausdruck. 
6. Kultureller Einfluß. Der Konfuzia- 
nismus hat als Staatsreligion einen mächtigen 
Einfluß auf das geistige Leben Chinas ausgeübt 
durch die Stellung, welche Konfuzius den litera- 
rischen Schätzen des Altertums gab. Die in den 
kanonischen und klassischen Büchern übermittelte 
alte Überlieferung wurde überall der Mittelpunkt 
des Unterrichts von der untersten Stufe einer 
Dorsschule bis hinauf zur höchst entwickelten 
kaiserlichen Akademie. Aus den von Konfuzius 
gesammelten oder unter seinem Namen überliefer- 
ten Büchern schöpft der Kandidat der Staats- 
laufbahn das literarische Wissen, das ihn befähigt, 
die großen Staatsprüfungen zu machen. In diesem 
engen Anschluß an Konfuzius wurde die literarische 
Bildung jene einheitliche geschlossene Macht, die 
das gesamte Staats= und Gesellschaftsleben Chi- 
nas fest umklammert hält. Hüter dieser Bildung 
ist das literarische Gelehrtentum. Dieses Gelehrten- 
tum bildet keine Kaste wie die Brahmanen, und 
doch ist der auf seiner geschlossenen Organisation 
gegründete staatliche und gesellschaftliche Einfluß 
stärker als jedes Kastensystem. Das literarische 
Gelehrtentum hält den Geist des Konfuzius bis 
in den letzten Winkel des Reichs wach. Und so 
kommt es, daß nach mehr als 2000 Jahren das 
sittliche und gesellschaftliche Leben noch ganz unter 
der Macht jenes Altertums steht, das einst dem 
Konfuzius vorschwebte, als er die Uberlieferungen 
des Altertums zu sammeln begann, um durch sie 
dem Volk die Richtschnur seines Denkens und 
Handelns zu geben. Aber gerade dadurch wurde 
der Mann, der der Nation die Wege wies und 
den Stempel seines Geistes aufdrückte, zum Fatum 
seines Volks. Mit dem zünftigen Gelehrtentum, 
das bis auf den heutigen Tag die tonangebende 
Macht geblieben ist, ist eine tote Büchergelehrsam- 
keit zur Alleinherrschaft gelangt. Es liegt in der 
Begrenztheit seiner Wesensart begründet, daß Kon- 
fuzius sich ausschließlich innerhalb der tatsächlichen 
nüchternen Verhältnisse des alltäglichen Lebens be- 
wegte. Was darüber hinausging, blieb ihm fremd 
und gleichgültig. Nichtsdestoweniger hätten die 
Mängel, die seiner geistigen Eigenart anhafteten, 
eine gedeihliche Entwicklung seiner Lehren in reli- 
giöser, ethischer und intellektueller Richtung noch 
keineswegs auszuschließen gebraucht. Nun aber 
kam das Verhängnis in der Apotheose seiner 
Person und in der Dogmatisierung seiner Lehre 
durch eine politisch-literarische Zunft des Ge- 
lehrtentums. Diesem zünftigen Gelehrtentum hat 
China es zu verdanken, daß auf seinem Boden, 
von antiquarisch-philologischer Forschung abge- 
sehen, nicht bloß keine Wissenschaft im eigentlichen 
(Ostasiatische Religionsgesellschaften.) 
  
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Sinn zu gedeihen vermochte, sondern daß auch 
die Pflege des ethischen Wissens, dem Konfuzius 
seine ganze Sorge zugewandt hatte, in einen Zu- 
and der Erstarrung überging, aus dem China 
seither nicht erwacht ist. Konfuzius hatte den 
Wissensdrang seines Volkes weniger auf Er- 
kenntnis als auf sittliche Vervollkommnung ge- 
richtet. Aber gerade hier ward seinem Wirken das 
Gegenteil von dem beschieden, was er erstrebt 
hatte. Aus der unheilvollen Verquickung von Sitt- 
lichkeit und Schicklichkeit wuchs je länger je mehr 
ein starrer Ritualismus hervor, der schließlich zur 
Knechtung des sittlichen Bewußtseins führte. Der 
Unterschied zwischen sittlicher Vervollkommnung 
und äußerem Drill ist dem Volksbewußtsein ab- 
handen gekommen. An die Stelle des sittlichen 
Bewußtseins ist das Schicklichkeitsgefühl, an die 
Stelle der Moralität das Vorwalten einer Schab- 
lone getreten. Solang der äußere Schein gewahrt 
wird, fragt niemand nach der innern Gesinnung. 
Die lebendige Moral wird durch einen toten For- 
malismus ersetzt. Daher die durchgängige innere 
Unwahrhaftigkeit, an der das ganze chinesische 
Wesen krankt. Dieser unheilvolle Einfluß, den die 
konfuzianische Staatsreligion ausgeübt, wurde 
nicht gemildert durch den Buddhismus, wohl aber 
noch erheblich gesteigert durch den Taoismus. 
Zwar gab der Buddhismus eine Antwort auf die 
religiösen Fragen, denen Konfuzius geflissentlich 
aus dem Weg ging. Dank seinem reichen mytho- 
logischen Apparat war es ihm ein leichtes, das 
Problem der letzten Dinge durch seine Vergeltungs- 
theorie in einer das naive Bewußtsein befriedigen- 
den Weise zu lösen. Und der Prunk seines äußern 
Kultus kam dem religiösen Bedürfnis durch einen 
sinnlich vorstellbaren Glaubensinhalt entgegen. 
Aber mit dem Schwarm der im Gättertempel 
sichtbar werdenden übernatürlichen Kräfte strömte 
auch eine Flut der abergläubischsten Gebräuche ein, 
deren demoralisierender Einfluß verstärkt wurde 
durch die Verbindung mit dem Taoismus, der je 
länger je mehr zu einem Gemisch des wüstesten 
Aberglaubens herabgesunken war. So herrscht 
auf der einen Seite der im leblos starren Ritualis- 
mus verknöcherte Dogmatismus der konfuziani- 
schen Staatsreligion, auf der andern Seite der 
finstere Aberglaube der geist= und sinnlosesten Ge- 
bräuche des Buddhismus und Taoismus. Das 
sind die beiden Kernübel, welche bis zur Stunde 
die von Haus aus fruchtbaren Keime der chinesi- 
schen Staats= und Gesellschaftsordnung in ihrem 
Wachstum gehemmt haben. ç 
V. Schintoismus. Zwei Religionen haben 
auf das religiöse Leben des japanischen Volks ein- 
gewirkt, der einheimische Schintoismus und der 
indische Buddhismus, ohne daß es der einen oder 
der andern gelungen wäre, eine Religionsgesell- 
schaft im strengen Sinn zu begründen. Jeder Ja- 
paner, von den Christen abgesehen, ist in religiöser 
Beziehung ein Dualist, d. h. Buddhist und Schin- 
toist. Die beiden Kulte vermischen sich derart bei
	        
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